Mein Plan heute früher zu starten scheitert. Ich hatte mir zwar den früheren Timeslot für das Frühstück gesichert, welches coronabedingt in Schichten ausgegeben wird, aber ich werde nicht rechtzeitig wach, und so frühstücke ich zwar etwas früher, die ganzen Vorbereitungen wie Flasche befüllen und so weiter mache ich dann aber nach dem Frühstück und starte ziemlich genau um dieselbe Zeit wie gestern.
Zunächst bin ich etwas unsicher was ich heute eigentlich genau fahren will. Gestern ging’s mir nicht so gut, so dass ich mir erst mal eine lange G1 Einheit für heute verordnet hatte, nach dem Aufwachen habe ich aber direkt Lust auf Berge fahren. Man soll ja auf seinen Körper hören, also ist heute nochmal klettern angesagt. Allerdings muss ich wirklich gut dosieren, damit ich mich nicht gleich zu Anfang platt mache.
So ist der Plan G2 Intervalle am Berg, aber easy nach Gelände, nicht nach Dauer. Der Nord-Ost Passat Wind bläst heute wieder heftig, ich bin aber recht diszipliniert und fahre wirklich zunächst G1. Durch den heftigen Gegenwind fahre ich langsam aber das ist ja egal.
Am ersten Tag bin ich bei ziemlich exakt gleicher Leistung von ca. 200 Watt auf dem Hinweg gegen den Wind einen 20er Schnitt gefahren und auf dem Rückweg mit dem Wind (inkl. kurzem Umweg mit Gegenwind) einen 32er Schnitt.
Ich fahre die bekannte Strecke von der Costa Teguise Richtung Inselmitte und dann auf die Via Ciclista parallel zur LZ-1, durch Guatiza und dann auf der LZ-1 bis kurz vor Arrieta. Hier gibt es einen Abzweig in ein ruhiges Tal mit einem schönen Anstieg, von ca. 10 Km Länge.
Ich biege also in Richtung Tabayesco auf die LZ-207 ein, drücke eine Runde ab und versuche meine Leistung so bei knapp 250 Watt zu halten. Nicht das ich Bäume ausreißen könnte, aber ich fühle mich einfach normal gut, was echt beruhigend ist, denn in einem Zustand wie gestern könnte ich die zwei Wochen kaum genießen.
Das Schöne an diesem Anstieg ist, dass man sehr gut dosieren kann, da die Steigung anfangs bei 4% , dann meist bei 6 bis 7% liegt. Kleine etwas steilere Stufen stören den Rhythmus kaum. Ich kann die Leistung ganz gut halten, die Beine sind ok, und vor allem sitze ich besser als gestern, denn ich habe gestern noch meinen eigenen Sattel am Mietrad montiert und auch die Sitzposition noch etwas angepasst. Das macht einen riesigen Unterschied.
Mittlerweile habe ich die zwei Serpentinen erreicht, hier ist es kurz etwas steiler, dann führt die Straße am Hang entlang, mit Blick auf den Talschluss, an dem man den letzten Teil des Anstiegs sehen kann.
Der Straßenbelag ist hier recht rau, was in Richtung bergauf nicht so stört, und so erreiche ich schließlich die Stelle an der die Straße in ein kurzes Seitental führt, an dessen Ende eine Spitzkehre in den Schlussanstieg führt. Die Beine sind immer noch gut, und ich will dann oben über Haria wieder runterfahren und dann den Anstieg von Arrieta zum Mirador del Rio in Angriff nehmen.
Als ich die Spitzkehre erreiche und die Richtung wechsle stehe ich plötzlich vor einer Betonbarriere!
WTF, Sperre, Betonbarriere und Radfahrverbotsschild. Mist, die Straße ist gesperrt. War sie 2018 auch schon, nur konnte man da mit dem Rad noch durch, und von Bauarbeiten war nix zu sehen. Kein Wunder, dass drei Jahre später da nichts vorangekommen ist, nur dass man die Radfahrer jetzt besser davon abhält trotzdem hoch zu fahren.
