Unsere Startzeit ist 7:52, und so stelle ich den Wecker auf 6 Uhr. Aber wie meist werde ich schon früher wach, und dass obwohl ich nicht wirklich gut geschlafen habe, mein Zimmernachbar neigt manchmal zu Schlafgeräuschen, so dass ich immer wieder wach werde.
Ich fühle mich aber gut, und gehe erwartungsfroh zum Frühstück. Das Frühstücksbuffet öffnet allerdings erst um 7 Uhr, für die Styrkeproven Teilnehmer gibt es nur reduziertes „Radlerfrühstück“, nämlich Müsli und Porridge. Naja Porridge hat sich ja auf meiner Großbritannien / Irland Tour 2009 sehr bewährt, passt schon.
Dann Rad geschnappt, nochmal Luft gepumpt, und die paar hundert Meter zum Start gerollt. Gestartet wird in Startgruppen, immer vier aufeinander folgende Gruppen werden zum Start aufgestellt, zunächst in die erste „Schleuse“, wenn die Gruppe davor gestartet ist, geht es dann in die nächste Schleuse. Ein Offizieller schlendert ein bisschen durch die Gruppe und prüft ob alle Räder ordnungsgemäß sind.
In der ersten Schleuse |
In der zweiten Schleuse kurz vor dem Start |
Zu meinem Erstaunen treffe ich Elisabeth vom Ötztaler wieder, die eine Startgruppe hinter mir startet. Freudiges Hallo und Glückwünsche für’s Rennen werden ausgetauscht, das hat sich ja schon beim Ötzi bewährt.
Und dann geht es los. Zum Start läuft witzigerweise leichte Swingmusik, nix AC/DC oder van Halen…
Ein Teil der Gruppe biegt schon nach 20 Metern im ersten Kreisel falsch ab, klassischer Fehlstart würde ich sagen. Aber dann geht es richtig los. Gestern abend und auch heute morgen habe ich hin und her überlegt was ich denn für Klamotten anziehe, die Wettervorhersage war ja schlecht, aber jetzt sieht es eigentlich ganz ok aus, allerdings ist es stark bewölkt und es könnte schon jeder Zeit anfangen zu regnen.
Ich entschließe mich zu langen Radhosen, langärmeligem Trikot, und wasserfesten Schuhen. Bei Kilometer 250 steht unser Reiseleiter, dort gibt es Gelegenheit sich umzuziehen und ich deponiere dort die eher sommerliche Variante. Die Regenjacke habe ich dabei, lasse sie aber nach einigem Überlegen aus.
Schon nach wenigen Kilometer fahren wir durch einen ersten Schauer, aber er ist nicht so stark, dass es sich lohnen würde die Regenjacke anzuziehen, und zum Glück hört es auch nach einigen Minuten schon wieder auf zu regnen.
Die machen schon zu Anfang ganz ordentlich Tempo |
Zunächst geht es etwas bergauf, und es bildet sich schnell eine etwas flottere Gruppe, der ich mich anschließe. Die ziehen ganz gut los, und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wie ich es bei der Streckenlänge angehen soll, aber ich denke mir lieber etwas zu schnell im Windschatten, als zu langsam alleine.
Anfangs sind die Startgruppen noch recht dich beieinander |
Als wir Trondheim hinter uns liegen haben fängt es wieder an zu regnen, die Gischt des Vordermanns spritzt mir ins Gesicht, aber ich bleibe immer schön am Hinterrad. Zwei Leute aus der Gruppe machen die gesamte Führungsarbeit, die anderen, die offensichtlich zum gleichen Club gehören, fahren hinterher, und ich fahre mittendrin. Mit einem der Mitfahrer unterhalte ich mich kurz, und der meint die zwei vorne wären letztes Jahr 16 bzw 17 Stunden gefahren.
Bergauf geht es zunächst recht gemächlich zu, Zeit voraus zu fahren und zu fotografieren |
Oje, überpace ich vielleicht jetzt schon auf den ersten 20, 30 Kilometern? Mein Ziel sind ja 20 Stunden, so schätze ich mich realistisch ein. Egal, ich bleibe erst mal dran. Und dann kommt nach so ca. 20 Minuten eine Gruppe vorbei geflogen, wie eine Rakete. Es scheint als würde sich meine Gruppe dranhängen, und so versuche ich auch dranzubleiben.
Das war aber ein Irrtum, denn die, die sich an die Rakete dranhängen, haben gar nicht zu dem Club gehört. Ich überlege kurz ob ich mich wieder zur ersten Gruppe zurückfallen lasse, bleibe dann aber trotzdem dran.
