steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Timmelsjoch 2 und Gletscherstraße 2017

Geplant hatte ich heute die Straße zum Rettenbachferner zu fahren, so wie die Zeitmessstrecke der Ötztaler Radtrophy vor einigen Jahren war, und dann zum Tiefenbachgletscher weiterzufahren. Den Automat für die Zeitmessung gibt es aber offensichtlich nicht mehr, eigentlich schade.

Beim Frühstück kommt mir das allerdings als Tagesprogramm etwas wenig vor. Vor allem direkt in die Gletscherstraße zu fahren ist mir zu heftig, da muss ich mich vorher warm fahren. Das Ötztal hinunter zu fahren ist wenig verlockend, viel Verkehr und keine sonderlich spannende Strecke. Ich habe auch noch den gestrigen Tag in den Knochen, da brauche ich eine motivierende Strecke.

So beschließe ich die Nordrampe des Timmelsjoch nochmal zu fahren, dann wieder hinunter nach Sölden, und dann, nach einer kurzen Erholungspause, die Gletscherstraße anzugehen. Auf dem Rad merke ich aber gleich, dass ich heute etwas weniger Leistung zur Verfügung habe. Vielleicht sollte ich die doch nicht am Timmelsjoch verballern und dann zum Rettenbachferner hochkriechen, sondern lieber nur warmfahren bis Zwieselstein oder Vent und dann umkehren.

So schraube ich mich in Gedanken verloren hinauf bis Zwieselstein, biege aber nicht nach Vent ab, sondern plane erst mal bis Obergurgl zu fahren. Als die Steigung hinter dem Ort anzieht bereue ich meinen Entschluss schon etwas. Wo gestern locker 350 Watt gingen, gehen jetzt kaum 300. Ich fahre sogar eher im G2 Bereich.

Die KH aus dem Frühstück sind noch nicht in den Muskeln angekommen, gestern war die Kalorienbilanz sicher negativ und ich fühle mich insgesamt etwas schwach. So kämpfe ich mich nach oben, durch die Lawinengallerien und durch den Serpentinenabschnitt, bis zur Seilbahnstation in Obergurgl. Ich fühle mich nicht super, aber umdrehen mag ich auch nicht. Ich beschließe es wenigstens bis Hochgurgl, bzw. zur Mautstation zu schaffen.

Die Steigung zieht nun wieder an, und eigentlich geht es ganz brauchbar, auch wenn ich meist um 280, 290 Watt fahre, so kann ich das mit meiner 34-32 Übersetzung noch ganz gut in annehmbarer Trittfrequenz bewältigen. Letztlich zieht sich der Anstieg zwar, aber gefühlt weniger als gestern, so dass ich die Mautstation mit soviel Energie erreiche, dass ich beschließe weiterzufahren.

Eine Zeit um anderthalb Stunden sollte schon drin sein. Ob ich allerdings die Gletscherstraße dann noch fahre? Ich glaube eher nicht. Da kann man ja nix dosieren, das würde nur elende Quälerei.

Mit diesen Gedanken nehme ich die kleine Zwischenabfahrt und der folgende lange, gerade Anstieg bestätigt mich nur. Ich komme zwar brauchbar voran und habe, nachdem ich schon die ganze Strecke etwas Gegenwind hatte, hier nun überraschender Weise keinen, aber es ist sehr anstrengend. So ziehen sich die Abschnitte zäh, und ich bin ziemlich froh endlich im Serpentinenteil zu sein, aber auch dort muss ich ordentlich ackern. Einzig das nun recht nahe Ziel hält die Motivation aufrecht. Ich bin nun sicher die Gletscherstraße nicht zu fahren, die ist einfach nicht mehr drin heute.

Aber auch der obere Teil ist gefühlt „kürzer“ als gestern, wenn auch anstrengender. Und so erreiche ich nach 1:31 Stunden die Passhöhe. Diesmal bei strahlendem Sonnenschein. Unten war es mir fast schon zu warm, hier oben ist es nun angenehm kühl. Ich habe auch keine langen Handschuhe mitgenommen und nur die Weste eingepackt, die ziehe ich allerdings schon an für die Abfahrt.

Ich rolle eher gemütlich nach unten, studiere nochmals die Streckenabschnitte und bin nach 37 Minuten wieder unten in Sölden. Kurz hatte ich überlegt doch in die Gletscherstraße abzubiegen, aber wenn fahre ich ja eh von unten, also ungefähr ab Höhe Gaislachkogelbahn, denn dort stand der Automat für die Zeitmessung.