Ich drehe also notgedrungen um. Schade, fühlt sich unfertig an, aber egal fahre ich halt erst mal bergab. Ich begegne noch zwei Radfahren und versuche ihnen beim vorbeirauschen mitzuteilen, dass die Straße gesperrt ist, aber das kommt natürlich nicht an.
Wieder auf der LZ-1 angekommen, fahre ich weiter in Richtung Arrieta um dann den nächsten Anstieg, diesmal nach Haria, in Angriff zu nehmen.
Wieder drücke ich die Runde ab, und versuche so knapp 250 Watt zu fahren. Auch hier ist die Steigung zunächst moderat und gut dosierbar, allerdings ist der Anstieg nicht in einem eher windgeschützten Tal, sondern ich muss immer mal auf die sich ändernden Windverhältnisse reagieren.
Auch flacht die Strecke mittendrin mal ab, so dass ich etwas aufpassen muss die Leistung zu halten und rechtzeitig zu schalten. Im Prinzip ist die Straßenführung aber ganz ähnlich wie im Anstieg nach Tabayesco, auch hier macht das Tal vor dem Talschluss einen Knick nach links in ein kleines Seitental, und eine Spitzkehre bringt mich an den Hang in den Schlussanstieg, der hier fast gerade bergauf führt.
Hier bekomme ich nochmal deutlichen Gegenwind zu spüren, so dass ich gegen Steigung und Wind fahren muss, aber kleine Gänge habe ich ja nun wirklich genug, so dass das mit den ca. 250 Watt ganz gut klappt.
Ich mache nicht viele Fotos, 2018 haben wir hier eine große Fotosession gemacht, und seitdem hat sich nichts verändert.
Am höchsten Punkt drücke ich die Runde ab, der Anstieg ist leider nicht sehr lange, aber andererseits bin ich auch gerade froh, dass er vorbei ist. Ich fahre nicht in Richtung Haria, sondern biege vorher nach Maguez ab, und fahre dann im Ort wieder Richtung Ostküste und leicht nach Norden.
Eine wirklich wenig befahrene Straße mit eher rauem Asphalt. Da mir der Wind heftig entgegenbläst, ist mein G1 Tempo recht langsam. Aber irgendwie mag ich den Wind gerade, so seltsam das klingt.
Bald erreiche ich die LZ-201, die hoch in Richtung Ye und Mirador del Rio führt. Ich fahre aber erst mal bergab, denn ich will den Anstieg ja von ganz unten fahren. Der Wind bläst von hinten, es geht bergab, plötzlich fliege ich für ein paar Kilometer. Dann biege ich aber wieder ab in Richtung Norden vorbei an den Lavahölen.
Diese Straße ist einfach ein nicht zu breites Asphaltband durch Vulkanauswurf, der wie eben erst dorthin geworfen aussieht. Und obwohl ich leicht schräg gegen den Wind fahre, kann ich doch etwas Tempo aufnehmen, da es auch hier bergab geht.
Bei der von Manrique hübsch aufbereiteten Höhle mit den endemischen Albino Krebsen stoße ich wieder auf die LZ-1 und knalle jetzt trotz nur 200 Watt Einsatz in Richtung Arrieta, der brutale Rückenwind peitscht mich einfach nach vorn.
Ich fahre bis zum Kreisel bei Arrieta und drehe dann um den nächsten Anstieg in Angriff zu nehmen. Ich drücke die Runde ab und stelle auf 250 Watt, nur geht gar nix vorwärts. Der brutale Rückenwind ist zu ebenso brutalem Gegenwind geworden, und nun geht es auch noch bergauf. Eigentlich wechsle ich ja etwas die Richtung und fahre mehr in Richtung Norden statt Nordosten, aber den Wind interessiert das nicht.
