Wie die meisten Nächte zuvor habe ich nicht besonders gut geschlafen. Und das obwohl wir diesmal ein ziemlich gutes Zimmer hatten. Überhaupt eine schöne Unterkunft das Hamptons Inn. Ich konnte eine Maschine Wäsche waschen, die Lobby verdient den Namen, mit bequemen Sesseln, einer Businesstheke mit Netzwerkanschlüssen usw. Nur das Indianer Geflöte aus den Lautsprechern, das sich mit dem Ton eines laufenden Fernsehers vermischt, in dem in Schleife ein kurzer Bericht über die Navajo Code Talkers im 2. Weltkrieg läuft, nervt etwas.
Anyway, we enjoyed our stay, und als Marco nach dem Frühstück schon ein paar Sachen ins Auto lädt, kommt er mit meinen langen Handschuhen und den Knielingen zurück. Er meint es wäre sehr kalt. Pah, der Himmel ist blau, die Sonne scheint, wir fahren spät los, ich verzichte auf Knielinge und Handschuhe und das Trikot tut’s erst mal.
Beim Losfahren merke ich aber schon, dass es nicht ganz so warm ist, ich ziehe wenigstens die Jacke an. Ein paar Meter muss ich zum Startpunkt rollen, der Timstation an der Tankstelle wo ich gestern aufgehört habe.
Auf den ersten Metern merke ich schon, dass es wirklich arschkalt ist. Marco tankt noch und so bin ich die ersten Kilometer alleine unterwegs. Der Wind bläst mir ganz ordentlich und kalt entgegen, allerdings ist er bei weitem nicht so stark wie gestern.
Nachdem ich ein paar hundert Meter auf ebener Strecke stadtauswärts gefahren bin, macht die Straße einen kleinen Knick, der Wind kommt jetzt mehr von der Seite und es geht etwas berghoch. Links von mir, etwas tiefer als die Straße, liegen ein paar Hütten mit etwas staubigem Grund drumherum, ein weitmaschiger Zaun grenzt das Ganze ein.
Mein rechtes Bein grummelt noch etwas. Ich hoffe, dass sich das durch den Satteltausch wieder gibt. Mit diesem Sattel sitze ich etwas weiter vorn, was insgesamt etwas mehr gefühlte Dynamik bringt und vor allem eine tatsächlich bessere Kraftübertragung.
Ich hänge gerade so in Gedanken ob ich mein Bein schon richtig belasten soll, oder moderat warmfahren, die System wachen gerade auf, alles ist noch irgendwie langsam, als plötzlich Gebell auf der linken Seite laut wird und da sehe ich auch schon den ersten Hund laut und wütend kläffend auf mich zurasen. Teufel ist der schnell. Ein Zaun kann ihn nicht aufhalten er springt, unter Verlust von etwas Fell, einfach hindurch.
Ich hatte schon eine Hundeattacke zu überstehen, allerdings war das in den Imperial Sand Dunes in Californien, die Straße lag zehn Meter höher und der Hund musste durch den Sand laufen, so dass nie wirklich Gefahr bestand.
Jetzt aber wird es ernst, wie ein Blitz kommt das Mistvieh auf die Straße geschossen, alle Gedanken über warmfahren und ähnliches sind schlagartig verflogen, ich sprinte was nur irgendwie geht und überlege dabei wie ich den Angriff abwehren kann. Das einzige was ich direkt zur Hand habe ist die Kamera.
Der Hund hat hinter mir die Straßenseite gekreuzt und läuft jetzt, noch ein Stück hinter dem Fahrrad, parallel zur Straße laut kläffend neben mir her. Er scheint sein maximales Tempo erreicht zu haben, verdammt warum geht es hier jetzt auch noch etwas bergauf?
Weiteres Hundegebell kommt von links, meine Gedanken sind aber momentan bei dem der am nächsten ist. So 150, 200 Meter haben wir jetzt schon zurückgelegt, oh man, hoffentlich geht dem bald die Puste aus. Er läuft jetzt direkt neben mir, ich „bedrohe“ ihn mit meiner Kamera, merke aber gleichzeitig wie albern und nutzlos das ist, habe aber auch nicht die Coolness das ganze zu fotografieren. Im Gegenteil, links etwas vor mir ist noch so eine Hütte und da kläfft schon der nächste Hund und sucht ein Loch im Zaun um ebenfalls die Verfolgung aufzunehmen.
