Vom müde und genervt ist heute morgen nichts mehr zu spüren. Zwar habe ich nicht perfekt geschlafen, aber auch ohne Wecker bin ich rechtzeitig wach und um sechs Uhr gibt es das vorbestellte Radfahrspezialfrühstück.
Naja, genau genommen gibt es erst mal trockenes Brot und Zimtbrötchen, aber dann haben wir auch Zugang zu Käse und O-Saft, und Tee gibt es auch. Wir, das sind außer mir noch ein weiterer Flandernrundfahrtteilnehmer und sein Begleitteam. Die haben große Listen gebastelt mit genauen Kilometerangaben, und sie schmieden umfangreiche Pläne, wann sie wo sein müssen usw.
Meine Pläne sind da etwas einfacher, ich habe 5 Gels und zwei Riegel dabei, nehme mir vor die brav alle aufzuessen und will nicht stürzen. Klar, eine brauchbare Zeit will ich natürlich auch fahren, aber da ich die Strecke überhaupt nicht kenne und auf Grund der Hellinge auch nicht recht einschätzen kann, muss ich da raten und gehe von ca. 8 Stunden aus.
Die Idee den Gepäckservice zu nutzen, damit ich im Ziel frische Klamotten habe muss ich gleich verwerfen, denn dass muss man am Stadion abgeben, der eigentliche Start ist aber am Markt, und dort habe ich mich auch einquartiert. Und mit der Tasche irgendwie auf’m Oberrohr nochmal 5 Kilometer hin und her gurken, nee danke. Mit dem Auto hinfahren und wieder zurück, auch Schwachsinn.
Egal, im Zug zurück wird’s ja wohl warm sein…
So rolle ich um kurz vor sieben Uhr zum Markt. Zwar ist das Kopfsteinpflaster ganz leicht feucht, aber das Wetter ist zu meiner Überraschung super. Es sind -2° C, fühlt sich aber nicht so schlimm an, der Wind weht aus Nordost, aber eher schwach, und es deutet sich an, dass die Sonne auch ein bisschen durch die Wolken kommt.
Ich überlege kurz, lasse dann aber die Jacke an, Kurzarmtrikot wäre dann doch etwas übertrieben. Zu meiner Enttäuschung gibt es ja keine echte Zeitmessung mit Chip, sondern man hat eine Karte die gelocht wird. Allerdings nicht am eigentlichen Start, sondern am Stadion. Da ich meine Unterlagen aber gestern schon in Oudenaarde geholt habe, war ich da ja heute gar nicht. Ist mir aber eh wurscht, dieses Stempelsammeln a la Randonneur mag ich eh nicht, Diplom brauche ich keins und Zeitmessung mache ich selbst.
Also starte ich meinen Radcomputer und fahre kurz nach sieben über die Startlinie in Brügge am Markt, vor beeindruckender mittelalterlicher Kulisse. Ich hänge mich gleich an eine Gruppe um mich nicht zu verfahren, denn ich muss erst mal abwarten wie gut das Ganze beschildert ist. Abgesperrt ist nämlich kein Teil der Strecke.
Die leichte Feuchtigkeit ist auch auf dem Kopfsteinpflaster in der Stadt kein Problem, auch als es über eine längere Brücke geht auf der etwas Reif zu sehen ist, gibt es keine Probleme.
Das einzige Bild bis zum unfreiwilligen Ende, sonst keine Gelegenheit… |
Offensichtlich mischen sich hier Teilnehmer mit ganz unterschiedlichen Zielen, so dass auch das Tempo der Fahrer sehr unterschiedlich ist. Kein klassisches Radrennen also, jedenfalls nicht für alle. Ich halte mich erst mal an die Schnellen, langsamer werden kann man immer noch…
Es wird viel auf Fahrradwegen gefahren, das kann ich leiden wie Zahnschmerzen, denn erstens ist es dort eng wenn in großen Gruppen gefahren wird, überholen ist nicht ohne, und vor allen Dingen müssen wir öfters an Einmündungen die Straße überqueren, die ja nicht für den normalen Verkehr gesperrt ist. Geht aber alles gut. Nur an einer Brücke verengt sich der Radweg extrem, und wir brettern da mit 35 km/h drauf zu. Aber seltsamerweise geht alles haarscharf gut, der Massensturz bleibt aus und außer Flüchen in allen möglichen Sprachen und quietschenden Bremsen passiert nix.
Schnell finde ich zwei Fahrer die optisch einen fitten Eindruck machen, gutes Tempo haben und geschickt überholen, da hänge ich mich dran. Tempo macht nur einer, warum weiß ich nicht, aber ist mir auch recht.
