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Ultracycling und Alpenpaesse

Fazit Trainingslager USA

Nach so einem intensiven Erlebnis fällt man immer erst mal in ein kleines Loch. In diesem Fall ordentlich verstärkt durch heftigen Jetlag. Allerdings geht es jetzt natürlich in die heiße Phase der RAAM Vorbereitung und es gibt viel zu tun, so dass wenig Zeit bleibt um sich hängen zu lassen.

Am Wochenende gab es einen kleinen Nachtfahrtest mit einem Teil der Crew, so dass wir einiges ausprobieren konnten, und ich meine Zeitumstellungsprobleme sinnvoll zum Trainieren nutzen konnte. Eine gute Gelegenheit etwas über die Ergebnisse des Trainingslagers nachzudenken.

Zuallererst muss ich sagen, dass ich positiv überrascht bin was das Fahrradfahren in den USA angeht. Meine Erfahrungen als Fußgänger in Las Vegas haben mich da etwas auf die falsche Fährte gelockt. Die Infrastruktur für Radfahrer ist in den USA (bzw. in den Staaten in denen wir uns bewegt haben, nämlich Californien, Arizona, Utah und Colorado) ein vielfaches besser als in Deutschland bzw. Mittelhessen im speziellen. In den Städten gibt es häufig Fahrradstreifen auf den Fahrbahnen, der Seitenstreifen wird oft explizit als Fahrradstreifen ausgewiesen auch auf den Highways (entspricht in etwa unseren Bundesstraßen). Und im Prinzip darf man auf allen Straßen fahren, je größer diese sind, desto breiter ist meist auch der Seitenstreifen, so dass man sich sogar auf der Interstate recht wohl fühlt. Die Problematik von Ab- und Auffahrten auf solchen Straßen ist natürlich auch hier gegeben, aber auf Grund des überschaubaren Verkehrsaufkommens gut lösbar. Vor allem ist die natürliche Lösung die man als Reiseradfahrer oder Rennradfahrer intuitiv anwendet auch die offiziell erlaubte / gewünschte.

Kurzum, das Fahrrad wird als Fahrzeug angesehen und auch verkehrsrechtlich so behandelt. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass die Pickup fahrenden, DriveIn verwöhnten Amerikaner uns da so weit voraus sind. Hierzulande wird das Fahrrad nämlich als Mischung aus Fußgänger und Fahrzeug aufgefasst was zu völlig abstrusen Dingen wie Mischung von Fußgänger- und Fahrradweg bei gleichzeitiger Radwegebenutzungspflicht führt.

Anyway, dieses Thema ist einen eigenen Beitrag wert, erwähnenswert ist aber noch der rücksichtsvolle Umgang der Autofahrer inkl. LKW-Fahrer mit den Radfahrern. Das war schon auf dem Niveau wie in Schweden. Wirklich fantastisch. Dabei waren wir auch in Colorado, ein Bundesstaat vor dessen Fahrern uns das Roadbook gewarnt hatte.

Dagegen ist Deutschland, besonders Mittelhessen, eine Fahrradhölle. Ich muss zugeben, dass, wenn  ich mal wieder mehrere Tage hintereinander von Autofahrern unmotiviert beschimpft und mit teils gefährlichen Aktionen gemaßregelt wurde, ich eigentlich lieber auf der Rolle fahre als auf meiner Hausstrecke. Zwar sind es nur ca. 10 bis 15 Prozent der Autofahrer die sich so asozial verhalten, aber in absoluten Zahlen sind das eine ganze Menge und es nervt einfach.

Das war aber nicht der einzige Grund warum ich das Trainingslager so genießen konnte. Natürlich kam die spektakuläre Landschaft in diesem ersten Teilabschnitt der RAAM Strecke dazu. Ich hatte mir darüber vorher keine großen Gedanken gemacht, so dass ich etwas überrascht und entsprechend beeindruckt war. Ich denke Marco ging es ähnlich.

