Bei strömendem Regen sitze ich im Auto, noch eine halbe Stunde bis zur kurzen Einführungsrunde. Gerade war die Streckenbesprechung. Also mit meinem Fahrrad ohne Bremsen wird die Abfahrt richtig unangenehm. Ich werde wahrscheinlich eine Stunde für die erste Runde brauchen. Ich ärgere mich sehr darüber, dass so ein Pfennigartikel mir das Ganze hier zum Abenteuer macht. Meine Stimmung ist mies, das Wetter ist schlecht, mein Rad nicht ok. Ich nehme mir trotzdem 15 Runden vor… Wäre ich doch nur auf Andreas Geburtstag gegangen und hätte den Kram hier sausen lassen!
Nochmal steige ich im strömenden Regen aus, nehme die letzten Einstellungen am Rad vor und kalibriere die Höhenmeter an den Radcomputern, dann stecke ich eine Plastiktüte über den Sattel damit ich nicht gleich im Nassen sitze, decke den Lenker mit meiner Jacke ab, mache das Schutzblech ans Hinterrad (Lightweights und Schutzblech ist eine echte Stilsünde am Rennrad, aber für die Sitzfläche hilft es halt enorm, denn je länger halbwegs trocken, desto weniger unerwünschte Reibung) und setze mich nochmal etwas ins Auto.
Ich fahre in kurzen Hosen mit Knielingen und natürlich Regenjacke. Helmmütze muss auch sein, denn nass in der Abfahrt wird es sonst ganz schön kalt am Kopf. Handschuhe kurz, denn die Hände werden eh nass, und damit habe ich mehr Gefühl beim Bremsen und kann auch die Radcomputer noch bedienen.
Dann endlich um kurz vor 19 Uhr der Aufruf in die Startaufstellung zur Einführungsrunde. Es regnet in Strömen. Genauso wollte ich das nicht haben. Mein erstes Event auf einer Ultrastrecke und dann Scheißwetter und zuviele Höhenmeter, dazu noch das angeknackste Selbstvertrauen durch den miesen Leistungstest. Eigentlich müsste ich missmutig sein. Aber mir ist jetzt eher so „egal“ zu mute. Die Schirmherrin verzichtet klugerweise auf die Begleitfahrt im offenen Cabrio, ein bisschen übliches Vorstartgeplauder, und dann werden wir auf eine erste fünf Kilometer Schleife durch Fell geschickt.
Start zur Einführungsrunde |
Für mich ist diese relativ langsam gefahrene Einführungsrunde, auf der man sich schon mit dem ersten Teil der Streckenführung vertraut machen kann, eine gute Gelegenheit die Bremsen zu testen. Und siehe da so schlimm ist das gar nicht. Felgenbremsen bei strömendem Regen bremsen nun mal nicht so besonders gut, aber viel schlechter als Felgen mit Alubremsflanke bremsen die Lightweights auch nicht. Ich hoffe in der langen Abfahrt ist das nachher genauso.
Die Straßen sind ganz schön geflickt, eine perfekte Rennradstrecke ist das im ersten Teil nicht, aber das wurde in der Fahrerbesprechung schon angedeutet. Nur ernst genommen habe ich das da nicht. Dafür soll der Belag in Thomm ja super sein…
Der Regen lässt etwas nach, vielleicht haben wir ja Glück und es hört rechtzeitig zum Start auf? Als wir wieder im Start-/Zielbereich angelangt sind und uns für den eigentlichen Rennstart aufstellen gibt der Himmel die Antwort. Es regnet wieder richtig heftig. Trotzdem freue ich mich jetzt darauf endlich zu fahren.
Rennstart |
Es wird nicht gleich so losgerast wie bei „Rund um den Finanzplatz“ oder auch beim Glocknerkönig. Aber lockeres dahinradeln ist das auch nicht. Ich fahre erst mal los ohne großen Matchplan. 15 Runden heißt das Ziel. Alles andere wäre eine Zugabe. Wieviel Runden ich bis zur ersten Pause fahren will habe ich nicht festgelegt, aber so fünf sollten es schon sein.
Im ersten flacheren Abschnitt fahre ich neben einer anderen Starterin her, und da es gerade wieder in Strömen regnet sage ich etwas ironisch zu ihr „wenigstens kein Gegenwind“. Täuschen kann man sich…
Die Strecke erscheint mir etwas verwirrend, aber durch die Einführungsrunde finde ich mich doch zurecht, außerdem ist alles schön abgesperrt und markiert. Und zu meiner Überraschung werden wir trotz Regen von Anfang an von den Fellern angefeuert. Oft haben die ihre Garage mit Bierbänken zum Partyraum umfunktioniert und den Grill angeworfen, oder einen Pavillion vors Haus gestellt. Wirklich gute Stimmung, respekt.
Dann geht es das erste mal in den Thommer Berg. Und wenn ich bis dahin die Hoffnung hatte, dass ich mich vielleicht doch vom Streckenprofil habe täuschen lassen, dann ist diese Hoffnung spätestens jetzt dahin. Der Anstieg ist nicht böse, aber hat zwischendurch doch auch zweistellige Steigungsprozente, also Kilometerfressen ist hier nicht. Ich hoffe nur, dass mein Knie nicht meckert, das hat die ganze Woche schon so gegrummelt.
Jetzt wo ich hier im Rennen fahre sind die ganzen negativen Gedanken der Woche allerdings weg. In der ersten Runde werde ich relativ vorsichtig fahren um die Strecke kennenzulernen und ein bisschen einzurollen. Berghoch in Richtung Thomm ist es mit „rollen“ natürlich nicht so, gleich am Ortsausgang Fell geht es richtig berghoch, die Kette wandert nach links. Bis zur ersten Kehre zieht es sich ganz schön, und auch zur zweiten Kehre ist der weg gefühlt sehr lange. Nur kurz vor der ersten Kehre kann man für ein paar Meter einen Gang hochschalten. Nach der zweiten Kehre hat man ein paar hundert Meter wo man zwei, drei Gänge hochschalten kann.