Die Strecke habe ich bei meinen echten Trainingslagern in der Vergangenheit immer für die 20 Minuten all out im Rahmen eines Leistungstests genutzt, um dann die Powermeter Daten an Björn zu schicken, damit wir für das Trainingslager die Zielbereich nochmal justieren konnten. Deshalb verbinde ich mit dem Anstieg echte Quälerei.
Ein bisschen muss ich mich auch heute quälen, denn auch wenn die Leistung im G2 Bereich bleiben soll, so macht der Wind das Ganze sehr unrhythmisch, und wenn ich an manchen Stellen nicht richtig reinhauen würde, würde ich einfach stehen bleiben.
Ich habe nun immerhin die Stelle erreicht an der ich eben zu den Höhlen abgebogen bin, kämpfe mich weiter nach oben und bin überrascht wie lange es dauert, bis ich auf die Straße treffe die von Orzola kommt, und wo ich gestern die Rennradlerin verloren habe. (bzw. wo sie mich abgehängt hatte)
Aber immerhin, ein großer Teil des Anstiegs ist schon mal geschafft. Kurz flacht die Strecke ab, und ich kann nicht ganz die geplante Wattzahl halten, korrigiere das aber, und die Beine machen immer noch gut mit.
Nun geht es wieder ordentlich bergauf, mit heftigstem Gegenwind. Endlich kann ich mal ein Rennrad überholen, aber die Fahrerin fährt bei weitem nicht so gut wie die von gestern, also gibt das keine Befriedigung.
Nach der nächsten Kurve bläst der Wind dann nochmal etwas kräftiger und frontal von vorne. Ich bin jetzt schon fast oben und hier ist der Wind eigentlich immer heftig, selbst wenn man unten kaum was merkt. Aber egal, ich kämpfe mich bis zum Ortsschild von Ye und versuche nicht nachzugeben und biege ab zum Mirador del Rio. D.h. es geht jetzt noch zwei weitere Kilometer berghoch mit heftigstem Gegenwind. Noch immer versuche ich die Leistung im Bereich um 250 Watt zu halten, bzw. im steilen Schlussanstieg muss natürlich nochmal ordentlich was drauf, sonst komme ich bei meinem Systemgewicht nicht vorwärts, aber dann ist es geschafft.
Ich drehe eine Zusatzrunde um das kleine Monument vor dem Eingang und fahre dann direkt weiter, diesmal auf einer der schönsten Straßen Lanzarotes, die LZ-202. Nicht wegen der Fahrbarkeit, die ist durch den hier immer herrschenden heftigen Wind eher abenteuerlich, und auch nicht wegen des eher mäßigen Straßenbelags, sondern wegen der sensationellen Aussicht.
Die Autofahrer vor mir sind gefangen von dem fantastischen Ausblick und fahren entsprechend wirr, ich kenne die Aussicht sehr gut, genieße einfach, dass sie da ist und frische meine Erinnerung auf, gebe dann aber Gas und überhole die Autofahrer, um die Leistung im G1 Bereich zu halten, was auf dieser Straße nicht leicht ist, da es bergab geht, böiger Wind weht, und einige eher enge Kurven zu meistern sind.
Ich kann nicht genau erklären warum, aber irgendwie macht es mir einen Höllenspaß wenn der Wind wild am Lenker reißt und das Fahrrad im böigen Wind hin- und hergerissen wird. Fühlt sich an als wäre man direkt mit den immensen Kräften der Natur verbunden.
Als die Straße wieder auf die LZ-201 trifft, ist nach kurzer Abfahrt aber nicht so sehr der Wind das Problem, sondern die kommende 13% Steigung. Aber auch die lässt sich gut meistern, ein bisschen unterstützt der Wind, der nun von hinten kommt und außerdem habe ich ja noch die 34-34 Übersetzung…
Die Abfahrt nach Maguez ist nicht sehr lange, aber heftig, denn man erreicht ein recht hohes Tempo und der Wind kommt manchmal unverhofft von der Seite. Hier erreiche ich auch immer meine höchste Trittfrequenz , man muss schon irgendwas um 120 treten um mit einem 50er Kettenblatt nochmal Druck am Pedal zu spüren. Allerdings nehme ich dann Tempo raus, weil ich das Fahrrad durch den Wind bei höheren Geschwindigkeiten kaum kontrollieren kann.