Es handelt sich bei der neuen Gruppe um ein norwegisches Team, so 25 bis 30 Mann, die kreiseln. Hinten fährt der Kapitän und beschützt den Kreisel, so dass keiner von denen die hinten dran hängen in den Kreisel reinfährt und ihn stört.
Ein norwergischer Kreisel mit schützendem Kapitän dahinter |
Das ist auch nötig, denn ein paar versuchen immer mal wieder reinzufahren, was aber sehr lautstark und gestenreich unterbunden wird. Ein etwas älterer Mitfahrer meint, bloß die Norweger nicht provozieren, sonst gibt es Stress.
Dazu gibt es eigentlich auch keinen Grund. Denn da wir ja direkt hinter dem Kreisel fahren können, haben wir perfekten Windschatten und brauchen keinerlei Führungsarbeit zu leisten. An dem norwegischen Team hängen bald nochmal so 10 Fahrer, vielleicht sogar mehr. Das Tempo ist wirklich flott. Nur an den ersten kleinen Steigungen fahren die Norweger sehr langsam. In der Ebene muss man aber ganz schön draufhalten, und immer wieder mal richtig Watt abrufen um kleine Lücken durch den Ziehharmonikaeffekt zuzumachen. Allerdings kann man auch oft mal die Beine hängen lassen.
So geißeln wir durch die Landschaft, mit gutem 40er Schnitt und mehr. Aber immer wieder an kleinen kaum steilen Steigungen wird es total langsam. Ob das Methode hat?
Gute Straßen machen das Fahren angenehm |
Die herrliche Landschaft lässt sich trotz zügigem Tempo noch genießen |
Dann kommen endlich mal ein paar Steigungen, die wenigstens eine Spur länger sind bzw. auch mal mehr wie 3% haben. Die Norweger kriechen hier recht langsam hoch, bis mir die Geduld reißt, und ich fahre an der Gruppe vorbei, so kann ich wenigstens meinen Rhythmus fahren. Sobalds es wieder flach wird holen die mich natürlich sofort wieder ein, und ich reihe mich wieder hinter den Norwegern ein.
Und dann fahren die plötzlich an einer Haltebucht raus, ich bin ganz irritiert, da dort auch noch was von Kontrollstation steht. Fast wäre ich ein Stück zurück gefahren um auch dort einzubiegen, bis ich kapiere, dass die dort eine eigene Verpflegungsstation aufgebaut haben.
Da es gerade etwas bergauf geht setze ich mich dann etwas von den anderen ab, zunächst noch mit einem anderen Norweger am Hinterrad, dann aber alleine, und sehe bald eine weitere Gruppe vor mir. Auch die wird von einem Norwegischen Team geführt, allerdings sind die etwas langsamer. Am Ende der Steigung habe ich sie erreicht, und hänge mich hintendran. Die fahren den Kreisel nicht ganz so sauber wie die anderen, und auch ein ganzes Stück langsamer.
Nach einer Weile kommt auch prompt das erste Team wieder angerauscht. Während die an unserer Gruppe vorbeiziehen hänge ich mich wieder da hinten dran. Das Tempo ist schon recht hoch, ich habe immer noch Angst, dass ich total überpace, allerdings sind die Wattzahlen im Windschatten eigentlich ok, vor allem kann oder muss man immer wieder mal ein paar Tritte auslassen, so dass die Beine ständig die Möglichkeit haben wieder zu regenerieren. Es ist ungefähr so, als würde man im Peloton bei einem großen Radrennen fahren.
Nur das Gegurke am Berg nervt mich etwas. So richtige Steigungen gab es eigentlich noch nicht, aber ich hoffe hinauf zum Dovrefjell gibt es eine längere und auch mal etwas steile. Mehrmals an den Steigungen überhole ich das ganze Team und fahre meinen Rhythmus den Berg hoch. Jedesmal überholen sie mich auf den Geraden wieder. Finden die gar nicht lustig, denn das ganze Team muss sich wieder an mir vorbei schleußen.
Bei dem ganzen hin und her fliegen die Kilometer nur so dahin, ruck zuck sind zwei drei Stunden vergangen. Da ich den Weg hinauf zum Dovrefjell, von unserer Autofahrt in die andere Richtung gestern, irgendwie steiler und länger in Erinnerung hatte, warte ich die ganze Zeit auf einen langen Anstieg, wo ich mich ein bisschen austoben kann. Außerdem müsste ich eine kurze Pinkelpause machen, und möchte aber die Gruppe nicht verlieren. Da die am Berg so langsam fahren, könnte ich etwas Vorsprung herausfahren, und mich dann gleich wieder einreihen. Als ich denke, dass ich die richtige Stelle gefunden habe (beim dritten Versuch, weil es wie gesagt überraschend „unsteil“ ist), setze ich meinen Plan um.