In der ersten Kehre des Thommer Berges |
Was ziemlich geil ist im Berg, dort gibt eine Veranstaltung die heißt Race Rock. Kurz vor der zweiten Kehre hört man plötzlich Musik, die von der anderen Talseite reflektiert wird, dann verschwindet sie kurz um dann langsam lauter zu werden, weil man auf die Bühne zufährt wo die Musik herkommt. Nach einer Rechtskurve hat man dann den Sound mit aller Gewalt. Und während oft bei Veranstaltungen der übliche „Party-Saufen-Pseudogutelaune-Aprésski-Schwachsinnsmix“ läuft, gibt’s hier richtige Rockmusik!
Zwar ist wegen dem Scheißwetter nur wenig los, aber ich freue mich über die geile Musik. Hier ist man ja schon recht weit oben im Anstieg und da motiviert das nochmal.
Am Race Rock Gelände vorbei kommt man aus dem Wald heraus und die letzten Steigungskilometer in Richtung Thomm werden etwas flacher. Und da bläst uns jetzt doch tatsächlich Gegenwind entgegen. Ja super, Anstieg, Regen und Gegenwind, genauso will man das zwanzig Stunden lang haben…
Ich sehe zu, dass ich an irgendwelchen Hinterrädern bleibe, auch wenn mir dadurch natürlich das dreckige Spritzwasser ordentlich ins Gesicht spritzt.
Bis jetzt sind immer andere Fahrer um mich herum, wenn auch nicht sehr viele. Schon ein krasser Unterschied zu den Massenveranstaltungen mit zwei-, dreitausend Fahrern an denen ich bis jetzt teilgenommen habe. Es gibt knapp 50 Einzelstarter, einige haben wohl wegen des Wetters noch zurückgezogen, und knapp 40 Teams. So sind wohl immer nur so um die 90 Fahrer auf der Strecke. Ist irgendwie ganz angenehm. Aber Kilometerfressen in großen Gruppen wird da kaum möglich sein. Das gibt die Strecke aber sowieso nicht her. Kurz flammt wieder meine Unzufriedenheit über meine etwas unglückliche Auswahl mit diesem Vorbereitungsrennen für den Schweizer Radmarathon in zwei Wochen auf.
Aber bei der Einfahrt nach Thomm werden wir schon wieder kräftig angefeuert, so dass das schnell vergessen ist. Bis zum höchsten Punkt ist es noch ein Stück. Die Wegführung ist kurz etwas verwinkelt, und immer noch bremse ich recht früh, aber dann ist er erreicht. Dort am höchsten Punkt gibt es ein Tor das man durchfährt mit der Aufschrift „Ab hier geht’s bergab“. Außerdem ist dort ein Partyzelt und jeder der vorbeifährt bekommt eine La-Ola-Welle. Cool.
Noch ein Stück durch den Ort, dann am Ortsausgang fährt man auf der geteilten Fahrbahn. So kommen einem die entgegen, die gerade das letzte Stück des Thommer Berges gemeistert haben. Dann links ab in einen Feldweg. Feldweg?
Jep, tatsächlich führt die Strecke jetzt über einen geteerten Feldweg, und der Belag ist ganz schön schlecht. Wurde in der Fahrerbesprechung zwar erwähnt, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Vor allem nach einer 90° Kurve wo auch durch den Regen etwas Schmutz liegt wird der Asphalt sehr brüchig. Hier würde ich niemals freiwillig mit dem Rennrad fahren. Da wir ja bergab fahren und ordentlich Tempo draufhaben gibt es ordentlich Schläge auf Rad und Körper.
Allerdings geht es hier dann erst mal nur gerade aus an der Bundesstraße entlang. Dann wird der Asphalt glatt und es geht nach einer erneuten scharfen Rechtskurve in eine ordentlich steile Abfahrt durch den Wald. Sehr schöne Strecke, allerdings liegt auch mal ein kleiner Ast oder so auf der Strecke, schließlich fahren wir durch den Wald.
Der Belag ist hier sehr gut, und jetzt wird sich rausstellen ob die Carbonflanken bei dieser Nässe auch aus hohem Tempo bremsen. Wenn nicht wäre blöd…
Aber wie schon vorher, der Unterschied zu den Alurädern ist gering. Felgenbremsen bremsen bei Nässe immer grottig, da macht das mit den Carbonbremsflanken keinen großen Unterschied mehr. Auch wenn ich vorsichtig fahre und mich ein paar überholen, so komme ich doch gut mit der Abfahrt zurecht. Die läuft dann in eine Spitzkehre, wo vorsichtshalber schon mal ein DRK Fahrzeug steht, hier muss man praktisch auf Null runterbremsen, dann beschleunigt man wieder und kommt an eine etwas fiese doppelte Rechtskurve. Der Typ der mich eben gerade überholt hat ist hier wohl kurz geradeaus gefahren, denn als ich vorbei fahre steigt er gerade fluchend wieder auf sein Rad…
Die Strecke ist schon sehr schmal, da es eben keine Straße ist, sondern eher so ein Wanderweg, ich würde sagen so knapp ein Auto breit. Der Teil nach der Doppelkurve ist ganz ok zu fahren, bei den nächsten Runden werde ich hier sicher ohne bremsen durchkommen.
Dann kommt man wieder nach Fell rein, und hat hier, nach drei recht eckigen Kurven mit ordentlich Gefälle/Steigung, aber doch nochmal einen kleinen Anstieg, bevor es in die letzte Abfahrt und schließlich nach einem kleinen Gegenanstieg in die „Zeitnehmschleuse“ am Sportplatz geht. Auch in diesem letzten Abschnitt werden alle Fahrer von den Zuschauern, die an den markanten Streckenteilen stehen kräftig angefeuert.