So kommen wir gut vorwärts und obwohl ich ja recht früh im Startzeitfenster gestartet bin holen wir immer wieder recht große Gruppen ein. Teils fährt man dann auch eine Weile in größerer Gruppe, um sich dann wieder abzusetzen. Es ist zunächst fast völlig flach und der Wind kommt meist von hinten. Dafür fahren wir eigentlich gar nicht so schnell. Es macht aber auch keinen Sinn jetzt schon Körner zu verschießen.
Irgendwann kommt schon die erste Verpflegungsstation. Obwohl ich gar nicht anhalten will werde ich trotzdem dorthin gewunken, so fahre ich einfach durch die mampfenden Radler und gleich wieder auf die Straße. Wir sind noch nicht mal warmgefahren und sollen schon was essen…?
Dabei verliere ich die zwei Jungs, finde aber schnell andere, die dann wohl zu einer größeren Gruppe gehören, und so bildet sich ein kleines Peloton mit einem Team mit giftgrünen Trikots vorne. Ich fahre direkt hinter den Grünen.
So fahren wir eine ganze Weile, zeitweise über geteerte Feldwege. Wir fahren zwar so 35 km/h, aber für eine so große Gruppe mit Rückenwind finde ich das zu wenig. Statt schön hinter der Gruppe zu bleiben fahre ich irgendwann nach vorne und hoffe ein bisschen Speed reinzubringen, aber irgendwie will keiner mitziehen. Ihr wollt meine Tempoarbeit nicht? Ok, dann fahre ich halt alleine. Weiter vorne kann ich eine weitere große Gruppe sehen, so versuche ich dort ranzufahren. Dazu muss ich ein Auto vor mir überholen, dessen Anhänger vor mir hoch und runter hüpft. Der Weg ist aber zu eng. Das Lauern auf die Überholgelegenheit nimmt mein Konzentration so in Anspruch, dass ich die Rufe hinter mir gar nicht richtig wahrnehme, erst als ich nach zwei Kurven die vordere Gruppe nicht mehr sehe und auch hinten niemand mehr ist, merke ich, dass ich eine Abzweigung verpasst habe. Mist. Also wieder zurück, vielleicht ein Kilometer, aber die anderen sind natürlich weg.
Ich gebe ziemlich Gas, vielleicht komme ich ja wieder ran, aber die sind nirgends zu sehen. Ein paar Kilometer sind nur etwas langsamere Radler vor mir, einzeln oder in kleinen Gruppen. Dann formiert sich aber bald wieder eine Gruppe von vier, fünf Leuten mit denen ich halbwegs zusammen fahre.
Nach ein Paar Kilometer werden wir schon wieder in eine Verpflegungsstation geleitet. So greife ich mir zwei Apfelsinenviertel, Getränke und alles andere habe ich noch in Mengen, und fahre weiter.
Das hat natürlich die Gruppe aufgelöst, aber etwas weiter vor mir sind zwei Fahrer mit gutem Tempo und dazwischen ist noch ein Fahrer der versucht die beiden zu erreichen. Ich versuche wiederum ihn zu erreichen, und nach anderthalb Kilometern sind wir zusammen. Ein weiterer Fahrer überholt uns und wir hängen uns dran. Jetzt haben wir ganz gutes Tempo, ist allerdings deutlich anstrengender als die großen Gruppen vorher.
Vor allem geht es jetzt immer mal leicht berghoch, was für die Fahrer im Windschatten dann auch etwas mehr Anstrengung bedeutet. Vor allem fährt der vorne auch die, zwar nicht langen aber deutlich spürbaren vierprozentigen Steigungen, mit richtig Dampf hoch. Ich muss echt richtig powern (400 bis 500 Watt) um dranzubleiben.
Eine Steigung ist deutlich steiler, auch hier geißeln wir ziemlich hoch, so dass ich erstmals hundert Prozent abrufen muss, und da merke ich deutlich, dass ich immer noch nicht fit bin und diese dämliche Atemwegsinfektion mir noch richtig Power nimmt. Die Lunge brennt.
Aber oben angekommen, lassen die Jungs immer erst mal die Beine hängen, so dass ich immer dranbleiben kann. Eigentlich keine kluge Taktik, besser wäre mit gleichmäßiger Leistung zu fahren, aber ich muss mich natürlich nach den Anderen richten, sonst ist die Gruppe weg.