Von Maguez geht es dann nochmal kurz sehr steil, dann steil, dann moderat berghoch und wieder bergab hinein nach Haria. Gleiche Situation, nur ist die Abfahrt nicht so lang. In Haria drücke ich dann die nächste Runde ab, denn jetzt kommt der Anstieg in Richtung Sternwarte. Diesmal will ich aber nicht am Aussichtspunkt halten und einen Kaffee trinken, sondern bis zum höchsten Punkt fahren. Cappuccino Pause gibt es frühestens in Teguise…
Das es nun der dritte Anstieg ist, merke ich die Beine schon etwas, fühle mich aber nicht so schlecht wie gestern. Allerdings fahre ich ungefähr die gleiche Leistung, nur ohne das bewegliche Ziel (das mir gestern davon gefahren ist).
Irgendwie scheinen heuer außergewöhnlich viele Motorradfahrer auf Lanzarote unterwegs zu sein. Die treten natürlich gerne in Rudeln auf, gerne an schönen Anstiegen, und gerne extra laut, was durch den Auftritt im Rudel noch potenziert wird, passt überhaupt nicht auf die Insel. Aber ich kann’s auch nicht ändern, ertrage den Lärm und die teils unhöfliche Fahrweise.
Die Leistung stimmt noch, der Plan um 250 Watt zu treten bleibt auch am voraussichtlich letzten Anstieg bestehen. Nach jeder Serpentine ändert sich die Windrichtung, und so fahre ich abwechselnd mit Rücken- oder Gegenwind, was die Gedanken wach hält.
Als ich fast oben bin und am Aussichtspunkt vorbeifahre, fühle ich mich immer noch gut, und verschwende keinen Gedanken an Käsekuchen und Cafe con leche. Ein Kilometer später ist der höchste Punkt erreicht und ich drücke die Runde ab.
Die folgende Abfahrt ist abenteuerlich, der Wind kommt böig von der Seite und reißt am Lenker, am Fahrrad, ja an mir. Ich fahre in der Mitte der Straße, damit mich keines der wenigen Autos überholt, denn ich brauche zuviel Platz. Finde es trotzdem geil.
Nach der Abfahrt hinunter nach Los Valles, und nachdem ich den Ort in Richtung Teguise hinter mir gelassen habe, beruhigt sich der Wind, und bläst halbwegs moderat von hinten. Außerdem wird es ab hier immer angenehm warm, nachdem es auf dem Famara Gebirge doch meist recht frisch ist.
Kurz überlege ich ob ich auf das Castello hochfahre, aber es ist erst der zweite Tag, da muss ich jetzt auch nicht übertreiben und die eh schon ein bisschen murrenden Knie mit einer längeren 15% Steigung quälen. So fahre ich über Teguise und Nazareth bis Tahiche auf breiter Straße flott bergab, um dann nochmal 10 Minuten berghoch gegen den Wind zu fahren. Hier wird sofort klar, es war eine kluge Entscheidung nicht zum Castello hochzufahren…
Nach einer letzten windigen Abfahrt drifte ich dann zufrieden mit Rückenwind zum Hotel. Kein Riesenradtag, aber immerhin, mit gut vier Stunden und etwas mehr als 1700 Höhenmetern, eine gute und passende Trainingseinheit. Morgen werden ich dann erstmals den Norden verlassen und eine etwas längere G1 Einheit machen.
Allerdings muss ich mir im Decathlon in Arrecife erst mal eine Standpumpe kaufen. Das Hotel hat nicht nur schlechtes Essen und schlechtes Internet, sondern auch keinerlei noch so kleine Infrastruktur für Radfahrer.