An der Zeitschleuse muss man fast auf Null abbremsen, fährt dann anschließend durch die Wechselzone wo auch die Boxenparkplätze sind und wieder durch Start/Ziel auf die nächste Runde.
Also das war doch ganz ok, trotz strömenden Regens. Ich hatte mal grob geschätzt, dass ich so um die 45 Minuten fahren würde, und meine Schätzung scheint hinzukommen. Diese erste Runde hat gut 40 Minuten gedauert. Schneller werde ich wohl höchstens in der zweiten Runde fahren können, da ich dann noch einigermaßen frisch bin, die Strecke aber schon kenne. Danach werden die Rundenzeiten wohl immer weiter ansteigen.
Da ich ohne rechten Matchplan ins Rennen gegangen bin, habe ich jetzt auf der zweiten Runde Zeit mir was zu überlegen. Interessanterweise fahre ich erstmal fast ganz alleine. Ich habe mich vollgepackt mit Getränken und Riegeln, so ähnlich wie bei Trondheim-Oslo. Da hat der Vorrat ca. 7 Stunden bzw. 250 Kilometer gereicht. Das wird hier sicherlich nicht so sein. Zuviel Höhenmeter, keine Gruppen, und auch wenig Streckenanteil wo man von einer Gruppe profitieren würde.
Ich nehme mir vor fünf Runden zu fahren. Der Berg geht auch auf der zweiten Runde noch gut, als ich am Race Rock vorbei komme läuft Iron Maiden. Und auf der ungeschützten Strecke aus dem Wald bis Thomm finde ich sogar ein Hinterrad, so dass ich den Gegenwind etwas abmildern kann. An der Kirche links vorbei, das habe ich mir gemerkt, La Ola Welle am höchsten Punkt, dann das kurze Stück geteilte Fahrbahn (da hat man dann sogar Rückenwind) und drauf auf die Holperstrecke. Mein Specialized Roubaix ist ja dafür gebaut, und auch die Lightweights fahren sich recht bequem, aber Spaß macht mir dieser Teil nicht, obwohl es ja jetzt bergab geht. Im Wald bremse ich nur noch an drei, vier Stellen (wenn auch zu früh), Spitzkehre, Doppelkurve, weiter auf dem schmalen geteerten Weg, auf dem allerdings zwei heftige Schläge warten, wenn man nicht die optimale Spur trifft, rein in Fell, ordentlich bremsen, die drei verwinkelten Kurven mit Gefälle/Steigung, dann der etwas nervige Anstieg bei allerdings großartiger Unterstützung durch das Publikum, die letzte Abfahrt, bei der Anfangs eine fiese Senke im Asphalt ist (hatte ich doch in der ersten Runde schon gemerkt, hab’s aber wieder vergessen = heftiger Schlag in die Knochen), dann die letzte scharfe Kurve viel zu früh angebremst, aber da in der Bremszone auch ein Kanaldeckel ist bei Regen lieber auf Nummer sicher, und dann Gegenanstieg, in die Zeitmessschleuse durch die Wechselzone und ab in die dritte Runde.
Jetzt bin ich mittlerweile ganz alleine. Noch fahre ich ohne Licht, auch wenn es schon ganz schön dämmrig ist. Immer noch feuern einen die Leute im Dorf an, die haben wirklich Durchhaltevermögen. Der Regen scheint zwischendurch immer mal aufzuhören, um dann umso heftiger wieder zurückzukommen. Meine Füße sind schon seit der zweiten Runde nass, aber noch sind sie nicht zu kalt, denn im Anstieg werden die schon warm…
An der ersten Kehre haben sich die zwei Fotografen von Sportograf plaziert. Also da die Nase nochmal abgewischt und möglichst gut aussehen. Auch beim dritten mal geht der Berg noch ganz gut. Den Song am Race Rock kenne ich nicht, geht aber gut ab. Am Berg konnte ich immer mal einen überholen, ein schneller fährt oben einen Tick zu früh an mir vorbei, so kann ich mich nicht dranhängen im jetzt kommenden windigen Abschnitt. Schade! Ich schließe auf zwei Fahrer auf, die sind mir aber wiederum zu langsam, also fahre ich im Wind. Im flachen Abschnitt vor der Fahrbahnteilung und dem Ortseingang Thomm esse ich einen Riegel. In der zweiten Runde habe ich angefangen zu essen und regelmäßig gibt es einen Schluck Sponser Long Energy, mein geliebtes KH-Getränk. Allerdings schmeckt es diesmal eher bescheiden, recht fad. Aber ich denke mal ich muss ordentlich essen, damit ich nicht einbreche wie jetzt schon zweimal passiert. Hungrig bin ich allerdings überhaupt nicht.
Auch beim dritten mal gibt es am höchsten Punkt eine La Ola, auf den ersten Teil der Abfahrt freue ich mich aber nicht, das Geholper nervt mich etwas, ich finde das anstrengender als berghoch fahren. Der glatte Asphalt durch den Wald ist zwar super, aber bei regennasser Fahrbahn muss man schon sehr konzentriert fahren, so dass es kaum einen Abschnitt gibt, wo man länger mal entspannen kann. Bei der Fahrt durch die Wechselzone zeigt mein Radcomputer immer noch eine niedrige vierziger Zeit, klappt doch ganz gut. Vielleicht fahre ich auch mehr als fünf Runden.
Auch die vierte Runde geht gut, der Fotografin an der ersten Kehre im Thommer Berg kündige ich an, dass sie mich jetzt gut ablichten möge, den das sei die letzte Runde in der ich noch lächeln könne. Die hat übrigens gelächelt bis zu ihrem Dienstschluss… Noch ist die Zeit unter 45 Minuten.