Ziemlich krass, ich bin kurz davor etwas panisch zu werden, da fällt mir ein, das Xaver beim letzten Teamtreffen erzählt hat, dass er in Südamerika auf seiner Radtour ebenfalls mit Hundeattacken konfrontiert war und er irgendwann den bewaffneten Kampf aufgegeben hat in der Überzeugung die beißen letztlich doch nicht.
Ich stecke die Kamera ein und versuche einfach nur so schnell zu fahren wie es geht. Hoffentlich hat Xaver recht. Der Hund rechts neben mir macht einen verdammt aggressiven Eindruck, aber trotz der Tatsache, dass Hunde mit die beste VO2max rel. aller Säugetiere haben, gibt er tatsächlich auf.
Da kommt auch schon die Attacke von links, aber der gibt noch schneller auf. Es scheint vorbei zu sein. Man, das brauche ich nicht nochmal. Adrenalin pur, Puls irgendwo ganz weit oben, das Powercontrol zeigt 699 Watt max. War wohl nix mit locker einrollen.
Ich muss noch an einigen solchen Hütten vorbei, die Sinne sind geschärft, immer erwarte ich die nächste Attacke, aber es kommt nichts mehr. Dann kommt auch schon offenes Land. Es scheint überstanden.
Ich kann mich endlich wieder auf das Fahren und die Landschaft konzentrieren. Marco überholt mich und der gewohnte Rhythmus stellt sich ein. Ich sitze viel besser als die letzen Tage und das rechte Bein macht nur wenig Probleme, es scheint beim Fahren besser zu werden.
Das Tagesziel für heute ist zunächst Mexican Hat und dann Montezuma Greek. Auf dem Trainingsplan stehen sieben Stunden. Da bis jetzt der Wind eher von vorne oder von der Seite kommt, sollte das mit der Intensität auch besser hinhauen als gestern, wo mir fast 1000 kJ gefehlt haben.
Auf der Strecke liegt eine der spektakulärsten Landschaften der USA. Das Monument Valley. Die Erosion hat hier faszinierende Skulpturen aus Stein in die Landschaft gestellt. DAS typische RAAM Foto, das fast jeder Teilnehmer in seinen Vorträgen oder Büchern zeigt, ist der einsame kleine Radfahrer auf unendlich langer Straße mit dem Monument Valley im Hintergrund. Heute ist also fotografieren angesagt. Marco hat den Spezialauftrag genau dieses Foto zu machen.
Schon die ersten Vorboten des Valley sind beeindruckend. Da die Beine gut funktionieren und alle Systeme dank der Hundeattacke hochgefahren sind, kann ich die Landschaft in vollen Zügen genießen.
Die Distanzen sind groß und die Straßen sind schnurgerade, der Belag ist erstaunlich gut, die Landschaft weit und es dauert bis ich mich den schon lange sichtbaren Monumenten tatsächlich nähere.
Dann folgen ebenso lange, gerade Straßen durch offene Prärie und erste, große rote Felsformationen erscheinen vor mir.
Nach ca. 20 Meilen überschreiten wir die Grenze nach Utah. Es dauert noch einige Meilen auf leicht abschüssiger Straße mit etwas Gegenwind, wieder etwas durch offene Prärie, leicht berghoch, in Wellen, wieder flach, aber fast immer geradeaus.
Dann endlich kann man die typischen Monumente aus Fels erkennen, die ich schon von unzähligen Fotos kenne.
Je näher wir kommen, desto schlechter wird die Straße, wobei es nicht so wirklich übel wird, sondern nur amerikanisch rauh mit leichten Querfugen. Der Weg bis zu den Felsen selbst zieht sich noch einige Meilen, so habe ich die Gelegenheit dutzende und aberdutzende von Fotos zu machen. Wie gut, dass ich die Kamera nicht nach dem Hund geworfen habe…
Die Landschaft ist aber auch wirklich spektakulär. Als ich die Felsen passiere hoffe ich nur, dass Marco genug Fotos macht. Aber, und das ist der Vorteil beim Reisen mit dem Rad, ich kann die Landschaft wirklich aufsaugen.
Nachdem dieser markante Teil des Valley passiert ist, geht es erst mal bergab und dann viel gerade oder in leichten Wellen durch die offene Prärie. Der Wind bläst mittel, der Straßenbelag bleibt sehr rauh, die Beine sind gut, die Nahrungsaufnahme funktioniert, die Sonne scheint, aber es ist saukalt.
