Heute ist ein Einzelzeitfahren über 26 Kilometer mit Bergankunft auf dem Kronplatz geplant. Ganz sicher ist es nicht, da gestern abend noch nicht klar war, ob die Strecke hoch zum Kronplatz befahrbar ist. Durch zwei Unwetter ist der geschotterte Abschnitt etwas ausgewaschen.
Gestern abend habe ich schon ein bisschen geschwankt zwischen darauf hoffen, dass wir nur eine verkürzte Strecke fahren (wegen der zu erwartenden Anstrengung) einerseits und andererseits dem Wunsch „wenn schon dann richtig“. Schließlich soll auch das Panorama oben sehr beeindruckend sein.
Um kurz vor fünf Uhr morgens werde ich wach. Viel zu früh. Ich döse noch etwas und halte kurzen Dialog mit den Beinen, und zu meiner Überraschung sind die gut gelaunt und wettkampfgeil. Die Beine wollen hoch zum Kronplatz. Der Kopf will es dann auch.
Das Frühstück im Hotel ist ausgezeichnet. Ich sitze am Tisch mit dem Handbiker Manfred, der wirklich enormes leistet hier beim diesjährigen Peakbreak. Am Zoncolan ist er mit 170 Watt hochgekurbelt. Wer schon mal 170 Watt auf dem Ergometer getreten hat über einen längeren Zeitraum, und sich dann vorstellt das mit den Händen und Armen zu machen, der kann ahnen was das für eine Leistung ist.
Nach dem Frühstück habe ich noch recht viel Zeit, da der Start ja erst um elf Uhr ist, und wir im Minutenabstand in umgekehrter Reihenfolge starten. Meine Startzeit ist 11:40 Uhr. Ich hatte das Gesamtklassement nicht verfolgt, aber meine Befürchtung, dass ich ganz hinten bin ist offensichtlich unbegründet…
Wir fahren übrigens bis obenhin. Und ich freue mich darüber.
Um kurz vor elf bin ich am Start, der in der historischen Altstadt von Bruneck am Stadttor aufgebaut ist. Eine super Kulisse. Wir stehen halt so ein bisschen rum, fachsimpeln etwas über die Räder, dabei meint einer, ich hätte wohl das Topprad im Feld. Wir kommen ins Rechnen, und obwohl ich weiß, was die einzelnen Bauteil gekostet haben, ist die Gesamtsumme dann doch beeindruckend. Ich muss zugeben, ich bin, wie mein Kumpel Peter immer sagt, Materialfahrer, und dass mit aller Konsequenz.
Natürlich bin ich nicht so schnell wie mein Rad aussieht, aber ich fühle mich bis jetzt sehr, sehr wohl darauf, das entscheidende Kriterium für so eine Etappenfahrt denke ich mal.
Dann aber komme ich endlich an die Reihe und stelle mich zum Start auf. Die 30 Sekunden werden angesagt, dann die 10 schließlich gibt es einen Countdown ab 5, und dann das GO!
Ich schieße ordentlich los, erst jetzt fange an ich mir Gedanken über die Wattzahl zu machen, die ich heute treten will. Meine IAS sollte wohl so um 260 liegen, dass wäre natürlich für ein Zeitfahren das Vernünftigste. Allerdings schwankt die Anzeige auf dem Radcomputer natürlich immer etwas, so dass man eher mehr Watt sehen sollte auf dem Display, der Schnitt nachher bei der Auswertung ist oft deutlich niedriger als gefühlt.
Zunächst aber halte ich mal richtig drauf, und so ist die Anzeige eher im hohen 300er Bereich. Ich habe keine Ahnung wie das Profil der Strecke eigentlich ausschaut, und wie steil es wo sein wird. Zunächst geht es über eine ordentliche Straße berghoch aus dem Ort heraus, die Steigung schwankt, aber meine Zuversicht wieder erwarten nicht, ich freue mich zu fahren.
In den flacheren Passagen versuche ich trotzdem die 300 auf das Display zu bringen und hochzuschalten, nur nicht nachgeben. Irgendwann kommt ein Schild „Kronplatz“, und ich zucke schon um rechts abzubiegen, aber da geht es nur zur Seilbahn, wir müssen nach links, zum Glück ist aber auch heute alles perfekt markiert.