Dumm nur, dass auch dieser Anstieg zu kurz ist, und obwohl ich nur 40 Sekunden Pause mache ist die Gruppe weg. Jetzt heißt es wieder rankämpfen. Es ist kurz vorm Dovrefjell oben, so dass immer wieder leichte berghoch Passagen mit kurzen flachen Stücken abwechseln. Ich trete drauf und hole berghoch etwas auf, aber auf der Ebene ist es schwer näher zu kommen. Die Gruppe ist zwar nur ein paar hundert Meter vor mir, aber mit Entwicklungsbereich alleine ist nix zu machen. Es liegen so ca. 5 Autos zwischen mir und der Gruppe, und ich muss voll in den roten Bereich und zwar über lange Zeit, um erstmal an die Autos ranzufahren, die ja hinter der Gruppe hängen, und dann mit allem was geht an den Autos vorbei, mal links mal rechts, bis ich fast dran bin. Oje, dafür werde ich möglicherweise teuer bezahlen, wir sind ja noch keine 200 Kilometer gefahren!
Ganz vorne vor dem ersten Auto ist die Gruppe, der Weg dorthin kostet viel Kraft |
Mit einem richtigen Kraftakt, schaffe ich es dann an die Gruppe wieder ran, und keine drei Minuten später fahren die zu ihrer nächsten Rast. Die ganzen Körner umsonst verschossen, Mist. Vor allem sind wir jetzt oben auf der Hochebene, und genau hier braucht man natürlich die Gruppe umso mehr.
Zunächst sind wir dann erst mal nur zu dritt, es scheint so, als ob die, die an dem Team dranhingen ebenfalls Pause machen, denn da war kurz nachher auch eine offizielle Raststation. Ich fahre mit zwei Norwegern, und versuche mit denen zusammenzuarbeiten, was aber nur bedingt klappt. Aber besser als alleine im Wind.
Ausgerechnet auf dem Dovrfjell ohne Gruppe, aber mit den beiden konnte ich eine Zeit lang zusammenarbeiten |
Nachdem wir die Hochebene durchquert haben und es wieder abwärts geht, kommt auch irgendwann wieder die Gruppe angerauscht. Zum Glück. Ich hatte eigentlich geplant einen Stopp an einer offiziellen Verpflegungsstation zu machen, bis zum Extraraststopp unserer Reisegesellschaft, wo Andrew mit Essen und frischen Klamotten wartet. Da es aber so gut läuft, ziehe ich durch. Getränke reichen, Riegel habe ich ohne Ende, außerdem geht es bis Otta jetzt hauptsächlich bergab.
Ich bin erstaunt wie locker es bis jetzt geht, vor allem mit dem Tempo. Meine Zielzeit bis zum Stop war zwischen neun und neuneinhalb Stunden, das ist jetzt locker drin. Die Getränke werden dann doch nochmal knapp, so dass ich die letzten zehn Kilometer bis zum Stopp ohne fahre. Ich überlege sogar am Stopp vorbeizufahren um die Gruppe nicht zu verlieren, finde aber keine Lösung für mein Wasserproblem, da ich nicht weiß wo, und wie weit von der offiziellen Verpflegungsstation entfernt, die Norweger Pause machen.
So fahre ich nach 7:28 Stunden und 250 Kilometern zu unserem Stopp kurz hinter Otta. Meinen Plan die Klamotten komplett zu wechseln verwerfe ich, die Hose funktioniert gut, und in der Nacht wird es kühl werden, so dass es trotz der jetzt angenehmen Temperaturen, keinen Sinn macht auf kurz zu wechseln. Bei den Schuhen zögere ich, die funktioneren erstaunlich gut, allerdings merke ich schon die fehlenden Einlagen, und eigentlich sind die anderen, jene mit denen ich mich am wohlsten fühle. Trikot lasse ich wie es ist.
Erste Pause nach 250 Kilometern, Andrew hat Nudeln gekocht… |
So erst mal essen, etwas frisch machen, und vor allem Sitzfläche nachcremen, bis jetzt lief alles beschwerdefrei. Zehn Minuten nach mir kommen die anderen aus unserer Reisegruppe, und nachdem wir ordentlich gegessen haben, wollen alle los.