Jetzt fahre ich aber erst mal zum Bäcker, gönne mir einen Milchkaffee. Leider haben die keinen Kuchen der mich ansprechen würde. So hole ich mir noch einen weiteren Kaffee und gönne mir einen Müsliriegel den Katrin mir noch zugesteckt hatte.

Ich sitze ein paar Minuten, aber die machen die Bäckerei gerade zu, es ist halb eins und ich beschließe es doch zu probieren mit der Gletscherstraße. Wenn es nicht geht kann ich ja ggf. in der ersten oder zweiten Kehre nach Hochsölden abbiegen, da einen Kaffee trinken und mich von Katrin abholen lassen. Eigentlich sind wir aber am Tiefenbachferner verabredet.

Ich überlege welche Zeiten ich bis jetzt an der Gletscherstraße gefahren bin, weiß es aber nicht mehr. War das 1:05 h oder war das die Fabelzeit von dem kleinen Franzosen der damals im Alpina Trainingscamp so sensationell gut berghoch gefahren ist? Bin ich nicht eher anderthalb Stunden gefahren? Ich kann mich nicht mehr erinnern.

Aus Sölden raus geht es nun wieder steil berghoch, an der Feuerwehr vorbei, und dann kommt auch schon der Abzweig hinauf zu den Gletschern. Die erste Rampe ist schon brutal. Vor allem bleibt es genau so die ganze Strecke hinauf. Nur an den wenigen Kehren und an der Mautstation kann man kurz durchschnaufen, sonst immer um 13% Steigung. Für mich einfach nur brutal.

Allerdings komme ich die erste Rampe schon noch hinauf. Hatte ich mir nicht mehr zugetraut, jetzt fahre ich aber an der ersten Kehre, und auch an der zweiten, weiter. Ein paar Downhiller begegnen mir, die fahren wahrscheinlich mit der Gondel hoch. Wäre vielleicht auch nicht schlecht…

Ich kämpfe ziemlich am Limit, Trittfrequenz ist nicht viel, dementsprechend muss ich mehr Kraft aufwenden, dementsprechend werden die Beine schneller müde, dementsprechend sinkt die Trittfrequenz, dementsprechend muss ich mehr Kraft aufwenden und/oder werde langsamer, ein Teufelskreis gegen den sich nur schwer ankämpfen lässt.

Bevor ich in negativen Gedanken versinke fährt von hinten plötzlich ein Rennradler an mich heran, und zu meiner angenehmen Überraschung ist es Stephan, den ich beim Peakbreak vor einigen Jahren kennengelernt habe. Wir haben da mal einen erfolglosen Ausreißversuch gestartet…

Nun quatschen wir eine ganze Weile und fahren nebeneinander her, war mir hilft mich nicht im Jammern über die steile Strecke zu verlieren. Wir unterhalten uns tatsächlich bis zur Mautstation, dabei wundere ich mich selbst, dass ich überhaupt die Power habe zu reden. Aber wir reden u.a. natürlich auch über das RAAM, ein Thema für das ich immer noch ein Quentchen Energie finde 😉

So überstehe ich die scheinbar unendlichen 13% Abschnitte, die recht wenig kurvenreich nach oben ziehen. An der Mautstation muss ich dann ganz schön durchschnaufen. Vor allem wird es danach gleich wieder sehr sehr steil. Dort verabschiedet sich Stephan dann auch und fährt davon. Ich versuche nur irgendwie hochzukommen und weiß jetzt schon, dass ich mich mit Katrin sicher nicht am Tiefenbachgletscher, sondern am Rettenbachgletscher treffen muss, denn ich kann keinen Meter zusätzlich fahren. Auch wenn ich den Rosi Mittermaier Tunnel gerne mal gefahren wäre, da mir das bis jetzt immer verwehrt blieb wenn ich hier war.

Ich muss sehr kämpfen, dann kommt nochmal kurz Entlastung bevor es sehr sehr lange geradeaus geht bis zur nächsten Serpentine. Wirklich lange. Und steil. Ich kämpfe und kämpfe, Stephan ist mittlerweile über zweihundert Meter vor mir.