Dann geht es auf so eine Art Wirtschaftsweg, und ich kann schon den vor mir gestarteten Fahrer sehen, es dauert aber noch eine Weile bis ich wirklich in Schlagdistanz komme. Es geht teils sehr steil berghoch, immer wieder kommen aber auch entsprechende kleine Abfahrten. Als es dann etwas durch den Wald geht und sehr steil wird komme ich an dem anderen Fahrer vorbei.
Mein 32er hilft mir wieder mal, trotzdem trete ich diesen Teil mit 450 bis 500 Watt hoch. Aber es kommt ja gleich wieder eine Abfahrt, so dass die Beine Luft holen können. Es ist mir jetzt schon sehr sehr warm, und ich fürchte mit einem Liter Getränk war ich etwas optimistisch, hoffentlich reicht das bis oben, aber ich wollte halt Gewicht sparen.
In einer Abfahrt geht es am Ende recht scharf um die Kurve und dort liegt etwas Split oder Schotter, ich komme gerade noch so rum. (Wie ich später erfahre hat es dort wohl einen der Top3 Fahrer gerissen und er hat sich ernsthaft an der Schulter verletzt. Das ist natürlich bitter, hoffentlich wird er schnell wieder gesund, von hier aus gute Besserung!)
Nach einem weiteren steilen Stück mit entsprechender Abfahrt biegen wir dann auf die Straße zum Furkelpass ein. Den fahre ich auch zum ersten mal, und schnell zeigt sich, dass auch der ordentlich steile Passagen drin hat.
Zwar setze ich mich etwas von dem Überholten ab, aber ich höre von hinten schon ein weiteres Schaltgeräusch, und so dauert es nicht lange bis Stefan, mit dem ich ja gestern noch ein Sück gefahren bin am Schluss, an mir vorbeizieht.
Immer wieder kommen recht steile Stücke im deutlich zweistelligen Prozentbereicht, mein 32er hilft mir wieder einigermaßen im gewünschten Wattbereich zu bleiben, allerdings gehe ich manchmal deutlich drüber, das ist ja schließlich ein Zeitfahren, und die sollen doch weh tun, sonst ist man zu langsam.
Mein Getränkevorrat geht sehr schnell dem Ende zu, es ist mittlerweile sehr heiß, und kaum Gelegenheit mal ein Stück Schatten abzubekommen, gerade wenn es auf der linken Seite ein paar Meter gibt, kommt ein Auto von oben, so dass ich in der Sonne bleiben muss. Eine Horde Motorradfahrer rauscht vorbei, aber insgesamt geht es eigentlich mit dem Verkehr.
Das Schöne bis jetzt ist, dass immer wieder mal etwas flachere Passagen kommen, wo man mal hochschalten kann, und die Leistung einfach besser dosieren kann. Ich kann auf weitere Fahrer aufschließen und an einem flachen Stück fahre ich sogar an Stefan wieder vorbei.
Etwas später kommt aber der Konter. Die Beine fühlen sich immer noch gut an, immer wieder, in den sehr steilen Passagen schnellt die Leistung mal nach oben, einmal sehe ich sogar die sechs als erste Ziffer aufflackern. Mir ist aber schon sehr heiß, Wasser habe ich gerade noch 100ml, ein Gel habe ich schon weggehauen.
Aber zu meinem Erstaunen fliegen die Kilometer nur so dahin. Gespannt bin ich natürlich auf den Kronplatz, aber der Furkelpass kommt mir schon sehr schwer vor. Dann flacht es nochmal etwas ab, und nach einem weiteren ordentlichen Anstieg, ist tatsächlich schon die Passhöhe erreicht. Noch ca. vier, fünf Kilometer, jetzt wird es richtig spannend. Der Aufstieg zum Kronplatz muss gleich beginnen.
Kurz geht es nochmal bergab, dann rechts rein in eine steile Rampe. Davor gibt es zum Glück nochmal frische Wasserflaschen, sonst wäre ich oben ohne Wasser jämmerlich eingegangen. Gut mitgedacht Orgateam!! Ich halte also kurz an, nehme eine Flasche, und mit etwas Anlauf fahre ich in die Rampe.