Dumm nur, dass ausgerechnet jetzt der Reißverschluss des Trikots kaputt geht. Das Teil habe ich seit meiner ersten Radreise und ausgerechnet jetzt lässt sich der Reißverschluss nicht mehr schließen, ein einziges Mal hätte der noch zugehen müssen. Mist! Also doch Trikot wechseln, Unterhemd muss ich dann auch wechseln, die Riegel usw. umräumen. Die anderen wollen weg, ich sag noch drei Minuten, doch die wollen los. „Dann fahrt halt, ich hole euch eh wieder ein…“
Zwei entscheidende Fehler, die Pause zu lang und die anderen nicht zum Warten gedrängt. Als ich los fahre, fahre ich erst mal allein, kein anderer Radfahrer, keine Gruppe. Dann sehe ich weiter vorne eine Gruppe, und noch mit nicht wieder voller Betriebstemperatur knalle ich richtig rein um die Gruppe zu erreichen. Auch hier das gleiche Spiel, roter Bereich, Auto für Auto durchgetankt und dann irgendwie rangekämpft.
Dumm nur, dass sich die Gruppe als „Lumpensammlergruppe“ der Speedgruppe an der ich vor dem Stopp dran war erweist. Das Tempo ist so langsam, dass ich die Geduld verliere und vorbeifahre. Die ganzen Körner zum Ranfahren umsonst verschossen.
So fahre ich alleine und bin mir eigentlich sicher, dass schon wieder eine Gruppe kommen wird. Es kommt aber keine. Das gibt’s doch nicht, wo sind die denn alle. Sind etwa alle Schnellen schon vor mir? Oje, dann kann ich eine wirklich gute Zeit vergessen. So fahre ich ca. 30 Kilometer allein, nicht mal ein einzelner Fahrer mit dem ich zusammenarbeiten könnte. Nur ein paar ganz langsame, die wohl nur auf Durchkommen fahren.
Alleine im Wind kann man die Landschaft entspannt genießen |
Dann endlich, endlich kommt eine Gruppe angerauscht! Damit die zunächst gut an mir vorbeikommen fahre ich ganz nach rechts und beschleunige ordentlich, damit ich hinten dran komme. Dabei übersehe ich ein riesiges Schlagloch, locker 5cm tief, und knalle voll dadurch. Es gibt einen heftigen Schlag, und die Riegel und der Fotoapparat aus der Triatasche auf dem Oberrohr fliegen auf die Straße. Das darf doch nicht wahr sein, ausgerechnet jetzt wo endlich die ersehnte Gruppe da war.
Es nützt nichts ich muss anhalten, absteigen und 10 Meter zurücklaufen. Gerade als ich den Fotoapparat erreicht habe sehe ich noch wie ein Wohnmobil drüber fährt. Knack, knack. Ich hebe den zerstörten Fotoapparat auf, und will gerade die Riegel aufsammeln, als noch eine Gruppe angerauscht kommt. Ich kann gerade noch zur Seite springen.
Als die Gruppe vorbei ist, schnappe ich mir die Riegel, renne zu meinem Fahrrad und lege los wie die Feuerwehr. An diese Gruppe muss ich unbedingt rankommen. Und wieder geht’s in den roten Bereich, aber richtig. Denn die Gruppe ist schnell. Aber irgendwie schaffe ich es. Wieder das gleiche Spiel, Auto für Auto rankämpfen.
Dabei sehe ich, dass die erste Gruppe nur so ca. 5 Autos vor der zweiten ist. Und da die zweite irgendwie seltsam fährt, gehe ich nochmal in den roten Bereich und kämpfe mich an die erste Gruppe ran. Und die rollt ganz gut. Endlich kann ich die Beine wieder etwas hängen lassen. Dieses mehrmalige Herankämpfen an Gruppen, immer im roten Bereich, kann das Rennen für mich beenden, denn wir sind ja noch keine 300 Kilometer gefahren.
So kann ich für einige Zeit gut mitrollen. Da auch diese Gruppe an den leichten Anstiegen immer extrem langsam wird, kann ich mich, so seltsam es klingt, vor allem an den Anstiegen gut erholen, und sogar die Landschaft etwas genießen. Leider macht die Gruppe kurz hinter Kilometer 300 an einer eigenen Raststation Pause. So bleiben von den Fahrern die nicht zum Team gehören vier übrig, und wir arbeiten für die nächsten Kilometer zusammen. Geht eigentlich sogar recht ordentlich, aber dann fährt der Führende auf die nahe liegende offizielle Verpflegungsstation. Wir anderen fahren stumpf hinterher.