Mittlerweile ist es dunkel und wir fahren alle mit Licht. Die meiste Zeit fahre ich alleine. Am Berg sieht man dann die wackelnden roten Lichter vor sich auftauchen. Ich versuche schon die als Ziele zu nehmen, aber insgesamt fahre ich eher mein Ding durch, denn man kämpft ja nicht um Position. Auch weiß man von hinten ja nicht, ob der andere Fahrer vielleicht ein Teamfahrer ist, der gerade eine Stunde oder mehr Pause hatte. Nur einmal ist es klar, als ein Teamfahrer mich nach dem Weg fragt, offensichtlich auf der ersten Runde für heute.
Ich habe mich ehrlich gesagt nicht gut vorbereitet auf dieses Event. Zwar hatte ich mir noch ein richtiges Licht bestellt, das kam aber erst am Freitag, deshalb bin ich doch mit meiner BuM Ixon IQ gefahren. Für die Fahrt zur Arbeit ok, aber um mit 60 km/h bei Regen auf einem schmalen Waldweg zu geißeln schon grenzwertig. Aber da ich die Strecke ja mittlerweile kenne kein Problem. Allerdings haben manche Scheinwerfer mit denen man ganze Fußballstadien ausleuchten könnte, und die beneide ich schon. Schön ist es wenn die mal hinter einem fahren, dann profitiert man auch von dieser Orgie aus Licht.
Die fünfte Runde liegt bei ca. 45 Minuten, also die Zeit, die ich auch abgeschätzt hatte. Ich beschließe weiter zu fahren, so lange bis die Zeit auf 50 Minuten absackt oder meine Getränke leer sind.
Die sechste Runde ist eine Minute langsamer, hat sich aber im Berg schon etwas anstrengender angefühlt. Fies ist es, wenn von hinten der funzlige Schein einer Lampe auftaucht. Da es schon immer etwas dauert bis man eingeholt wird, und die Lenker beim Kampf am Berg immer etwas hin und her wackeln, zittert sich der Lichkegel immer größer, bis dann der zugehörige Radfaher neben einem auftaucht und dann als rotes Licht wieder verschwindet, mal langsam mal aber auch gemein schnell.
Ich habe mit meinem Frontlicht etwas Probleme, weil ich es nicht sehr geschickt befestigt habe. Erst leuchtet es auf den Radcomputer statt auf die Straße, dann kann ich es zwar etwas verschieben, aber auf der Holperstrecke kippt die Lampe immer wieder nach hinten und leuchtet in den Himmel. Ziemlich blöd, da ich dann nichts mehr sehe. In Fell und in Thomm ist das kein Problem, da dort der größte Teil der Strecke durch die Straßenlaternen beleuchtet ist, aber an den vielen unbeleuchteten Abschnitten ziemlich blöd, weil man in ein schwarzes Loch fährt.
Ich schiebe die Lampe immer wieder nach unten, aber gerade in der Abfahrt brauche ich die linke Hand auch zum Bremsen, und so muss ich manchmal zwischen beidem entscheiden, was dann dazu führt, dass ich nix sehe UND die Hand nicht rechtzeitig am Bremshebel habe. Das verleitet mich wiederum dazu, etwas grober mit der Lampe umzugehen, so dass ich sie zwei dreimal in der Abfahrt komplett ausschalte. D.h. plötzlich sitze ich bei 60 km/h im dunkeln auf dem Fahrrad schmaler Weg, Kurve, Wald. Zum Glück haben die in der Abfahrt so kleine rote Lampen alle dutzend Meter in den Boden gesteckt. Die beleuchten zwar nicht den Weg, aber da sie links stecken, weiß ich das rechts davon der Weg sein muss. Es dauert immer nur ein paar Sekunden bis ich die Lampe wieder anschalten kann, aber der Adrenalinspiegel steigt dann kurzzeitig doch heftig an.
So langsam gehen mir die Getränke aus, ich beschließe nach der 7. Runde meine erste Pause zu machen. Es hat größtenteils aufgehört zu Regnen. Die Tendenz geht jedenfalls mehr in Richtung Nieseln, je nachdem auf welchem Teil der Strecke man sich befindet.
Der Berg geht noch, aber ich fahre jetzt doch einen Gang kleiner als vorher. Als ich kurz vor der zweiten Kehre bin, wo die Musik vom Race Rock durchs Tal schallt läuft gerade „Eruption“, wie geil ist das denn. van Halen zum Klettern. Und als ich an der Bühne vorbeikomme läuft Crazy Train von Ozzy. Alleine dafür macht es schon Spaß das Rennen zu fahren. Ich überlege kurz ob ich den Race Rockern die „Pommesgabel“ gebe und lauz Ozzy, Ozzy brülle, lasse es aber und versuche die Energie gegen den Wind einzusetzen und mich vom Crazy Train Solo den Berg hochpeitschen zu lassen. Auch jetzt wo es so auf ein Uhr zugeht, gibt es am höchsten Punkt eine La Ola, ich glaube die Jungs und Mädels hier sind jetzt erst richtig warm.
Dann geht es in die Abfahrt, wieder kämpfe ich mit meiner Lampe. Als es von der Holperstrecke auf den glatten Asphalt und nach der scharfen Rechtskurve hinunter durch den Wald geht hat sich meine Lampe wieder nach oben gerüttelt. Zwei Radfahrer sind hinter mir, als ich laut fluchend die Lampe mit Gewalt nach unten drücke. Wieder geht das Ding dabei aus. Mist. Ich versuche die Lampe wieder anzuschalten, aber diesmal geht’s nicht. Ein lauter Fluch, dann nochmal, jetzt ruhig bleiben und die Lampe wieder einschalten!! Ich höre nur ein seltsames Klappern von der Lampe.
Ich fahre gerade mit 50 oder 60 km/h auf diesem schmalen Waldweg es ist stockdunkel ich sehe absolut nur schwarz und hinter mir sind zwei andere Radfahrer die genauso schnell sind, ich kann unmöglich richtig in die Eisen gehen oder stehenbleiben.