Jetzt kommt also das nächste Monster, nach dem Monte Zoncolan auf der ersten Etappe. Und es geht gleich richtig steil los. Dann scheint es etwas abzuflachen und ich will die Chance nutzen noch ein Gel zu essen, aber es bleibt dann doch steiler als gedacht, so dass ich mit einer Hand am Lenker ganz schön schuften muss, was mich etwas aus dem Rhythmus bringt.
In den komme ich aber wieder rein, das erste Steilstück klappt gut, so dass ich auch etwas an Selbstvertrauen für den restlichen Anstieg gewinne. Die Beine gehen immer noch wie Sau, ich habe keine Ahnung warum, vor allem nachdem ich gestern wirklich Sorge hatte wegen heute.
Es wechseln sich jetzt immer mal einigermaßen steile (so um 9%) geschotterte Passagen mit elend steilen geteerten Streckenabschnitten ab. Noch drücke ich die alle ganz gut hoch. Gefühlt würde ich sagen es gibt schon Passagen über 20%, aber nie so unendlich lang wie am Zoncolan und der ist noch steiler.
Ich hole schon noch auf andere auf, aber viele sind es nicht, mancher entpuppt sich beim heranfahren als Mountainbiker. Viel besser ist aber, dass bis jetzt außer Stefan noch niemand an mir vorbeigefahren ist, was mich sehr wundert. Vor allem motiviert mich das auch.
Es wird immer wieder sehr steil, manchmal sind auch die geschotterten Teile, gerade in den Kurven sehr, sehr steil, so dass man öfter mal ein durchdrehendes Hinterrad hat, wenn man nicht die optimale Linie findet. Aber die ungeteerten Passagen sind eigentlich gut zu fahren. Der Tourismusverband hat wohl für uns extra nochmal etwas präpariert und an der Strecke gearbeitet, dafür herzlichen Dank.
Ich bin ja auch durch meine erste Auffahrt auf den Pico Veleta ziemlich abgehärtet, so dass ich von der Streckenbeschaffenheit eher angenehm überrascht bin. Aber manchmal merke ich schon, dass ich an meine Grenze komme, ich schaue auch nicht mehr aufs Wattmeter, ich versuche einfach irgendwie hochzukommen.
An so mancher Stelle muss ich auch mal laut schreien, aber dann gibt es tatsächlich immer wieder flachere Stellen an denen man sich sehr gut erholen kann.
Die Kilometer verrinnen jetzt langsamer, aber immer noch liege ich in dem Bereich wo ich unter zwei Stunden ankommen könnte. Dann, nach weiteren heftigen Steigungen flacht es ab, und man kann auf dem großen Kettenblatt bei herrlicher Aussicht über die Piste prügeln. Ich versuche die Wattzahl auf dem Display hochzuhalten, aber es fällt mir schwer, denn die Beine wollen jetzt doch etwas Erholung von den brutalen Anstiegen bis hierher.
Hm, ob es das jetzt schon war? Nee ich glaube nicht, ich hatte mal einen Bericht in der „Tour“ gelesen, als der Kronplatz nach langen Jahren wieder in den Giro aufgenommen wurde, und da war doch irgendwas mit „unmenschlichem Schlussanstieg“ oder so ähnlich zu lesen gewesen?!
Gerade denke ich daran, da sehe ich nach einer langen Linkskurve, was damit gemeint sein könnte. Es scheint in Stufen hochzugehen, zwei oder drei brutale Rampen, und nicht gerade kurz. Die erste fühlt sich an als könnte ich es nicht schaffen, an dieser Rampe schiebt schon einer, aber ich gebe alles was ich habe, bis über 600 Watt, und ich weiß nicht wie, aber ich komme durch. Es „flacht etwas ab“, und ich sehe, dass die nächste Rampe geschottert ist. Ich schreie laut, oder wie immer man die Geräusche nennen will, die ich noch zu machen im Stande bin.
Dann kommt ich in die geschotterte Rampe, die geeeeht! Ich bin mittlerweile voll mit Adrenalin, ich will das Ding durchfahren. Vor mir ist einer den ich überholen will, er ist kurz vorm Absteigen, er fährt aber auf dem einzigen fahrbaren Bereich, ich versuche links vorbei zu fahren und gerate in tiefen Schotter, Scheiße!, nach rechts geht nicht, also muss ich entweder stürzen oder in die Wiese, ich fahre in die Wiese.