Trotz verlorenem Kampf gegen das Wohnmobil macht die Kamera noch Bilder… |
Egal, die Toiletten kommen mir gerade recht, die Wasserflaschen nochmal nachgefüllt, gleich kommt eh die schnelle Gruppe wieder angerauscht. So fahre ich zunächst alleine von der Verpflegungsstation weg.
Aber irgendwie will die Gruppe nicht kommen. Ich fahre nicht zu schnell, weil ich nicht sinnlos Körner im Wind verbraten will. Aber es kommt keine Gruppe. Auch keine kleine. Es kommt nicht mal ein Einzelfahrer. Ab und zu überhole ich ein paar sehr langsame Einzelfahrer, niemand mit dem man zusammenarbeiten könnte.
So geht es Kilometer um Kilometer. Sie fließen zäh dahin. Nicht weil die Beine schlecht wären, im Gegenteil, sondern weil ich alleine fahre, und das Gefühl habe meine Kraft zu verschwenden. 321, 322, gefühlte Stunden später 323. Mist. Ärger kommt in mir hoch, ich sehe meine Chance auf eine gute Zeit schwinden. Dabei sind die Bedingen fantastisch, mein Körper funktioniert, ich fahre erstaunlich locker, aber ich würde meine Kraft lieber in eine Gruppe investieren.
Mittlerweile fahre ich praktisch ganz alleine. Hinter mir soweit ich sehen kann nichts, vor mir (manchmal kann man kilometerweit schauen) nichts, gar nichts. Ich werde stocksauer. Das kann doch nicht wahr sein, ist denn diese Gruppe von eben schon vorbei?
Einsam in Norwegen, kilometerweit kein anderer Radfahrer |
Es passiert nichts, alleine fahre ich im Wind, mittlerweile bei Kilometer 340, ab und zu ein sehr langsamer Einzelfahrer, aber selbst das so selten, dass ich mich zwischendurch einsam fühle. Bin ich noch auf der richtigen Strecke? Ich fahre moderat, da ich einerseits auf eine Gruppe von hinten hoffe, und mich andererseits nicht alleine im Wind kaputt fahren will.
Der Ärger steigt, und ich suche einen Schuldigen für meine Situation. Da mir nichts besseres einfällt, ärgere ich mich darüber, dass die anderen an unserer Raststation nicht die drei Minuten auf mich gewartet haben. (ist natürlich Quatsch, schließlich war ich es der gesagt hat „fahrt los“, aber was besseres fällt mir nicht ein). Die fahren jetzt da vorne irgendwo schön in einer schnellen Gruppe und sind 10 km/h und mehr schneller, verbrauchen aber nicht mal die Hälfte der Leistung, die ich treten muss.
Irgendwann bei Kilometer 350 kommt Lillehammer, wenigstens weiß ich jetzt, dass ich noch auf der richtigen Strecke bin. Und vor allem feuert einen ab und zu jemand an. Ich beschließe recht spontan an der dortigen Verpflegungsstation anzuhalten, vielleicht findet sich ja da jemand mit dem ich fahren kann.
Da ich mich so spontan entscheide anzuhalten, fahre ich den Nebeneingang in die Station und übersehe die Sandgrube die direkt dahinter ist. Keine Chance, sauber lege ich mich in den Sand. Danach sehe ich aus wie ein Crossfahrer.
An der Station beachtet einen keiner, die Leute wirken recht unmotiviert. Ist für die natürlich auch ein langer Tag. Egal, ich fülle die Flaschen nochmal auf, und esse Brote soviel wie reingehen, und lecker Orangen gibt’s auch. Nur Mitfahrer finde ich keine, alles Leute die platt zu sein scheinen, niemand mit dem man Tempo machen kann. Einer mit dem ich mich unterhalte, der ist schon seit gestern abend unterwegs…
So fahre ich weiter. Die Straße geht jetzt etwas oberhalb im Hang weiter, ich fahre wieder völlig alleine. Das ist Radwandern und kein Radrennen. So sehr ich Radreisen liebe, so wenig will ich gerade jetzt eine machen. Laut schreie ich meine Wut raus: „Gruppe, verdammt ich brauch eine Gruppe“ Hilft aber nix. Immer wenn ich die Hoffnung habe, dass sich vor mir etwas abzeichnet stellt es sich als langsamer 30plus Stundenfahrer heraus, oder gar als Familie mit Kindern, die zufällig auf der gleichen Strecke fahren.