Noch vor dem Monument Vallery hatte ich mir von Marco doch noch die langen Handschuhe und eine warme Unterhelmmütze geben lassen, es war nur knapp über Null Grad. Auch jetzt sind es so um die 4° C. Dabei sieht es aus als ob es brütend heiß wäre, klarer, blauer Himmel, die Sonne strahlt, alles ist knochentrocken und das Gras sieht verdorrt aus.
Ich fahre ein ganzes Stück als mir Marco zuruft, ob ich mich denn schon mal umgedreht hätte. Nö habe ich nicht, beim Trainieren und beim Rennen gucke ich nimmer nur nach vorne… Aber dann wird mir bewusst, dass genau das der typische Blickwinkel der oben erwähnten RAAM Fotos ist. Zum Glück hat Marco das eingefangen.
Nach einiger Zeit ändert sich die Landschaft wieder etwas, die Straße wird welliger, es geht auch mal 8% bergab oder bergauf, die Prärielandschaft und die Gräser werden weniger, die Erde wird dunkelrot.
Es gibt sogar Creeks in denen tatsächlich Wasser ist. Wasser, eine echte Rarität auf der Strecke, alles war bis jetzt sehr, sehr trocken.
Nach einem kurzen aber ordentlichen Anstieg mit ca. 7-8% haben wir die erste TS für heute, Mexican Hat, erreicht. Ein kleines unscheinbares Kaff, ein paar Häuser an der Straße, das war’s. Benannt ist der Ort nach einer kleinen Felsformation, die ein, zwei Meilen außerhalb liegt. Auch hier hat die Erosion ein interessantes Objekt gestaltet.
Mein nächstes Ziel heißt Montezuma Creek. Mal schauen wie es mit der geplanten Trainingszeit hinhaut, evtl. kann ich sogar noch ein Stück weiter fahren.
Nachdem es erst mal wieder ein paar Meilen durch offene Prärie auf schnurgeraden Straßen mit rauhem Belag geht, fahren wir direkt auf eine lange Felsformation am Horizont zu, immer auf der 163 in Richtung Norden. Es wird wieder etwas steiniger, und noch einige „Monumente“ ragen, hauptsächlich links der Straße, auf.
Vorbei am Valley of the Gods, immer geradeaus, aber in Wellen, so dass man auch ein paar Höhenmeter sammeln kann, geht es in Richtung Nordosten. Die Landschaft ist einfach nur geil, mein rechtes Bein hat sich tatsächlich selbst geheilt, bzw. mit der korrekten Sattelposition hat sich der Schmerz verflüchtigt.
Dann geht es nochmals durch Prärie, bevor es in einer ziemlich geraden 8% Abfahrt direkt auf die oben erwähnte Felsformation zu geht. So was habe ich noch nicht gesehen, sieht ziemlich cool aus. Nach der Abfahrt gibt es folgerichtig auch eine schöne Steigung. Aber alles noch fair und gut zu fahren. Jedenfalls im Training, wenn man hier nach vierzig, fünfzig Stunden beim RAAM ankommt, kann das natürlich durchaus anders aussehen.
Nach der Steigung öffnet sich die Landschaft wieder. Der Wind ist heute fair. Mal von schräg hinten, mal von schräg vorne, und immer noch in einer Stärke die gut zu handhaben ist.
Wir durchqueren Bluff, eine historische Stadt mit einem Fort, und kurz darauf, an den „Navajo Twins“ gibt es die erste Abzweigung für heute. Wir biegen auf die 162 in Richtung Osten ab.
Zur Linken wird die Straße nun von mächtigem Fels begrenzt, rechts ist Weideland und ein schmaler Creek. Dann öffnet sich die Landschaft erneut, jetzt führt die Straße in heftigen Wellen durch die Gesteinsszenerie. Ab und zu mal eine Pumpe die einsam vor sich hin werkelt, sonst wenig Spuren von Zivilisation.
So geht es für ca. 15 Meilen, bis wir Montezuma Creek erreicht haben. Ein wenig attraktiver, etwas verloren in der Landschaft liegender Ort. Noch bin ich weit von den sieben Stunden Trainingsvorgabe weg, so dass wir weiterfahren. Marco ist auch ganz froh, dass wir hier nicht übernachten müssen.