Ich will nicht absteigen, ich hab’s in den Beinen, ich komme da hoch, so versuche ich von der Wiese, bei 18% oder so Steigung wieder auf die Strecke zu kommen, muss dafür erneut durch den Schotter und kann nicht mehr steuern. Ich muss ausklicken, sonst falle ich um. Verdammt, verdammt! Egal, ich schiebe die paar Meter die Rampe hoch, dann flacht es ziemlich ab, und es ist etwas geteert, so dass ich wieder einklicken kann, und weiter fahren kann.
Dann wird es wieder steil, und der Rest ist geschottert, auf der Straße ist die 300m Markierung zu sehen, die Stimme vom Zielsprecher peitscht uns nach oben, vor mir ist noch einer, den kann ich noch holen, ich gebe alles was noch da ist und die Beine scheinen nochmal zu explodieren, ich schreie dabei laut, und bin schon am Hinterrad, noch 20 Meter, ich könnte vorbeischießen, entscheide mich aber für die falsche Seite und versuche links vorbeizufahren, da ist aber kein Platz mehr, sondern schon wieder tiefer Schotter, und ich trete was geht, komme aber mit meinen glatten Rennradreifen nicht durch den Schotter, muss sogar noch aufpassen nicht zu stürzen, und fahre mit Kampfgeschrei durch das Ziel eine halbe Radlänge hinter ihm ins Ziel.
Hoffentlich hat das niemand gefilmt, die denken bestimmt ich habe sie nicht mehr alle. Aber egal, alles gegeben. Ein paar Meter fahre ich noch, dann schmeiße ich mein Fahrrad in die Wiese und werfe mich daneben, alle Viere von mir gestreckt. Dann nach ein paar Sekunden setze ich mich wieder auf, und mein Kopf wird klar. Wie geil war das denn. Also an meinem Kampfeswillen lags nicht, ich hoffe, dass die Zeit für einen Platz im Mittelfeld reicht, und ich mich im Gesamtklassement unter den Top 50 halten kann.
Dann gibt es erst mal zwei 0,5er Apfelschorle, einen Milchcafe, und ja, einen Kaiserschmarrn. Allerdings kann ich nur die Hälfte essen, dafür esse ich, nachdem wir noch die anfeuern, die gerade ins Ziel kommen, im Restaurant noch einen Salat. Auch Manfred der Handbiker hat diese heftige Strecke in beeindruckender Zeit gemeistert.
Nachdem ich wieder etwas runtergekommen bin, nehme ich mir einen Moment um die spektakuläre Aussicht zu genießen. Die ist wirklich außergewöhnlich, ich glaube es gibt wenige Orte in den Alpen, wo man einen solchen Rundumblick auf so viele Täler hat, Atemberaubend schön.
Das Racebriefing für morgen machen wir auch noch oben am Kronplatz. Außerdem gibt es die Ergebnislisten. Eine 1:46:43,2 h ist dabei herausgekommen. Ich bin sehr zufrieden, vor allem nachdem ich mir gestern nicht mal zugetraut habe da überhaupt hochzukommen. Danke nochmal an Andrea, Maj-Britt und Jörg für die Anfeuerungs SMS!
Mit der Gondel fahren wir dann wieder hinunter nach Bruneck, so dass wir uns die mit dem Rennrad wenig sinnvolle Abfahrt sparen können.
Die Etappe morgen sieht auf dem Papier nicht so schwer aus, noch keine 100 Kilometer, nur ein Berg. Allerdings geht es erst mal nur berghoch, so dass die starken Fahrer ziemlich schnell weg sind, und man auf der langen Abfahrt im Wind nicht von einer superschnellen Gruppe wird profitieren können.
Aber egal, ich hoffe einfach, dass ich für den Gewaltakt heute nicht zu sehr bezahlen muss. Mein Ziel werde ich neu definieren, denn ich bewege mich jetzt schon drei Etappen einigermaßen im Mittelfeld, da will ich jetzt auch bleiben. Vielleicht sollte ich mir Platz 50 zum Ziel setzen. Nach wie vor ist aber überhaupt durchkommen mein oberstes Ziel, und ich fange langsam an daran zu glauben.
Maj-Britt 10. Juli 2012
Guten Morgen Guido,
na, das ist doch mal ein Ziel! Dann wünsche ich dir eine gute Fahrt nach Lienz!
Liebe Grüße, Maj-Britt