Die Landschaft ist schön, aber ohne Gruppe im Wind verrinnt die Chance auf eine richtig gute Zeit |
Welliges Profil, Abendsonne, genau mein Terrain, aber wo bleibt die Gruppe? |
Immerhin geht es jetzt in welligem Profil auch immer mal bergauf, so dass ich mir einreden kann, dass ich an diesen Stellen nicht so viel Zeit auf die Gruppen verliere. Dafür um so mehr auf den Geraden und Abfahrten.
Und dann bei Kilometer 390 scheint mein Leiden ein Ende zu haben. Ich fahre an einer Raststation einer Gruppe vorbei, und die sind gerade dabei Pause zu machen. Es geht hier etwas berghoch, so dass ich den Berg in meinem eigenen Rhythmus fahre, und dann jederzeit mit der Gruppe von hinten rechne. Es dauert aber noch zwei weitere Anstiege und eine ordentliche Abfahrt bis die endlich dran sind.
Was für ein Gefühl, endlich wieder richtig schnell fahren, und dabei sogar noch Kraft sparen. Die Gruppe ist recht langsam, und einige sehen ziemlich fertig aus, aber besser eine langsame Gruppe wie gar keine. Nur fahren die die Steigungen noch langsamer wie die anderen vorher, die Gruppe schiebt sich zusammen, und prompt knallt vor mir einer auf den Asphalt. Ich kann gerade noch ausweichen. Ich halte an, frage ob er ok, ist, was er bejaht, dann fahre ich weiter. Das Team muss natürlich auf ihn warten.
Wieder dauert es zwei Anstiege und Abfahrten bis die Gruppe wieder dran ist. Ich überlege ob die mir nicht zu gefährlich sind. Dieses Team funktioniert lange nicht so gut wie die vorherigen, nur vorne die sind fit, und die schleppen die weniger fitten mit. Aber ich hänge mich wieder dran. Und prompt passiert das Gleiche nochmal. Ich glaube die sind einfach platt, zumindest hinten die.
Ich fahre wieder etwas vorraus, und nutze dann die Gelegenheit um kurz anzuhalten und meine Windjacke anzuziehen, denn mittlerweile ist es doch recht frisch. Vor allem da ich ja kurzarm trage.
Lieber langsame Gruppe als gar keine, wieder hänge ich mich an das Team dran, es ist blödsinn alleine im Wind zu fahren. Meine Jagd auf eine richtig gute Zeit war bei Kilometer 300 eh gestorben, jetzt will ich wenigstens sicher unter 20 Stunden fahren.
Und dann passiert das unerwartete, die Gruppe wird immer schneller und besser. Vielleicht hatten die einfach nur Anlaufprobleme nach der Pause. Zwischendurch sind die fast zu schnell, aber ich bleibe natürlich dran. Die lasse ich nicht mehr ziehen. Es ist jetzt langsam recht dämmrig und wir sind irgendwo deutlich über Kilometer 400.
Zweimal ertappe ich mich dabei wie ich auf den Radcomputer schaue, und denke „was zeigt der denn für einen Mist an was heist denn 386?“, bis mir aufgeht, dass der ganz korrekt die Kilometer anzeigt, und dass ich ja tatsächlich schon 386 Kilometer gefahren bin. Bei Kilometer 420 rum passiert mir das nochmal.
Die Gruppe läuft jetzt jedenfalls wie Sau, ein Heer roter Rücklichter vor mir, mal ist es dämmrig dunkel, dann gibt es auch wieder gelblich beleuchtete Straßen. Ich fühle mich immer noch gut, habe auch keine Probleme an der jetzt schnellen Gruppe dranzubleiben.
Zwischendurch klinken sich immer nochmal weitere Fahrer in die Gruppe ein, die wir unterwegs überholen. Je näher wir an Oslo kommen, desto mehr Menschen stehen an der Straße oder in einzelnen Orten. Bei einer Zwischenzeitnahme stehen bestimmt hundert Leute, und man fährt durch ein Tor. Der erste aus der Gruppe setzt zum Sprint an und reißt die Arme hoch, was zu stürmischem Jubel und Anfeuerungsrufen führt. Die Stimmung ist klasse.
Auch gibt es immer wieder kleine Gruppen am Straßenrand, die Grillen, manchmal Boxen mit lauter Musik aufgebaut haben, und (gerne alkoholgeschwängert) wild anfeuern, oder gar tanzen und mehr…
Das ist natürlich nur vereinzelt, aber immer wieder eine willkommene Abwechslung und Motivation. Wobei ich gar nichts brauche, das mich pusht. Auch bei Kilometer 450 fahre ich noch recht locker und fühle mich wohl. Nur das linke Knie hat sich kurz nach der Pause in Lillehammer mal gemeldet, und das rechte jetzt bei 450, aber das geht recht schnell wieder weg.