Die Straße führt nun tatsächlich am Wasser entlang, bevor die Route nach ca. 7 Meilen die 162 verlässt. Nun geht es über die Ismay Trading Post Road. Eine sogenannte Cattle Road. Bisher war ja schon meist recht wenig Verkehr, aber jetzt gibt es nur noch ganz vereinzelt Autos auf der Straße.
Die Temperatur ist den ganzen Tag nur wenig über 10° C gestiegen, meist lag sie deutlich darunter. Zwischendurch hatte ich die langen Handschuhe wieder gegen kurze getauscht. Jetzt fahre ich öfter mal im Schatten, oder eine Wolke verdeckt die Sonne etwas, die Temperatur fällt wieder auf um die 5° C. Aber beim Fahren ist es ok, auch die kurzen Hosen sind ok, kalt ist mir nicht.
Die Landschaft ändert sich wieder, es geht in starken Wellen durch Felslandschaft oder Prärie, wobei diese immer mehr zurückweicht. Im Hintergrund erscheinen erste höhere Berge und Hügel. Teils kann man schon Blicke auf die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains erhaschen.
Wir spulen Kilometer um Kilometer, Meile um Meile ab. Marco versorgt mich perfekt mit Ensure und Wasser, wobei ich nicht so sehr viel trinke, da es halt so kühl ist und ich nicht soviel Flüssigkeit durch Schweiß verliere. Beim Kilometerfressen sammle ich auch ordentlich Höhenmeter. Die Wellen sind eigentlich noch extremer als auf der Fahrt nach Flagstaff wo ich ja am Schluss etwas gelitten habe. Heute sind Kopf und Beine aber gut.
Wir fahren nun in einem Tal, immer wieder gibt es mal ein Land- bzw. Farmhaus, ab und zu ein paar „Cattle“ auf der Weide, der Belag ist fordernd wie schon die meiste Zeit heute. Mehr und mehr verändert sich die Landschaft. Die trockene Prärie wird abgelöst durch mehr Grün und es gibt richtige Bäume. Blühende Bäume am Straßenrand. Außerdem werden die Hügel rechts und links höher und grüner, teils sind sie oben sogar leicht mit Schnee bepudert.
Wir haben auf unserem Trip schon eine Menge „Landschaft“ in unterschiedlichen Formen bekommen, heute bekommen wir nochmal die volle Dosis und dabei noch so unterschiedliche in so schneller Abfolge. Faszinierend.
Mittlerweile fahren wir in Colorado, der vierte Bundesstaat den wir bereisen. Ich genieße die Landschaft, die Beine funktionieren und ich bin gespannt was zuerst kommt, die sieben Stunden Marke oder die nächste Timestation Cortez.
Es kommt sogar mal wieder die Sonne raus, und ich fahre nicht mehr so oft im Schatten. Noch wenige Kilometer bis Cortez, jetzt hat man schon einen Blick auf die Rockies, und bald kann ich die Stadt vor mir liegen sehen. Zum Glück eine etwas größere Ortschaft, denn hier machen wir zwei Nächte, morgen ist nämlich Ruhetag.
Die sieben Stunden sind überschritten und Cortez erreicht, noch muss ich zwei, drei Meilen fahren bis die Timestation erreicht ist. Aber dafür werde ich mit schönem glatten Asphalt verwöhnt. Das mich eine Pickupfahrerin ohne zu blinken schneidet kann ich da locker verkraften. Ich bin allerdings froh am Ziel zu sein, denn mittlerweile ist es kalt, und mir ist auch kalt. Deshalb bin ich froh Marco an der Timestation zu treffen und im warmen Auto zum Best Western Motel zu fahren, heiße Dusche, kurz verschnaufen und dann gibt es lecker Steak…
Was für ein fantastischer Tag. Zunächst die Aufregung mit der Hundeattacke, dann das spektakuläre Monument Valley, darauf die sich ständig ändernde Landschaft, gute Beine und schließlich die schöne, wenn auch etwas einsame, Straße nach Cortez. Traumhaft, die Streckenplaner des RAAM haben hier wirklich tolle Arbeit geleistet.
Während des Rennens werde ich die Strecke zwar kaum genießen können, aber für die Crew wird es ein spektakuläres Ereignis werden, da bin ich mir sicher.