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Für das Rennen bedeutet es für mich zwar recht wenig, für die Crew aber sicher eine ganze Menge, denn die wird im ersten Abschnitt eine Extraportion Motivation bekommen durch die vielen fantastischen Eindrücke die auf sie einwirken werden. Das ist auch wichtig, denn wir haben ebenfalls einen ersten Eindruck vom mittleren Abschnitt bekommen. Die Strecke von Trinidad bis Kim am letzten Tag führte uns in die High Plains, und hier konnten wir erfahren wie eine Landschaft ohne wirklich markante Punkte wirkt, bzw. eben nicht wirkt. Auch in einigen Teilen Arizonas wurden wir mit sehr langen Geraden mit wenig landschaftlicher Abwechslung konfrontiert. Interessanterweise war das für Marco im Begleitfahrzeug schlimmer als für mich auf dem Fahrrad.

Schockierend war für mich der schlechte Straßenbelag in Californien und in den heißen Gebieten von Arizona. Zwar hatten alle bisherigen Teilnehmer davon in ihren Vorträgen und Büchern oder im persönlichen Gespräch berichtet, aber so schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Das ist natürlich eine erhebliche Belastung nicht nur für die Sitzfläche, sondern für die gesamte Muskulatur. Die Beine reagieren automatisch mit geringerer Trittfrequenz und der Halteapparat ermüdet schneller als gewöhnlich und auch dadurch wird man langsamer.

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Ab  Prescott ging es aber dann wieder,  d.h. nur Abschnittsweise wurde man mit Querfugen malträtiert. Der Belag bleibt zwar rauh, aber nicht so brutal wie beispielsweise das letzte Stück bis zur Timestation in Congress, das einem wirklich die Netzhaut abgelöst hat.

Die Anstiege insgesamt sind alle moderat, d.h. mit entsprechender Schaltung kann man gut dosieren. In den welligen Abschnitten hatte ich als steilste Steigung 10%, aber das war eine echte Ausnahme, normalerweise gehen die Steigungen eher bis 6%.

Bis Flagstaff gibt es in den steileren Anstiegen auch ab und zu mal 8% Abschnitte, aber auch nicht zu häufig und nicht zu lange. Durch das ständige Auf und Ab sammelt man aber eine Menge Höhenmeter, das Höhenprofil der einzelnen Abschnitte von TS zu TS im Roadbook gibt das nicht so wirklich wieder.

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Die Pässe in den Rocky Mountains haben sich als eher harmlos im Vergleich zu einem schönen Alpenpass wie dem Stilfser Joch o.ä. erwiesen. Allerdings bin ich sie ja nur im Zuge einer Tagesetappe gefahren und nicht unter den harten Bedingungen des RAAM nach vielen vielen Stunden im Sattel.

Dennoch, die in einigen Büchern beschriebenen „30 Kilometer Anstieg mit Steigungen bis 12%“ und die „gefährlichen, steilen Abfahrten“ habe ich nicht vorgefunden. Der Wolf Creek Pass Anstieg ist 8 Meilen lang, d.h. 13 Kilometer. Dabei wird er nie steiler als 8%. Den La Veta nimmt man kaum als Passstraße war, die Steigung geht nicht über 4% hinaus. Der Cuchara Pass geht auch bis 8%, vor allem aber gibt es hier im letzten Teil weniger Gelegenheit sich auf flachen Stücken zu erholen, dafür ist er landschaftlich der schönste. Das wird mich aber beim RAAM nicht interessieren. Hier wird man sicher leiden, denn man ist schon drei Tage im Sattel und die Abfahrt wartet mit einigen fiesen Gegenanstiegen auf, die erstaunlich lange und teils auch steil sind.

Hat man Trinidad erreicht geht es in die High Plains und schließlich in die Great Plains nach Kansas. Hier habe ich nur einen Vorgeschmack bekommen. Wie es sich anfühlt übermüdet und erschöpft durch diese endlos scheinenden Gebiete zu fahren kann ich nur erahnen. Der Wind wird hier eine ganz entscheidende Rolle spielen.

Aber natürlich  nicht nur hier. Ich hatte auf den meisten Streckenabschnitten recht ordentlich Wind, meist von vorne oder von der Seite, aber auch einen Tagesabschnitt mit sehr heftigem Rückenwind. Die Windsituation auf den ersten tausend Kilometern hat bedeutenden Einfluss darauf wie erschöpft und wie schnell man die größeren Anstiege erreicht. Das ganze Rennen wird nicht unerheblich durch das Wetter beeinflusst.