Dann macht das Team Pause an einer eigenen Raststation. Wir bleiben zu fünft oder sechst übrig und fahren weiter. Ich würde ja wie beim Teamzeitfahren wechseln und einzelne Fahrer nach hinten schieben. Aber bei Trondheim – Oslo wird immer gekreiselt. Also kreiseln wir auch. Die Jungs legen ganz schön vor, so dass es im Wind vorne ganz schön hart ist. Wir fahren ein paar Kilometer, als aber eine reguläre Verpflegungsstation kommt klinke ich mich aus. Ich fülle lieber meine Flaschen nochmal und warte auf die Gruppe, das bringt sicher mehr.
Gerade als ich die Flaschen voll habe und mir noch ein Brot genehmigen will, rauscht die Gruppe an. Das kann doch nicht sein! Nicht schon wieder die Gruppe verlieren. Insgesamt rund 120 Kilometer alleine im Wind reicht nun wirklich!
Also lasse ich alles fallen, springe auf mein Rad und geißele los was das Zeug hält. Zum x-ten Mal heute fahre ich in den roten Bereich, allerdings ist der nach fast 500 Kilometern natürlich nur noch orange. Aber es reicht, irgendwie komme ich tatsächlich noch an die Gruppe ran. Es stellt sich raus, dass das eine andere ist. Die Körner vielleicht umsonst verschossen. Aber die anderen Powersprints habe ich auch weggesteckt, also geht dieser auch noch.
Die Gruppe ist klasse, recht schnell und es rollt jetzt wirklich gut. Immer noch ist das Profil wellig, aber das Gefälle scheint gegenüber den Anstiegen etwas die Oberhand zu gewinnen. Der Garmin hat sich mitlerweile wegen leerem Akku abgeschaltet, aber mein Akku ist noch voll. Zum Glück habe ich noch das Powercontrol vom SRM, so dass ich die Kilometer sehen kann und ab Kilometer 510 rechne ich immer wenn, mal genug Licht von einer Straßenlaterne kommt, und ich den Computer ablesen kann, die Kilomter rückwärts. Noch 30, noch 28, noch 22. Wahnsinn wir sind nicht mehr weit vom Ziel und ich fühle mich als wäre ich im Training den Lahnradweg gefahren (so ungefähr jedenfalls). Sitzfläche ok, Hände ok, nur das linke Knie meldet sich bei Kilometer 520 wieder heftig. Das verdammte Ding wird doch jetzt nicht schlapp machen. Ich beschließe anarchistische Eigenmächtigkeiten von Körperteilen nicht zu dulden, und halte einfach drauf. So kurz vorm Ziel wird es mich nicht mehr aufhalten, aber etwas Sorge habe ich schon. Ich werde doch nicht wegen Knieschmerzen am Ende noch die letzte Steigung vor Oslo hochschieben müssen oder so was?!
Aber irgendwie geht der Schmerz wieder weg. Schließlich kommen wir auf den Teil der Autobahn, wo eine Fahrspur für die Radfahrer abgesperrt ist, jetzt sind wir kurz vor Oslo, noch eine Steigung. Und wieder wird die Gruppe sehr langsam. Mensch, das ist die letzte Steigung, das hat nix mit Taktik zu tun. Die Norweger können einfach keine Berge fahren (runter ja, aber hoch nicht…).
Diesmal warte ich nicht mehr, das ist ja endlich mal ein etwas längerer Anstieg, wenn auch nicht gerade supersteil. Ich überhole die Gruppe und muss mir dafür einen Spruch anhören, den ich aber eh nicht verstehe. Und so ziehe ich die Steigung hoch, keiner folgt, und schnell bin ich weit vor der Gruppe. Vereinzelt fahren ein paar sehr langsam auf dem Standstreifen, eine Dame schiebt sogar, ich nutze die abgesperrte Spur, und habe Spaß ohne Ende.
Noch gut 10 Kilometer bis zum Ziel, 530 Kilomter in den Beinen, aber berghoch fahren geht immer. Dann geht es etwas bergab, und wieder sehr lange gerade. Die Straße ist leer, es ist dunkel, aber alles gelb beleuchtet. Ich fahre ganz alleine, ich bin 120 Kilometer ganz alleine gefahren, da kann ich auch diese restlichen Kilometer alleine durchziehen. Ein tolles Gefühl so kurz vorm Ziel.