Wir laufen auf andere Gruppen auf, und es entsteht ein etwas größeres Feld. An einer Stelle mit Gegenwind wird ein Versuch gestartet zu Kreiseln. Ich dachte die Belgier haben das alle drauf, aber es klappt überhaupt nicht, es kommt überhaupt kein Kreisel zustande.
Na egal, es rollt auch so. Die Schaltung ist immer wieder ein Genuss, nachdem ich ja auf Lanzarote im Trainingslager die „alte“ Red Gruppe gefahren bin, ist das jetzt ein Traum. Die Dura Ace ist nicht nur eine andere Liga, das ist ein anderer Planet. Das Fahrrad läuft wie Sau, und auch wenn man zwischendurch immer wieder ordentlich Leistung abrufen muss um an der Gruppe dranzubleiben oder den Ziehharmonikaeffekt auszugleichen, so kann man doch immer wieder mal die Beine hochnehmen. Eine Art zu fahren die mir sehr entgegen kommt.
Dann geht es etwas berghoch nach Tiegem, ich schalte runter und plötzlich kracht es hinten, die Schaltung blockiert. Mist! Was war das denn?
Oje, ich habe vorne großes Kettenblatt und hinten größtes Ritzel geschaltet. Normalerweise nicht dramatisch, aber da ich mich mit dem 32er Ritzel weit außerhalb der Dura Ace Spezifikation befinde, sollte man das unbedingt vermeiden. Passiert mir auch wirklich selten, und wenn ging es bis jetzt immer gut. Diesmal allerdings nicht.
Ich komme aber noch aus den Pedalen, und keiner fährt auf mich drauf, so dass ich absteigen und das Schaltwerk aus den Ritzeln befreien kann. Sieht nicht gut aus, etwas verbogen. Aber ich kriege zumindest alles so hin, dass ich wieder aufsteigen und weiterfahren kann.
Die Gruppe ist natürlich weg. Es geht durch Tiegem, erst noch etwas berghoch, dann in eine Senke und dann kommt die erste Helling.
Kommt mir jetzt aber gar nicht so steil vor, und vor allem schöner Asphalt, kein Kopfsteinpflaster. Das erste Stück hat so knapp 6% Steigung, dann kommt eine Kurve und es wird etwas flacher. Oben kann man schon sehen, dass da tatsächlich richtig viele Leute stehen. Cool, also auch beim Jedermannrennen gibt es Publikum für die Kletterer.
Ich bin jedoch mehr mit meiner Schaltung beschäftigt. Es flacht ja etwas ab, ich würde gerne hochschalten, aber der Umwerfer schaltet nicht, obwohl sich der Motor bewegt. Mist, bin auf dem 28er, so komme ich ja kaum vorwärts, also schalte ich vorne, das funktioniert ja noch.
Und dann kracht es richtig, das Schaltwerk wickelt sich ums Ritzelpaket, das Schaltauge reißt ab und durch die Wucht reißt es das Hinterrad aus den Ausfallenden. Ich komme gerade noch aus den Pedalen. Oh nein! Das war’s, das ist nichts was man eben mal reparieren kann. Ich kann erst mal gar nix bewegen, muss die Kette öffnen um das Schaltwerk zu befreien. Aber machen kann ich jetzt nichts mehr. Nach nur hundert Kilometern, noch bevor die erste Helling bewältig ist, ist es vorbei.
So schnell will ich nicht aufgeben, ich rufe die Servicenummer für technische Notfälle des Rennens an. Obwohl ich den Ortsnamen auf deutsch und auf vermeintlichem belgisch nenne und auf englisch buchstabiere, scheint es mir so als würde die nette Dame am Telefon mich nicht recht verstehen, aber sie will jemanden schicken. Ein bisschen Hoffnung, immerhin gibt es ja Shimano Service.
Ich baue das Hinterrad wieder ein und rolle ohne Kette den Berg wieder hinunter. Unten meint eine Zuschauerin, dass es in Tiegem einen Radshop gäbe, nur 200m weg.
So schiebe ich das Rad nach Tiegem. Die 200m sind 1200m, in Radschuhen nicht so geil, aber der Radshop hat tatsächlich auf.
Dem Besitzer schildere ich mein Problem und wir gehen in die Werkstatt. Mittlerweile friere ich sehr, denn die Klamotten funktionieren nur wenn man mindestens 200Watt tritt, sonst kommen die Minusgrade durch. Und auch in der Werkstatt ist es arschkalt.
Der gute Mann sieht seine erste Di2 im Leben, und obwohl er sich an die Arbeit macht, ist mir klar, dass das hier nichts wird. Immerhin bekommt er das Schaltauge wieder montiert, es ist allerdings verbogen.