So wird eine Verbesserung der Rekordzeit vom letzten Jahr oder Stefan Schlegels Versuch den deutschen Rekord zu brechen sicher auch nur dann gelingen, wenn das Wetter es zulässt. Der Unterschied auf gerader Strecke lag bei 0 Watt für 61 km/h und 300 Watt für 15 km/h. Und die Unterschiede können natürlich noch größer sein.

Die Sonne und die Trockenheit spielen neben dem Wind auch eine Rolle. Da muss ich definitiv Vorkehrungen für die Nase bzw. die Atemwege insgesamt treffen. Sonnenschutz ist selbstverständlich, muss aber wirklich vollständig sein, auch das konnte ich während der ersten Woche lernen…

Die Hitze konnte ich nur erahnen, wir hatten einen Tag mit 33° C am Anfang der Anza-Borrego Wüste. Auf die 45° C oder mehr im Sommer kann ich mich nicht vorbereiten, ich muss mich halt vorher gut akklimatisieren, auf etwas moderatere Temperaturen in der Nacht hoffen und ansonsten durchziehen und viel trinken.

Das Material das ich im Trainingslager benutzt habe war nicht mein Wettkampfmaterial. Ein direkter Test von Fahrrad und Laufrädern war so nicht möglich. Aber ich erwarte da keine großen Überraschungen. Ich werde aber wohl mit einer anderen Übersetzung fahren. Das 50er Kettenblatt gibt mir zu wenig Möglichkeiten bei sehr guten Bedingungen. Wenn ich denn dann mal Rückenwind habe, möchte ich das natürlich auch ausnutzen können.

Alles in allem war das Trainingslager für mich und Marco eine wertvolle Erfahrung im Hinblick auf das RAAM im Juni. Es gibt einem etwas Sicherheit wenn man alles schon mal gesehen hat, einige Abläufe testen konnte und sich einfach mit Land und Leuten anfreunden konnte.

Sehr cool war, dass Marco sich die Zeit genommen hat mich bei dieser Aktion zu unterstützen. Nicht immer war es spannend für ihn, vor allem die letzten Tage waren sicher anstrengend und ich weiß auch, dass er auf einige eigene Radeinheiten verzichtet hat um mich bei diesem Trainingslager zu begleiten, was ich sehr zu schätzen weiß. Also nochmal Danke dafür!

Mit diesen zweieinhalb Wochen ist nun wieder ein weiterer Vorbereitungsblock abgeschlossen und wir befinden uns in der heißen Phase der Vorbereitung. In 10 Wochen wollen wir gesund und fit als Team am Start stehen. Alles weitere werden wir dann sehen.

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3 Kommentare

  1. Karsten 1. April 2014

    Hallo Guido,

    Hut ab, das ist echt ganz großes Kino! Tolle Fotos und Texte und natürlich eine große persönliche Leistung. Ich freue mich schon auf die Berichte zum RAAM. Da bekommt man so richtig Lust, auch mal was (vielleicht nicht ganz so Extremes 😉 anzugehen. Ich drücke Dir und Deinem Team ganz fest die Daumen, dass Du inkl. Team gesund und mit viel Spaß das RAAM absolvieren kannst!

    Sportliche Grüße
    Karsten

  2. Karin 4. April 2014

    Hallo Guido,
    habe heute sehr, sehr lange auf Deiner Seite „gestöbert“, sehr interessante Berichte.
    Ich fiebere schon dem RAAM 2014 entgegen.
    Es gab im letzten Jahr einen ganz guten Live Ticker (Schweizer) im Netz. Aber ich hoffe, dass es auch während dem RAAM einige persönliche aktuelle Infos auf Deiner Seite gibt.

    Für die restlichen 9 Wochen wünsche ich Dir noch gute Vorbereitung und komme gut, vor allem gesund durch die (Tor)Tour.
    Ich drück ganz fest die Daumen (und auch alle anderen Finger)

    Alles Gute Karin

  3. marcoghiglieri 5. April 2014

    Hi Guido, auch ich möchte dir danken für diese großartige Erfahrung.
    Es stimmt schon daß ich die letzten tage ein bißchen kämpfen mußte,aber die Gelegenheit dich bei diesem Projekt zu unterstützen,ist die Chance Teil eines grossen
    Traums zu werden und das wiegt mehr als alles andere was ich in dieser Zeit hätte tun können.
    LG Marco

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