Die letzten Kilometer vor dem Ziel, allein auf der beleuchteten Schnellstraße |
Von hinten kommt ein schneller Fahrer an, wir arbeiten etwas zusammen, noch 8 Kilometer, kurz darauf lasse ich ihn ziehen. Ich fühle mich wirklich gut. Beim Ötzi war ich so platt, dass ich am liebsten 500 Meter vor dem Ziel noch aufgegeben hätte, jetzt läuft es einfach wie Sau. Noch eine kleine Steigung um die Ecke, noch ein Verkehrskreisel, dann wird es sogar nochmal etwas steil, nochmal um die Ecke, noch ein paar Meter bergauf, die Ziellinie ist nah, schön im Wiegetritt drüber, biep – biep, ein Blitz, das Finisherfoto, und dann ist es vorbei.
Zielankunft nach 18:17:49 Stunden |
Ich fühle mich richtig gut, nix tut weh, gebe den Transponder ab, bekomme die obligatorische Medaille um den Hals gehängt, und bin jetzt also Trondheim – Oslo Finisher. Die Zeit kann ich zunächst nicht sehen.
Das Absteigen vom Fahrrad klappt auch noch sehr gut, ich habe tatsächlich keinerlei Schmerzen, alle Befürchtungen im Vorfeld haben sich als unnötig erwiesen. Es war wirklich nicht schlimm mit den 540 Kilometern, ich fühle mich eher wie nach einem recht anstrengenden Training. (nicht genauso, es ist schon anders, aber jedenfalls nicht kaputt wie nach dem Ötzi oder dem ersten Glocknerkönig).
Es ist kurz nach zwei Uhr nachts. Ich bin eigentlich auch nicht wirklich müde. Beim Fahren tritt eh keine Müdigkeit auf, und da ich ungefähr so 18einhalb Stunden gefahren sein muss, bin ich auch nicht in den Bereich gekommen, wo man von Schlafentzug reden müsste.
Ich laufe noch etwas im Zielbereich herum, da es aber nix zu tun gibt, kaufe ich mir für 200 NOK einen Schlafplatz, obwohl ich jetzt am liebsten noch irgendwas machen würde. Beim Hinlegen merke ich dann aber, dass die Beine sich anfühlen als wollten sie platzen. Als ich liege kommt der Schmerz ins linke Knie zurück.
Der Schlafplatz besteht aus einem Luftbett und einer kleinen dünnen Decke von der Größe eines Radtrikots. So ruhe ich zwei Stunden, um dann, es ist ja schon wieder hell um halb fünf, bis um zwölf Uhr mittags im Startbereich rumzulungern, denn einchecken im Hotel ist noch nicht möglich. Aber auch das gehört zum Styrkeproven einfach dazu.
Alles in allem ein tolles Erlebnis, die Bedingungen waren wirklich sehr, sehr gut. Auch habe ich mich während des gesamten Rennens sehr gut gefühlt, und weiß jetzt, dass ich auch über 500 Kilometer am Stück fahren kann. Das neue Rad läuft fantastisch, das beste was ich bis jetzt gefahren bin. Auch ergonomisch hat alles gepasst.
Die über 120 Solokilometer haben mir zwar einerseits eine deutlich bessere Zeit versaut, aber andererseits ist es auch zu einfach sich immer von Gruppen schleppen zu lassen. So kann ich meine Zeit von letztlich 18:17 Stunden mit einiger Zufriedenheit betrachten, denn ich habe einerseits selbst viel im Wind zu dieser Zeit beigetragen, aber natürlich auch vor allem von der ersten Raketengruppe bis zur Pause sehr profitiert. Also ein Mix der die Zeit realistisch macht.
Von hier auch nochmal herzlichen Dank an alle, die mir zu Hause die Daumen gedrückt haben, oder mich gar per SMS angefeuert haben 🙂
Anonymous 27. Juni 2011
Mann Guido, was für ein Ritt. Schön, dass Du es so gut überstanden hast !!!
Beste Grüße
Jörg
Anonymous 24. Februar 2013
Sehr interessanter Bericht! Respekt!
Anonymous 28. August 2013
Die norwegischen Teams fahren immer mit der gleichen Wattzahl. Bergauf und bergab. Das führt zu einer konstanten Belastung und einer enormen Durchschnittsgeschwindigkeit, da bei den Abfahrten die Beine auch nicht hängengelassen werden.
Guido 28. August 2013
Klingt logisch, sowas habe ich mir schon gedacht. Habe es damals aber als ziemlich extrem empfunden, zumal ich noch die Steigungen aus Südengland und den Alpen in den Beinen hatte 🙂
Guido 28. August 2013
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