Laut fluchend versuche ich die Lampe wieder in Gang zu bringen, zwischendurch versuche ich die Geschwindigkeit so zurückzunehmen, dass die anderen reagieren können. Die sind mittlerweile dicht hinter mir und haben hoffentlich mein Problem erkannt. Ich bekomme die Lampe nicht angeschaltet. Ich muss irgendwie hier runterkommen, bis zur Spitzkehre, die ist am DRK Zelt beleuchtet.
So rase ich im dunkeln die Abfahrt hinunter, ich orientiere mich an den roten Positionslichtern und fahre nach Gefühl, die hinter mir haben das nicht gecheckt. Der eine fährt mit Licht noch langsamer und ist weg, der andere fährt nicht nah genug hinter mir, als dass ich von seinem Licht profitieren könnte, vorbeilassen geht auf diesem Streckenabschnitt im dunkeln schlecht, denn ich kann ja nicht nach rechts fahren, weil ich keine Ahnung habe bis wohin die Fahrbahn geht, alles schwarz. Was für ein Ritt, ich versuche die Strecke zu erfühlen, bin jetzt zum Glück schon sechsmal hier gefahren und kenne die Kurven, aber sich ganz auf diese roten Lämpchen zu verlassen und zu hoffen, dass rechts davon der Asphalt ist erfordert viel Naivität. Und die fehlt mir eigentlich.
Aber irgendwie geht’s. Kurz vor der Kehre habe ich es geschafft den anderen vorbei zu lassen, aber der hat meine Situation nicht wirklich gecheckt, so dass ich nicht hinter ihm herfahren kann. An der Spitzkehre im Licht versuche ich nochmal meine Lampe einzuschalten, geht aber nicht. Also fahre ich im dunkeln weiter. Nach der Doppelkurve wirds nochmal spannend. Wieder nur rote Positionslichter, für meinen Geschmack etwas zu weit auseinander. Und dann endlich die erste Straßenlaterne. Puh, das war hart. Wie gut, dass ich jetzt meine erste Pause mache, dann kann ich mich gleich um die Mist Lampe kümmern. Vielleicht sind die Akkus platt?
In der Wechselzone angelangt stelle ich fest, dass sich die ganze Lampe geöffnet hat, und die Akkus keinen Kontakt mehr hatten, da konnte ich lange dran rumschalten. Egal, heil durchgekommen, neue Batterien rein, und jetzt erst mal was essen. Die Zeit war mit gut 48 Minuten für eine Dunkelfahrt eigentlich gar nicht schlecht. Brauch ich aber nicht nochmal.
Kurze Pinkelpause, dann versuche ich die Lampe besser zu befestigen, und ich überlege kurz ob ich mich umziehen soll, da ich schlicht komplett durchnässt bin. Bringt aber nix, denn die neuen Klamotten wären ja auch gleich wieder nass und außerdem waren die Füße trotz nässe noch einigermaßen warm, naja jedenfalls nicht eiskalt.
Dann will ich essen. Da es keinen Verpflegungsstand, wie bei den bisherigen Veranstaltungen die ich schon gefahren bin, gibt, habe ich vorher noch etwas eingekauft. Aber ohne Sinn und Verstand. Meine schlechte Laune die Woche hatte sich auch beim Einkauf niedergeschlagen. Irgendwie hatte ich noch im Sinn, dass ich am Schluss beim Alpenbrevet Brot und Schokolade gegessen habe, Schokolade habe ich gekauft, aber kein Brot. Milchreis und Grießpudding, da dachte ich das ist einigermaßen schleimig, falls ich Probleme mit dem Essen bekommen sollte. Und Bananen, ok die gehen immer. Dann finde ich noch Cashew Kerne und Paranüsse in der Essenskiste, oje und verschiedenste Proteinriegel. Aber auf Riegel habe ich überhaupt keine Lust.
Einen Tee würde ich gerne trinken, aber kaufen kann man nur Kaffee und ich will ja auch nicht stundenlang Pause machen und Essen gehen, sondern nur einen kurzen Boxenstopp machen. So richtig zum Sitzen habe ich auch nichts, da der Kofferraum des Kombis chaotisch mit Taschen und Laufrädern und Kisten befüllt ist. An Hinlegen ist schon gar nicht zu denken. Man könnte sagen ich bin schlecht vorbereitet…
So arbeite ich eine Banane, einen irgendwas-Riegel, einen Grießpudding ein paar Cashewkerne und einen viertel Liter Multivitaminsaft in mich rein. Tausche die Flaschen gegen volle aus und setze mich wieder aufs Rad. Das Ganze hat doch über eine halbe Stunde gedauert.
Es regnet noch ein bisschen oder schon wieder, ist aber egal, denn nass bin ich ja schon beim losfahren. Ich überlege kurz ob ich mir 6 Runden vornehmen sollte, und dann 5 usw. Ja das scheint ein guter Plan zu sein.
Kaum aus dem Ort raus merke ich schon am Berg, dass mein Verdauungssystem meinen Einkauf genauso chaotisch findet wie sich das oben geschilderte anhört. Naja wird schon. Die erste Runde geht, ich vergesse aber die Rundenzeit abzudrücken, muss also erst mal noch eine fahren um zu sehen wie es läuft. Fühlt sich nicht so frisch an wie im ersten „Stint“, aber geht noch. Nur der Bauch rumort. So liegen Runde 8 und Runde 9 so im mittleren bis hohen vierziger Bereich.
Sechs Runden das wird nix, das Rumoren im Bauch wird lauter. Das ist ja wie bei der letzten Nordkappetappe, dabei habe ich gar kein Rentiergulasch gegessen. (auch wenn ich wohl lieber ein Steak gegessen hätte als den Fraß den ich mir da eben kredenzt habe).