Der Service meldet sich, die sind ganz woanders hingefahren, ich gebe sie weiter an den Werkstattmann und der erklärt wo sie hinkommen müssen. Ein bisschen Hoffnung habe ich noch, dass die Shimano Leute das doch irgendwie hinkriegen.
Ich erkläre dem Radshopbesitzer wie man das Schaltwerk anschließt (Stecker rein halt…) und wir warten auf den Service. Mir ist elend kalt. Mein Missmut steigt, das kann’s doch nicht schon gewesen sein.
Endlich kommen Fachleute. Dachte ich jedenfalls. Aber der Notfallservice ist nur ein Team, dass mit einem Kleinlaster die Gestrandeten einsammelt. Keineswegs Shimanoleute. Die beiden bestaunen die Di2, ich könnte schreien.
Nette Helfer, aber leider können die mir bei der Reparatur nicht weiterhelfen. |
Egal, der Radshop knöpft mir 25 Euro ab, das Rad wird verladen, die beiden wollen mich zum Bahnhof bringen. Rennen gelaufen.
Ich frage höflich was denn mit den Shimano Servicestationen wäre. Meine Frage löst fast hysterische Begeisterung aus, oh ja, tolle Idee.
Es dauert eine ganze Weile bis wir dort ankommen. Im Radshop hatte ich schon 1:20 h verloren, jetzt kommt die nächste dazu. Wenn die’s reparieren, bis ich wieder zurück in Tiegem bin, sind wohl vier Stunden verloren.
Die anderen fahren noch, auch nach nach anderthalb Stunden kommen noch viele Fahrer an meiner Havariestelle vorbei. |
Aber selbst das würde nicht klappen, denn niemand würde mich zurück nach Tiegem bringen. Die beiden erklären mir, dass ich an der Servicestation, die auch eine große Verpflegungsstation an einem Knotenpunkt aller Strecken ist, die Möglichkeit hätte noch 100 Kilometer auf der mittleren oder um die 50 auf der kurzen Strecke zu fahren.
Ich erkläre, dass das völlig uninteressant ist, ich mittlerweile ziemlich durchgefroren bin, und eigentlich gleich zum Bahnhof möchte. Aber irgendwie komme ich nicht durch, die zwei sind immer noch so begeistert von meiner Idee den Shimanoservice aufzusuchen, dass ich keine Wahl bekomme.
So bringe ich das Rad zum Shimano Stand. Die vorhersehbare Antwort ist aber leider, dass sie nix machen können. Das Schaltauge ist Specialized spezifisch (alte Regel: immer ein Schaltauge dabeihaben!), und auch das Schaltwerk können sie weder reparieren, noch hätten die ein Ersatzteil, ganz zu schweigen vom Preis den das kosten würde.
An dieser Verpflegungsstation treffen sich Radler aller drei Strecken |
Leider können auch die mir nicht helfen |
So habe ich wenigstens nochmal sinnlos in der Kälte gestanden und will jetzt nur noch zum Bahnhof. Die beiden bringen mich nach Oudenaarde in die Nähe des Bahnhofs, dann müssen sie den Nächsten holen, hoffentlich hat der mehr Glück…
Das mit dem Zug klappt erstaunlich reibungslos, allerdings treffe ich am Bahnhof einen Belgier aus Brügge, der das Rennen aufgegeben hat und ebenfalls zurückfährt, so dass ich an der richtigen Stelle umsteige 🙂
Als er mir erzählt, dass er aufgegeben hat, weil er nach der zweiten Helling, nach dem Essen an der Verpflegungsstation kotzen musste, denke ich nur, er hätte mir doch eine Helling vorher sein Fahrrad leihen können, dann hätte ich wenigstens zuende fahren können.
Anyway, meinen Frust habe ich ganz gut im Griff, kann halt passieren. Ein Profi hätte sich über die zwei Minuten geärgert, die er für den Fahrradtausch gebraucht hätte, für mich ist es halt vorbei.
Zurück in Brügge muss ich aber dann doch aus Frust einen Cheeseburger mit Pommes essen, schmeckt allerdings nicht so recht und verfehlt seine Wirkung. Die ersten beiden Events des Jahres (Trainingslager Lanzarote und Flandernrundfahrt) waren beide sehr teuer und haben ohne Nutzwert geendet. Schade. Sehr schade.
Das nächste Ziel ist nun „Rund um den Finanzplatz“ am 01. Mai. Dort möchte ich auf jeden Fall schneller sein als letztes Jahr.