2011 war ein wirklich ereignisreiches steilberghoch Jahr. Auch wenn es abrupt geendet hat, so kommt es mir in der Rückschau doch sehr lange vor. Ich kann kaum glauben, dass Trondheim – Oslo dieses Jahr war und nicht etwa schon 2010.
Wenn ich die Augen schließe habe ich andererseits sofort die Bilder vor mir, wie ich mich an der letzten Steigung auf der abgesperrten Autobahn kurz vor Oslo am Berg davon mache, und dann auf der riesigen, leeren, beleuchteten Straße alleine dem Ziel entgegen fahre. Und dann die Zieldurchfahrt, locker nach 540 Kilometern. Mein erster 500er in ganz ordentlicher Zeit. Ein wunderbares Rennen, ein herrliches Gefühl. So eindrucksvoll, dass noch viele weitere Bilder immer wieder vor meinem geistigen Auge auftauchen: das Racing auf den ersten 250 Kilometern, die Einsamkeit bei der langen Alleinfahrt zwichen Kilometer 300 und 400, das seltsame Gefühl auf dem Tacho 420 Km zu lesen, die jubelnde Menge bei einem Zwischensprint an einem Kontrollpunkt irgendwo zwischen Lillehammer und Oslo, die Lagerfeuer mit tanzenden, betrunkenen, anfeuernden Menschen vor Oslo, und so viele mehr, dass ich diesen ganzen Artikel nur mit Bildern vom styrkeproven füllen könnte.
Dabei habe ich ja die ersten schönen Bilder schon im Mai verinnerlichen können. Mit Marco auf der frisch geteerten Straße zum Fährhafen nach Carloforte auf San Pietro. Die bergige Landschaft Sardiniens auf der einen Seite, das Meer auf der anderen, dazu blauer Himmel und Sonne bei angenehmen Temperaturen. Einfach fantastisch. Dieses „Trainingslager“ war eine wirklich gute Idee und hat sehr geholfen den Arbeitsstress vorher zu verarbeiten.
Dabei fing das Jahr nicht so richtig gut an, denn schon früh hatte ich mir beim Krafttraining eine Verletzung zugezogen, so dass ich nicht trainieren konnte wie ich es eigentlich geplant hatte. Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass ich trotzdem durchgehalten habe, und mich auch nicht von dem dummen Geschwätz des Orthopäden habe einschüchtern lassen.
Meine Ziele für 2011 waren vielleicht etwas optimistisch gesteckt. Während ich anfangs nur mein Level vom Vorjahr halten wollte, hatte ich doch schnell die Idee ich könnte einen Sprung machen in meiner Leistungsfähigkeit. Aber gerade im Ausdauersport, und vor allem wenn man erst in hohem Alter mit umfangreicherem Training beginnt, geschehen Fortschritte nur allmählich, schließlich muss ich ja auch noch gegen den altersbedingten Kraft- und Fitnessverlust ankämpfen. So hatte ich mir für den Glocknerkönig eine zu ehrgeizige Zeit gesetzt, und obwohl ich mich verbessert hatte eine herbe Enttäuschung erlebt.
Ein bisschen enttäuscht war ich auch zunächst von meiner Zeit beim Alpenbrevet. Aber im nachhinein war das völlig ok. Ich habe doch einiges gelernt, gerade aus diesem Event. Erstens werde ich 2012 mehr Rennen fahren, der Trainignseffekt ist doch enorm, und ich bin nicht mehr so ängstlich mich zu überfordern. Zweitens weiß ich jetzt, dass ich nicht nur 500 Kilometer am Stück fahren kann, sondern auch, dass bei 7000 Höhenmetern am Tag noch nicht Schluss sein muss. Das hat mir das Selbstvertrauen gegeben mich für den Schweizer Radmarathon Bern-Bodensee-Bern anzumelden und die 720 Kilometer Strecke zu versuchen. Drittens habe ich gelernt, dass es tierisch Spaß macht vorne mitzufahren, und dass ich viertens von Anfang an mehr essen muss, sonst gibt es einen Einbuch wie am Lukmanier.
Aber das schönste am Alpenbrevet war wohl der Fakt, dass ich dadurch und durch das Training vorher die Schweizer Alpen, vor allem das Berner Oberland kennengelernt habe. Nicht zuletzt dadurch habe ich elf neue Pässe kennengelernt, mit ca. 30 Auffahrten. Allein diese Zahl zeigt schon was für ein intensives steilberghoch Jahr hinter mir liegt.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch für die netten Kommentare und Emails bedanken die ich von den Lesern von steilberghoch.com bekommen habe. Ich hoffe meine Berichte und Bilder sind nützlich für eure eigenen Touren, und unterhaltsam für die, die nicht selbst fahren.
Nicht nur die Schweizer Pässe waren spektakulär, auch die Kosten die anfallen, wenn man sie erleben will sind spektakulär. Somit habe die zwei sicher teuersten Radfahrländer Europas dieses Jahr bereist, nämlich Norwegen und die Schweiz.