Die seltsame Trennung von Beinen und Kopf scheint sich nun langsam aufzulösen und irgendwie sind sich nun beide einig, dass es ein gute Idee wäre stehen zu bleiben. Ich wehre mich heftig dagegen. Nur bis zur ersten Kehre kommen! Die Leistung sinkt, vor allem aber die Trittfrequenz, ich trete deutlich unter 60. Dann geht nichts mehr, ich muss tatsächlich stehen bleiben. Verdammt.

Ich schnaufe kurz durch und setze mich dann wieder auf‘s Rad. Ein paar Meter geht es dann wieder besser, ich trete über 300 Watt, aber das verpufft schnell und ich bin wieder bei 250 Watt. Das ist einfach zu wenig für mein Systemgewicht bei 13 % Steigung.

Aber ich trete weiter und weiter, nochmal zieht es sich gefühlt ewig bis ich endlich die verdammte Kehre erreiche. Vorbei an desinteressiert wirkenden Ziegen fahre ich in die nächste Kehre, die Leistung sinkt, sinkt und ich muss wieder vom Rad. Ich bin wirklich platt. Was nutzt‘s ich muss ja irgendwie hoch. Also durchschaufen, weiterfahren, die zehn Meter mit 300 Watt „genießen“ und dann wieder mit 50er Trittfrequenz dahinquälen.

Quälen ist momentan gar nicht mein Ding. Ich würde am liebsten an dem links von der Straße fließenden Bach auf der Wiese liegen und ein Buch lesen. Aber jetzt läuft mir der Schweiß in Strömen, die Beine kämpfen, der Kopf ist müde, die Hände kribbeln, ich muss kämpfen.

Dann lässt die Steigung endlich auf erträgliche 10% nach. Jetzt kurbelt es sich fast angenehm. Die Trittfrequenz kommt wieder etwas zurück. Noch 2000 Meter. Es ist ein Kampf, aber ich komme dem Ziel näher und näher. Es kommt der Abzweig zum Tiefenbachgletscher, aber ich fahre ja geradeaus und werde erst mal eine Apfelschorle trinken, denn Getränke habe ich schon seit meinem ersten Stehenbleiben nicht mehr.

Zu meinem Entsetzen ist am Rettenbachferner aber Baustelle. Das Restaurant hat zu. Ich fahre durch die Baustelle um das Ziel der alten Zeitmessstrecke zu erreichen. Nach 1:26 stempele ich virtuell ab. Puh, das hat doch ganz schön gedauert, ich lege mich erst mal über den Lenker und schnaufe durch, der Schweiß rinnt noch immer in strömen. Die Sonne hat ganz schön geknallt in der Auffahrt. Hier oben ist es allerdings recht kalt.

Das verdammte Cafe hat aber tatsächlich zu, ich bekomme hier nichts zu essen und zu trinken, ich muss also tatsächlich bis zum Tiefenbachgletscher weiterfahren. So komme ich also doch noch zum angeblich höchsten mit dem Rennrad befahrbaren Punkt der Alpen (2830 Meter, höher sogar als der Col de la Bonette), wenn auch nicht ganz freiwillig.

Hoffentlich geht es im Tunnel nicht bergauf, der ist immerhin ca. zwei Kilometer lang. Zunächst fahre ich ein Stück bergab, dann durch die kleine Kuhle und steil hinauf zum Eingang des Tunnels. Der ist zwar beleuchtet, aber eher schwach, außerdem ist es saukalt und der Wind pfeift mir entgegen. Und natürlich geht es ununterbrochen berghoch im Tunnel. Durch den Gegenwind kann ich schlecht abschätzen wie steil.

Man kann schon bei Einfahrt in den Tunnel das Licht am Ende sehen, er geht schnurgeradeaus. Immerhin etwas Motivation. Aber die Strecke zieht sich gefühlt sehr. Zumal ich nun wirklich platt bin. Aber nach dem Tunnel kommt nicht mehr viel, das weiß ich, so dass ich die Motivation aus dem nahen Ziel ziehen kann.

Und dann nach gefühlter Ewigkeit endlich das Ende des Tunnels, die Straße flacht ab und ich fahre ins gleißende Licht. Ich kann schon auf den Parkplatz schauen, wo ich mein Auto erblicken kann und fahre noch die paar hundert Meter bergab. Dabei muss ich meine Freude über das doch noch erreichte Ziel laut herausschreien.

Das war jetzt richtig hart, aber nun kann ich trockene Klamotten anziehen und Kaffee trinken! Wie geil. Eine brutale Quälerei und doch ein saugeiler Radtag mit nochmal fast 3000 Höhenmetern.

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