Drei Runden will ich allerdings mindestens fahren, denn dann habe ich die persönliche Finishergrenze von 10 Runden erreicht und werde sicher nicht letzter. Die 9. Runde ist dann bei über 49 Minuten. Ich hänge noch eine dran, muss dann aber nach der 11. Runde in der Wechselzone direkt zur Toilette abbiegen. Mist so früh schon die zweite Pause. Ich bin jetzt ca. achtdreiviertel Stunden unterwegs. Um meine geplanten 15 Runden zu schaffen habe ich noch über elf Stunden Zeit, da könnte ich mich ja theoretisch gemütlich ins Bett legen.
Nachdem ich von der Toilette zurück am Auto bin esse ich genau die gleichen Sachen wieder, wegen denen es mir gerade nicht so gut geht. Liegt wohl auch daran, dass es keine Alternative gibt und essen sollte ich schon was. Die klebrigen Riegel finde ich außerdem eklig.
Ich muss leider auch den Sattel neu ausrichten, denn im ersten, holprigen Teil der Abfahrt ist der bei einem heftigen Schlag nach hinten gekippt. Die Sattelstütze hat keinen sonderlichen guten Klemmmechanismus, das Problem hatte ich schon mal. Diesmal watze ich die Schraube ohne Rücksicht auf Drehmomentvorgaben mit Gewalt an. Ich hoffe das hilft.
So kommen über fünfzig Minuten Pause zusammen, in denen ich mir auch einen Satz trockene Klamotten gönne. Schon kurz nach der letzten Pause hatte es aufgehört zu regnen. Zwar ist die Strecke noch nass, aber in der Morgendämmerung macht der Blick zum Himmel Hoffnung. Jetzt sehe ich auch erstmals wie unglaublich verdreckt das Fahrrad ist, sieht aus wie nach einer Mountainbikeschlammschlacht. An meinen Beinen kann man nicht erkennen, dass ich keine langen Hosen trage. Deshalb lasse ich die Beinlinge an, alles andere wird gewechselt.
Trockene Füße, bis auf den kurzen Moment nach dem Start das erste mal für heute. Herrlich. Ich habe sogar auf die Regenjacke verzichtet. Dann ist es bergauf nicht so warm. In der Abfahrt bezahle ich allerdings dafür mit tiefgekühlten Armen. Egal. Die zwölfte Runde ist die letzte mit Licht. Jetzt hört auch das Gezacker mit dem ständigen nach oben drücken der Lampe auf. Trotzdem finde ich den ersten, holprigen Abschnitt nicht gerade entspannend, im Gegenteil diesen Abschnitt mag ich am wenigsten. Und auch wenn die Runde 12 und die Runde 13 von der Zeit her einigermaßen ok sind, so um 46 Minuten, merke ich jetzt doch die Abschnitte mit den schlechten Fahrbahnbelägen am ganzen Körper. Und die Senke vor der letzten Abfahrt vergesse ich jedesmal, also auch in der 13. Runde hole ich mir dort einen ordentlichen Schlag in Rad und Körper.
Die Anfeuerung hat naturgemäß etwas nachgelassen, da die meisten Thommer und Feller jetzt im Bett liegen, aber es gibt tatsächlich immer noch ein paar Verwegene die auch nachts um drei oder vier Uhr alle Radfahrer kräftig anfeuern. Am Race Rock Gelände sind nur noch ein paar Leute. Mittlerweile ist der Morgen angebrochen und in der 13. Runde läuft gerade Planet Caravan von Black Sabbath als ich dort vorbeifahre, meine Stimmung bekommt dadurch einen echten Schub.
Sonntagmorgen am Race Rock |
Doch der Bauch mag sich nicht beruhigen. Ich will eigentlich noch zwei Runden fahren um mein Ziel von 15 Runden sicher zu haben, aber nach der 14. muss ich wieder Richtung Toilette abbiegen. Dabei wäre ich gerne noch weiter gefahren.
Am Berg merkt man zwar, dass es jetzt richtig schwer fällt, aber am Stück fahren ist einfach besser als diese nervigen Unterbrechungen. Auch jetzt esse ich wieder das gleiche Zeug. Ich bin ja hier um zu lernen, und ganz klar, das ist ein Fehler aus dem ich lernen kann. Immer noch habe ich Lust auf ein saftiges Steak, obwohl es meinem Verdauungstrakt nicht so gut geht. Sobald ich zu Hause bin werde ich Ensure Plus testen. Da muss ich mir über die Zusammenstellung keine Gedanken machen, es ist flüssig, kein Einkaufsstress, gut zu handhaben, hoffentlich schmeckt es mir auch. Das mit der Lampe muss ich auch verbessern, aber hier werde ich die Lupine Piko testen.
So jetzt aber genug Zeit verschwendet, rauf aufs Rad. Eine Runde und mein Ziel ist erreicht. Dann habe ich fast 4400 Höhenmeter. Soviel wollte ich eigentlich gar nicht fahren. Allerdings sind es auch erst 255 Kilometer, das ist viel zu wenig. Ich beschließe noch eine Ehrenrunde dranzuhängen, dann sind es 16, das ist auch ok. Also noch zwei Runden.
In der Wechselzone |
Das linke Knie meckert kurz, beruhigt sich dann aber wieder. Man fährt ja die meiste Zeit alleine, aber ab und zu überholt man jemanden, und manchmal fährt auch jemand an mir vorbei. Ich weiß ja, dass die Teamfahrer natürlich jetzt viel schnellere Zeiten fahren als die Einzelfahrer, aber wenn, gerade berghoch, jemand einfach so an einem vorbeirauscht ist das echt frustrierend. Muss man wegstecken. Vom Fahren her geht die Runde ganz gut, aber wieder muss ich abbiegen Richtung Toilette, echt nervig.
Ich esse nix von dem Zeug was ich eingekauft habe, trinke nur noch Wasser und versuche einen Proteinriegel in der Runde zu essen, die Sponser High Energy Riegel, die ich sonst immer esse finde ich nur noch eklig. Das Gel, dass ich in den Runden zuvor genommen habe ist wiederlich süß, das KH-Getränk schmeckt elend bitter.