Als Entschädigung gab es unbezahlbare Eindrücke, nicht nur wie oben beschrieben in Norwegen, sondern auch in der Schweiz. Der Blick von der Grimselpasshöhe hinunter nach Gletsch, mit gleichzeitigem Blick auf den Furkapass und den Rhone Gletscher sucht sicher seinesgleichen. Mit dem Gotthard Pass und der Auffahrt über die Tremola konnte ich einen weiteren echten Klassiker unter den Pässen in mein Palmares schreiben. Aber landschaftlich fantastisch sind alle schweizer Pässe, die ich dieses Jahr gefahren bin, und das waren wie gesagt eine ganze Menge…
Aber nicht nur die schweizer Alpen und die (für deutsche Rennradler) exotischen Orte wie Sardinien und Norwegen sind für eindrucksvolle Bilder in meiner Erinnerung verantwortlich. Auch meine Auffahrten in Österreich und Südtirol waren fantastisch. Das Hahntennjoch mit seiner wundervollen Abfahrt in Richtung Elmen, und vor allem am gleichen Tag die Auffahrt zum Rettenbachferner. Das erste mal, dass ich mich auf der Söldener Gletscherstraße nicht elend gequält habe. Vielleicht mein größter persönlicher Erfolg dieses Jahr. Aber auch das herrliche Gefühl im Gletscherrestaurant in der Sonne zu sitzen und Kaiserschmarrn zu essen, mit der Befriedigung soeben die Kaunertaler Gletscherstraße in annehmbarer Zeit bezwungen zu haben möchte ich nicht missen.
Das Wetterkapriolen wie am Stilfersjoch in Erinnerung bleiben ist klar, aber auch wenn ich am Col de l’Iseran schon fiesere Temperaturen und Eis überstanden habe, in Hagelsturm und Gewitter zu fahren bei über 2500 Metern Höhe und dann vor allem ein Sturm wie ich ihn noch nie erlebt habe, das war schon spektakulärer als mir lieb war. Die letzten Kilometer in der weißen Stille und die krasse Abfahrt im Schneematsch, solche Erlebnisse gibt es nur, wenn man sich der Natur aussetzt, und ich kenne momentan keinen schöneren Weg das zu tun als mit dem Rennrad in den Alpen. Selbstverständlich ist das Risiko kalkuliert. Aber gerade in den Bergen muss man Respekt und Demut vor der Natur und ihrer Gewalt haben, und wenn man das hat wird man mit unvergesslichen Erlebnissen belohnt.
Das man auch Respekt vor 18% Abfahrten haben sollte, habe ich bei meinem Saisonabschluss gelernt. Auf die harte Tour. Allerdings war meine „Saisonabschlussfahrt“ 2011 ein echtes Highlight, trotz des abrupten Endes. Die zwei Nächte am Fuße des Mont Ventoux haben mir einen unglaublichen Fahrradtag beschert. Die drei Auffahrten hinauf auf den Ventoux waren fantastisch. Die klassische Auffahrt von Bedoin ein wirkliches Highlight. Dies nochmal zu toppen sollte eigentlich unmöglich sein, und doch, schon zwei Tage später stand ich auf dem Gipfel des Pico Veleta, bin mit dem Rennrad auf den höchsten asphaltierten Punkt Europas (präziser: höchster schlecht asphaltierten Punkt Europas) gefahren. Zusammen mit den beiden folgenden Auffahrtsvarianten über Guejar Sierra und Monachil war dies der Höhepunkt der ganzen Saison, ohne tatsächlich eine Reihenfolge meiner Erlebnisse in dieser spektakulären Saison aufstellen zu wollen.
Der Sturz in Monachil hat mir natürlich die Verletzlichkeit des Rennradlers drastisch vor Augen geführt. Aber auch die Widerstandsfähigkeit und die Heilungskräfte des menschlichen Körpers.
Von einer Sekunde auf die andere statt Hochgefühle im Kampf gegen Berg und Wetter nur noch ein jämmerliches Kriechen auf allen Vieren um nur die vier Treppenstufen zum Hotel hochzukommen, eine wirklich schwierige Situation. Dazu die Ungewissheit, ob auch alles wieder vollständig heilt, oder ob man vielleicht einen bleibenden Schaden behält.
An diesem Punkt kommt es darauf an, das Ganze psychisch wegzustecken. Wieder ins Training zu kommen, die Zwangspause als gegeben hinzunehmen und sich nicht entmutigen zu lassen. Eine der wenigen Situationen in denen erfolgreiche Sportler, auch aus dem Profibereich, als Vorbild dienen können. (Denen eine moralische Vorbildfunktion zuzusprechen halte ich für absurd.) Denn gerade die sind erfolgreich, die Verletzungen und Niederlagen am besten wegstecken können.
So werde ich meine Ergebnisse beim Glocknerkönig und Alpenbrevet, genauso wie meinen Sturz am Pico Veleta als lehrreiche Erfahrungen verbuchen, und mich in die Saison 2012 von den fantastischen Erlebnissen in 2011 hineintragen lassen. Mit neuen Zielen auf etwas längeren Strecken…