Leicht melancholische Popmusik klingt aus den Lautsprechern, der Milchkaffee steht duftend auf dem Tisch, draußen sind es minus 10 Grad und die Landschaft ist weiß, die Straßen vereist. Die Webcams an der Großglockner Hochalpenstraße zeigen nur weiß, alles ist hoch mit Schnee bedeckt. Ein guter Zeitpunkt also für ein Fazit des „steilberghoch-Jahres“ 2010.
Es war das zweite Jahr, in dem ich Alpenpässe gefahren bin, und das erste Jahr, in dem ich mich dem Wettkampf gegen andere Radfahrer und der Stoppuhr gestellt habe. Aber das wichtigste Ziel war es die körperliche Verfassung nach der GB-Tour 2009 wenigstens annähernd zu konservieren, um 2011 mit ordentlicher Grundlage in meine dritte große Radreise zu starten.
Der harte Winter 2009/2010 hat die erste Fahrt zwar erst spät im Mai ermöglicht, dann sind es aber immerhin doch sieben Wochenenden plus eine ganze Trainingslagerwoche in den Alpen geworden, dazu kamen noch zwei Wochenenden im Schwarzwald.
Die ersten Fahrten im Mai / Juni und die letzten im September/Oktober waren auf Grund des Schnees schon sehr speziell. Auch die anderen Alpentouren waren von teils sehr kühlen Temperaturen und oft auch Regen geprägt. Und obwohl ich nicht gerne friere auf dem Fahrrad, waren es doch immer fantastische Erlebnisse. Die spektakuläre Alpenlandschaft auf dem Rennrad zu erfahren ist, auch nachdem ich jetzt zwei Saisons Erfahrung gesammelt habe, immer wieder ein ganz spezielles Erlebnis.
Am intensivsten wahrnehmen kann man dieses Erlebnis, wenn man alleine, früh morgens unterwegs ist, wenn man mit den Bergen noch eher allein auf der Passstraße unterwegs ist. Eine neue Facette die ich dieses Jahr kennenlernen durfte, nämlich die Variante mit tausenden Fahrern nicht nur gegen den Berg sondern auch gegen die Uhr zu kämpfen, fühlt sich ganz anders an, ist aber auch sehr spannend, und macht vor allen Dingen auch Spaß.
Der Spaß kam natürlich vor allem auch daher, dass ich die zusätzlichen Kräfte die in einem Wettkampf frei werden erstmals auf dem Rennrad erlebt habe, und dass meine Zeiten erstaunlich viel besser waren, wie ich das erwartet hatte.
Noch immer bin ich erstaunt darüber, wie sehr die Radreisen meine Fitness nachhaltig positiv beeinflusst haben, dass ich offensichtlich gute genetische Vorraussetzungen für Ausdauerleistungen habe, und wie Anpassungsfähig der menschliche Körper auf intensive Belastungen reagiert.
Das einzige wirklich frustrierende Erlebnis war der Leistungstest Anfang Juli. Auch wenn er ziemlich gut mein Training wiedergespiegelt hat und die Grundlagenausdauer verbessert war, so war ich doch etwas enttäuscht über die Kraft, die ich auf’s Pedal gebracht habe. Noch dazu war der Ablauf chaotisch, und meine gesundheitlich relevanten Werte nicht „perfekt“ wie bei den Tests vorher. Das hatte mich enorm frustriert, und auch wenn ich nach dem Wechsel zum Radlabor wieder einen Test hatte, bei dem alles bestens war, so habe ich doch gemerkt, dass ich diese Zeit bester Gesundheit und hoher körperlicher Fitness genießen muss, denn das psychische Wohlbefinden ist offensichtlich sehr eng korreliert damit.
Anyway, der Genuss den man aus dem Rennradfahren in den Alpen zieht ist enorm, dafür muss man allerdings auch recht viel Zeit ins Training investieren, sonst wird es doch eher zur Qual. Viel lange Grundlageneinheiten, Krafttraining im Studio, für alle Muskeln, nicht nur die Beine, Techniktraining für den Tritt, die Frequenz, die Radbeherrschung, und nicht zuletzt auch das optimieren des Materials helfen sehr 50 Kilometer am Stück berghoch zu fahren und es zu genießen, oder den Ötztaler Radmarathon zu finishen.
Der „Ötzi“ war mit Sicherheit der Höhepunkt dieser Saison. Dass ich das Ding unter zehn Stunden gefahren bin kann ich immer noch nicht fassen. Dadurch, dass der Marathon so gut organisiert war, war das ganze Wochenende ein Erlebnis. Vor allem aber das Rennen selbst. Es war neben Teilabschnitten auf den beiden Radreisen das anstrengendste, das ich je gemacht habe. Ein Erlebnis von dem man lange zehren kann.
Es war allerdings auch das erste mal, dass meine liebe zu den Alpen für kurze Zeit etwas abgekühlt ist. Der Köper hat deutlich nach Regeneration verlangt. Die letzten Fahrten am Penser Joch haben dann aber wieder enormen Spaß gemacht, auch wenn es schon recht kalt war. Aber auf freier Straße im Schnee die Berge mit dem Rennrad hochzufahren ist immer ein spektakuläres Erlebnis.
Schade, dass jetzt die Alpensaison für Radfahrer definitiv zu Ende ist. Zwar habe ich darüber nachgedacht mit einem CycloCross Rad und Spikes einen Pass im Winter zu knacken, das ganze aber wegen des logistischen Aufwandes verworfen. Mit dem Mountainbike wäre das sicher drin, aber das hat sowenig mit Radfahren zu tun…
Also doch Ergometer im Wohnzimmer und alberne Krimis im Fernsehen dabei schauen. Vielleicht gibt es nächstes Jahr dann mal wieder ein richtig schönes, warmes Wochenende mit ordentlich Alpenhöhenmetern, spektakulären Pässen, und natürlich Kaiserschmarrn…