Wasser geht. Und auf der nächsten, also 16. Runde denke ich viel darüber nach was Wasser für ein fantastischer Stoff ist. Ich liebe Wasser. Vor allem Volvic und Vittel, das weiche, reine Gefühl beim Trinken, herrlich. Ich merke wie es meinem Bauch langsam bessert geht. Die Feller und die Thommer sind jetzt wieder aufgewacht, und da das Wetter so langsam richtig gut wird, frühstücken die teils draußen und feuern die Leute wieder kräftig an.
Fast die ganze Nacht hindurch gabs hier Unterstützung, am längsten haben wohl die am höchsten Punkt durchgehalten, so bis drei oder vier Uhr glaube ich. Dann nach einer kurzen Nacht gibts morgens schon wieder Anfeuerung, das ist schon echt klasse.
Mein Bauch fühlt sich zwar besser an, aber auch nach der 16. Runde muss ich gleich wieder abbiegen. Eigentlich wollte ich ja aufhören, da es mittlerweile definitiv mehr Höhenmeter sind als ich fahren wollte,aber es sind ja auch noch keine vierzehneinhalb Stunden rum. Da aufzuhören wäre irgendwie unsportlich. Mein Verdauungssystem hat sich weiter beruhigt, so esse ich den restlichen Milchreis und den Grießpudding.
Da sich der Sattel zum dritten mal verstellt hat, und sich der Sattel mittlerweile gar nicht mehr richtig befestigen lässt, muss ich die Sattelstütze tauschen. Ich habe tatsächlich eine dabei, da ich mir nicht sicher war welchen Sattel ich nehme. So baue ich die Sattelstütze um und bin gespannt wie sich der ja doch sehr spartanische Tune Sattel fährt.
Mittlerweile scheint die Sonne, über Sonnencreme denke ich kurz nach, aber mein Gesicht ist so verdreckt, dass die Gefahr eines Sonnenbrandes eher gering sein sollte. In der zweiten Pause hatte ich die Unterhelmmütze abgelegt, weil die so nass war, hatte aber in dem Kofferraumchaos die andere Mütze nicht gefunden. Beholfen hatte ich mir mit einem hellblauen Buff, was eine gewisse modische Dissonanz zu meiner restlichen Kleidung erzeugt hat. In dem Ding schwitzt man berghoch, und bergab hält es den Wind doch nicht ab. Die Chance das Teil jetzt abzulegen versäume ich allerdings. Ich vergesse es schlicht und mache mich auf in die 17. Runde.
Mittlerweile nerven mich die Stellen mit dem schlechten Straßenbelag. Auf Grund der Dauer der Belastung fängt der Körper die Erschütterungen eben nicht mehr so gut ab. Berghoch geht noch, allerdings bin ich recht dankbar für mein 32er Ritzel. Auch bei nur 8% Steigung… Ich habe subjektiv das Gefühl sehr langsam zu sein. Am Race Rock wird abgebaut, aber noch immer sitzen ein paar Leute dort. Es scheint mir als würden die anderen an mir vorbeirasen. Am höchsten Punkt gibt es tatsächlich die 17. La-Ola für heute! (ok, eine ein-Mann La-Ola war dabei…)
Mir graut vor dem ersten Teil der Abfahrt, ich habe keinen Bock mehr auf das Geholper, im gut asphaltierten Teil tun mir die Unterarme und Hände weh beim Bremsen. Allerdings ist die Strecke nun größtenteils abgetrocknet, so dass es einfacher zu fahren ist.
Rechtskurve in den etwas holprigen ersten Teil der Abfahrt |
Die Kurven nach der Ortseinfahrt Fell bremse ich jetzt viel zu früh an, und am letzten Anstieg meckert die rechte Patellasehne etwas. Trotzdem gehe ich tapfer in den Wiegetritt, als mich die Leute dort anfeuern. Dann die letzte Abfahrt und wieder denke ich nicht an die Senke, verdammt. Noch eine scharfe Kurve, Gegenanstieg, Zeitschleuse und auf in die nächste Runde.
Die geht am Berg gefühlt genauso schlecht, allerdings liegen die Zeiten in den hohen Vierzigern also noch völlig in Ordnung. Die rechte Patellasehne rumort immer mal ein bisschen, beide großen Zehen Schmerzen. Das liegt aber daran, dass ich einfach noch nicht den richtigen Schuh gefunden habe, und auch nicht die richtigen Einlagen. Offensichtlich ist es viel schwieriger Einlagen fürs Radfahren als fürs Laufen herzustellen. Seltsam. Anyway, den Berg komme ich letztlich fast genauso schnell hoch wie vorher auch, nur der erste Abschnitt der Abfahrt ist mir mittlerweile etwas zuwider, ich habe einfach keinen Bock auf das Gerüttel. Aber klar ist auch, zwei, drei Runden sind noch drin. Die zwei bis zur 20 auf jeden Fall. Schon auf der Abfahrt überlege ich was ich mache. Aus Vernunftgründen mit Blick auf mein Hauptrennen in zwei Wochen sollte ich jetzt aufhören. Aber Verstand und sportlicher Ehrgeiz widersprechen sich hier schon.
Ich beschließe nach diesen zwei Runden an die Box zu fahren und mal zu schauen wie es überhaupt so steht im Rennen. Außerdem nehme ich mir vor aufzuhören, es sei denn ich könnte um den dritten Platz kämpfen.
So fahre ich nach der Zeitmessschleuse an die Box. Auf der Uhr steht was von 16:20 Stunden. Ach du je, ich kann doch jetzt nicht schon aufhören. Selbst wenn ich total einbrechen würde und eine Stunde pro Runde brauchen würde, würde ich noch drei Stück schaffen plus 40 Minuten Pause! Mist was mache ich?
Ich stell mein Fahrrad am Auto ab und schlendere zum Rennbüro um mir die Zwischenergebnisse anzuschauen. Eigentlich liege ich nur eine oder zwei Runden hinter dem dritten Platz zurück. Keine Ahnung ob die anderen noch ne Pause machen oder durchfahren? Soo weit bin ich nicht davon weg. Irgendwie sagt alles in mir weiterfahren. Ich rechne die Höhenmeter nach. 20 Runden sind schon fast 6000 Höhenmeter, ich wollte maximal 4400 Höhenmeter fahren. Jetzt habe ich ca. 5300. Das reicht, mein Ziel ist es die 720 Kilometer beim Schweizer Radmarathon zu finishen, ich sollte jetzt einfach vernünftig sein.
Ich kaufe mir erst mal einen Kaffee, ziehe die Schuhe aus und setze mich ein bisschen in den Start/Ziel Bereich. Jedesmal wenn ein Radfahrer durchfährt zuckt es in mir. Noch immer sind es weit über drei Stunden möglicher Fahrzeit.
Ich schmeiße den Kaffee in den Müll, gehe zum Auto, schnappe mein Duschzeugs und gehe in die angrenzende Turnhalle zum Duschen. Das halte ich nicht aus. Entweder muss ich weiterfahren, oder sofort nach Hause fahren, sonst werde ich verrückt.
Wenn man ein Rennen fährt dann will man auch das maximal Mögliche herausholen. Da ich mich hier mit den Höhenmetern so verschätzt hatte ist es ok, wenn ich so früh abbreche, aber quälen muss ich mich dafür nicht. So packe ich meine Sachen, setze mich ins Auto und fahre nach Hause.
Bei der Autofahrt muss ich ständig daran denken, dass ja jetzt noch die Rennzeit läuft. Ich hoffe nur, dass der dritte mindestens 23 Runden fährt, denn mehr als 22 hätte ich mit Sicherheit nicht geschafft, und selbst 21 wäre beinhart geworden.
Durch diese Aktion habe ich natürlich die Siegerehrung verpasst. Gerne hätte ich dem Sieger Rudi Döhnert für seine 28 Runden applaudiert, das ist schon großer Sport, und der hat auch auf jeden Fall 29 oder sogar 30 drin, wenn er ernsthafte Konkurrenz hätte. Aber auch der zweite ist mit 26 Runden schon richtig geil gefahren, und alle die über 20 Runden gefahren sind haben meinen größten Respekt.
Mit meinen 18 Runden muss ich jetzt erst mal zurechtkommen. Das Rennen lief ja viel besser als die Leistungsdiagnostik erwarten ließ. Außerdem wollte ich lernen, und hier habe ich gerade bei der Ernährung gute Ansatzpunkte..
Obwohl es mir wirklich schwer gefallen ist so früh aufzuhören und ich mich vielleicht noch ein bisschen darüber ärgern werde, dass ich so vernünftig war, bin ich doch zufrieden mit meiner Leistung und mit dem Potential, dass sich für die längeren Rennen angedeutet hat. Ich bin nicht eingebrochen und Müdigkeit war überhaupt kein Thema, das war bei Trondheim-Oslo schon genauso und hat sich hier wieder bestätigt.
Außerdem hat das Rennen viel Spaß gemacht, war gut organisiert und wurde vor allem von den Einwohnern aus Fell und Thomm voll mitgetragen. Super Stimmung über 20 Stunden hinweg und geile Rockmusik am Thommer Berg, das wären gute Gründe wiederzukommen!
Zuhause habe ich dann, bevor ich auch nur mein Fahrrad geputzt habe, erst mal einen Karton „vollständige, bilanzierte, hochkalorische Trinknahrung“ bestellt…
Mariano 19. Juni 2012
Ausgezeichnet.
Vielen Dank für die detaillierte Schilderung. Habe den Eindruck auf Deinem Gepäckträger mitgefahren zu sein 😉
Auch schön zu lesen, dass sich Dein Ego und Dein Spaß wieder erholen konnte 😉 Labortests spiegeln halt nur einen Ausschnitt der Realität wider.
Gute Erholung und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag nachträglich.
Guido 25. Juni 2012
Vielen Dank für Deine Glückwünsche, das mit den 45,98 hat aber getäuscht, bzw. stand zwar auf dem Testprotokoll und ich habe es stumpf abgeschrieben, aber mein Geburtstag ist erst nächste Woche.
pocalinde 21. Juni 2012
schöner Bericht über unsere „Heimstrecke“ 🙂 Bin selbst im 2er mixed Team unterwegs gewesen!
Viel Erfolg noch weiterhin!!
Anonymous 26. Juni 2012
Eindrucksvolle Leistung, wenn man bedenkt, daß Du wirklich nicht sonderlich gut vorbereitet warst. Ich war diese Jahr zum 5. mal dabei und vergesse immer wieder die Senke in der letzten Abfahrt. Liegt wohl daran, daß das Hirn auf dem oberen Teil des Feldwegs jedes mal durchgeschüttelt wird 🙂
Glückwunsch zu Deinen 18 Runden und auf ein neues 2013 in Fell!
PAUL
Guido 27. Juni 2012
Ein weiterer Bericht über das Rennen von einem weiter vorne platzierten Fahrer findet sich hier:
http://forum.helmuts-fahrrad-seiten.de/viewtopic.php?t=5631
Frida 17. April 2013
Hallo,
danke für den interessanten und detaillierten Artikel! Als Anfänger sucht man nach solchen Informationen, so kann mann sich ein gutes bild machen wie so ein Rennen abläuft. Es hört sich richtig schön an. Und ich habe großen Respekt für deine Leistung, ich denke da muss ich mich noch mehr anstrengen … Gruß und weiter so!
Guido 17. April 2013
Hallo Frida,
danke für deinen Kommentar, ich habe mich für dieses Jahr wieder angemeldet, wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg!