steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Silvretta Hochalpenstraße – Westanfahrt, Arlberg Ostanfahrt

Für heute war gutes Wetter angesagt, und die Vorhersage bestätigt sich. Was für ein Glück, das einzige freie Wochenende das mir zur Verfügung steht, und dann passt das Wetter, und Marco hat Zeit, und die Coronasituation lässt das das Reisen zu.

Ich steige also, nach dem schönen ersten Tag mit den knapp 100 Einfahrkilometern, mit einem breiten Grinsen auf’s Rad. Rennradfahren in den Alpen – es gibt wohl kaum schönere Dinge die man machen kann.

Aber neben der Freude spüre ich natürlich auch einen gehörigen Respekt vor der vor uns liegenden Strecke, die mit Arlbergpass und Bieler Höhe zwei Alpenpässe enthält.

Wir sitzen kurz vor neun auf dem Rad, und bei frischer, aber angenehmer, Temperatur und Sonnenschein radeln wir von Landeck über die 171 in Richtung St. Anton. Dort wartet mit der Ostseite des Arlbergpasses die erste Herausforderung mit Steigungsprozenten im zweistelligen Bereich.

Wir lassen es eher locker angehen. Die erste Möglichkeit die Beine aufzuwärmen gibt es im Anstieg hoch nach Pians. Dort biegen wir dann nicht ins Paznautal auf die 188 ab, sondern fahren parallel zur Autobahn berghoch, um dann auf flacher werdender Straße am Hang entlang weiter auf der 171 zu fahren, die ab hier auch als „Arlberg Panoramastraße“ ausgeschildert ist.

Bald sind wir auf Höhe der Trisanna Brücke und können einen Blick 90 Meter hinunter auf die Straße werfen, die wir gestern gefahren sind.

Die Eisenbahnstrecke läuft auf der anderen Seite des Tals ebenfalls am Berghang, was teils recht idyllisch aussieht, und Lust auf eine Bahnfahrt in den Alpen macht. Aber momentan genießen wir das Verkehrsmittel Nr. 1, das Fahrrad in seiner schönsten Form.

Bei moderater Steigung fahren wir durch das Stanzertal. Nur einmal werden wir kurz ausgebremst. Es ist Almabtrieb, und die Kühe werden auf der Straße talabwärts getrieben. Da mittendurch zu fahren ist keine gute Idee, so warten wir am Straßenrand bis die Strecke wieder frei ist, und sich das Gebimmel der mächtigen Kuhglocken wieder entfernt.

Almabtrieb im Stanzertal

Nach einigen weiteren Kilometern durch das schöne Tal, mit Eisenbahnviadukten links der Straße, der Rosanna, einem klaren Bergfluss rechts der Straße, und Blick auf die alpine Bergwelt voraus, erreichen wir St. Anton.

Ab hier fährt jeder sein eigenes Tempo. Am ersten Ortsschild nach dem Kreisel drücke ich die Runde ab. Die Steigung zieht sofort auf 10% an. Hier beginnt der Arlbergpass. Jetzt wird es ernst. War es es wirklich eine gute Entscheidung sich jetzt schon Alpenpässe vorzunehmen, bei diesem Leistungszustand? Egal, jetzt heißt es kämpfen und auf einen guten Tag hoffen.

St. Anton in Richtung Arlbergpass

Ich empfinde die Steigung als heftig und merke sofort, dass ich keinerlei Reserven habe, also nichts dosieren kann, sondern von unten an alles geben muss. Ein seltsames Gefühl. Aber ich kämpfe mich weiter nach oben. Der Belag ist so mittelgut, teils gerade frisch abgefräst.

Nach einer Weile höre ich ein Schalten hinter mir, und denke Marco hat mich eingeholt, aber es ist ein anderer Rennradfahrer, der an mir vorbei zieht. Dann lässt er allerdings etwas nach, und obwohl er so ca. drei Gänge größer gefahren ist als ich, bleibt er in Sichtweite. Reichweite wäre der falsche Ausdruck, denn ich kann nichts entgegensetzen oder gar kontern.

Im Gegenteil, ich hoffe langsam inständig, dass die Steigung bald nachlässt. Ich hatte mir das Passprofil überhaupt nicht richtig angeschaut, ich weiß nicht mal wie lang der Anstieg eigentlich ist, und ob das Ding zwischendurch mal abflacht.

Der Autoverkehr ist eigentlich moderat, es kommen aber immer mal wieder Gruppen von Autos und Wohnmobilen vorbei. In einer Kurve mit Gegenverkehr zieht ein Wohnmobil nach rechts, und die Seitenwand des Fahrzeugs kommt mir bedrohlich nahe, puh, das waren nur wenige Zentimeter. Ich beschimpfe den Fahrer und gestikuliere entsprechend, auch wenn das natürlich wenig nützt. Egal, weitertreten…

Ich fahre nun schon über drei Kilometer zwischen 10 und 12% steil berghoch. Ok, damit werde ich endlich mal wieder dem Namen meines Blogs gerecht. Aber vielleicht sollte ich einfach mal die Domain wechseln auf „flach-ist-super.de?

Egal, weitertreten… Die Trittfrequenz ist zu niedrig, ich fühle mich nicht hundertprozentig fit, aber ich komme vorwärts, und dann flacht es tatsächlich ab, und es folgt ein Tunnel mit moderater Steigung. Gerade rechtzeitig. Als ich aus dem Tunnel fahre bin ich etwas verwirrt, habe ich etwa die Passhöhe gleich erreicht?

Tatsächlich. Noch ein Schlussanstieg, vorbei am berühmten Hospiz und schon ist die Passhöhe zu sehen. Der Rennradler von vorhin ist in der Kurve nicht zu sehen, aber kurz vor der Passhöhe sehe ich noch einen zweiten, langsameren Rennradfahrer. Beflügelt vom Blick auf das Ziel gebe ich nochmal richtig Gas und hole ihn noch kurz vor der Passhöhe ein. Dann ist es geschafft, und ich bin oben.

Und obwohl es nur ein kleiner Anstieg ist, strömen Glücksgefühle durch meinen ganzen Körper. Was für ein schöner Moment. Rennradfahren in den Alpen ist einfach geil.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht drücke ich einer Dame die Kamera in die Hand für das Passschild Foto. Wie sich herausstellt, saß sie im Fahrzeug hinter dem Wohnmobil, welches mich fast gestreift hätte. Es war wohl deutlich knapper als ich dachte, denn sie erzählt, das der Spiegel meinen Kopf nur um Millimeter verfehlt hat, was ich gar nicht wahrgenommen hatte.

Das verdirbt meine Laune aber keineswegs. Ich besorge mir erst mal einen Cappuccino und ein Stück Himbeerkuchen, welches wirklich köstlich schmeckt. Kurze Zeit später trifft Marco ein, und wir genießen die Sonne und den Kaffee auf der Passhöhe. Schon jetzt ist das ein super Tag.

Erstmals seit langem spüre ich wieder diese emotionale Bindung zu den Bergen, zum Rennradfahren in den Bergen. Selbst die Verbindung zu den Erinnerungen an meine bisherigen Rennradabenteuer, egal ob beim RAAM oder in den Alpen scheinen sich zu regenerieren. Wahnsinn, manchmal ist es so einfach.

Wir machen uns nun auf den Weg in die Abfahrt, schließlich liegt der größte Teil der heutigen Strecke noch vor uns. Ein Radfahrer den ich frage meint, dass es noch ca. 20 Kilometer bis Bludenz sei, unser Einstieg in die Westseite der Silvretta Hochalpenstraße. Kommt mir etwas wenig vor, aber egal, es geht ja eh hauptsächlich bergab.

Zunächst geht es einige Kilometer recht gerade bergab. An der Umfahrung eines längeren Tunnels treffen wir wieder auf den Holländer, den ich gerade noch vor der Passhöhe überholt hatte.

Den lassen wir aber hinter uns, und dann ändert sich der Straßenverlauf an einer Talstufe. In mehreren Serpentinen windet sich die Straße abwärts. Ich fahre ja das erste mal mit Schreibenbremsen in den Alpen, und obwohl am Rad nur eine einfache Tiagra Gruppe montiert ist, mit den entsprechenden Bremsen ist der Unterschied enorm. So easy konnte ich noch nie bergab fahren, auch wenn ich bis dato immer sehr hochwertiges Material gefahren bin.

Nach dem Ende der Talstufe rollen wir wieder sanfter bergab, so dass etwas Mittreten erforderlich ist, aber natürlich macht es höllisch Spaß so easy bergab zu geißeln. Wir lassen es allerdings locker angehen.

Dann treffen wir in Braz wieder auf einen Almabtrieb. Die Autos stauen sich dahinter. Wir können zwar ein Stück über den Bürgersteig fahren, dann ist aber auch für uns Schluss. Zwei einheimische geben uns aber einen Tipp zur Umfahrung. Den müssen wir erst mal mit ein paar unerwarteten Höhenmetern bezahlen. Gerade und steil führt die Straße bergauf.

Aber nach 200 Metern fahren wir parallel oberhalb zur Hauptstraße mit den laut bimmelnden Kühen um diese herum und kommen vor dem Tross wieder auf die Straße zurück. Diese haben wir nun ganz für uns, da die Autos ja noch hinter den Kühen festhängen.

So fahren wir auf äußerst verkehrsarmer Straße weiter und haben Bludenz bald erreicht. Insgesamt waren es nicht 20 sondern 35 Kilometer von der Passhöhe aus. Direkt am Ortschild biegen wir ab auf die 188 in Richtung Montafon. Sofort nimmt der Verkehr massiv zu.

Kolonnen von Autos und Lastwagen fahren an uns vorbei. Automatisch fährt man etwas schneller. Da wir den Anstieg von hier an rechnen, fährt nun jeder wieder sein eigenes Tempo. Ich gebe etwas Gas, weil ich einfach den lästigen Verkehr hinter mir lassen will. Der Gedanke ist, das mit jedem Ort der Verkehr abnehmen sollte, bis irgendwann nur noch die Silvretta Touristen unterwegs sind.

Ich versuche mich zu erinnern wie lange die Strecke bis zur Bieler Höhe ist, ich glaube mich an ca. 40 Kilometer zu erinnern. Die Steigung ist allerdings zunächst sehr moderat, ein oder zwei Prozent. Manchmal ist es flach. So lege ich zwar Strecke zurück, erarbeite mir aber kaum Höhenmeter. Im Schlussanstieg wird es über 10% steil, hoffentlich mit abflachenden Streckenteilen, sonst könnte es noch eine heftige Quälerei werden heute.

Ich versuche die Leistung etwas hochzuhalten. Allerdings habe ich mir womöglich wirklich einen Infekt eingehandelt, was auch das Brennen der Lunge gestern erklären würde. So richtig super fühle ich mich körperlich nicht. Allerdings geht es mir vom Kopf her blendend. Meine Theorie mit dem abnehmenden Verkehr bestätigt sich. Allerdings sind doch immer noch sehr viele Autos unterwegs. Nur manchmal gibt es kurze Verschnaufpausen, in denen dann die Schönheit des Montafon so richtig zum Tragen kommt.

Nach einigen Kilometern werde ich zur Umfahrung eines Tunnels auf den Fahrradweg umgeleitet. Hm, hoffentlich komme ich da wieder zurück auf die Straße, denn es sieht gerade so aus, als ob der Fahrradweg sich von der Straße entfernt. Aber alles gut, ich komme bald wieder zurück auf die Straße.

Kurze Zeit später gibt es tatsächlich eine Radwegbenutzungspflicht für einen parallel zur Straße führenden Radweg. Mit etwas Missmut fahre ich den Abschnitt auf dem Radweg, dann führt der aber ins Tal und ich kehre zurück auf die Straße.

In den nächsten Ort steigt die Straße dann heftig an und ich höre ein unangenehmes Geräusch vom Hinterreifen. Mist, habe ich mir etwa einen Platten gefahren? Ich will gerade anhalten und schauen als das Geräusch aufhört. Offensichtlich hat sich nur etwas in den Reifen verbissen und dann wieder losgelassen.

Die Straße wird wieder flacher, es kommt auch nochmal ein Radweg, allerdings steht dort explizit, dass keine Benutzungspflicht besteht. So kann ich auf der Passstraße bleiben.

Mittlerweile ist der Straßenbelag deutlich besser geworden, teils ist die Straße frisch geteert. Der Verkehr hat weiter abgenommen und die Steigung zieht etwas an. Jetzt wirkt das sich verengende Tal sehr idyllisch, eigentlich traumschön. Ich kann das sehr genießen, trete ganz ordentlich rein, nur im Unterbewusstsein grummelt der Gedanke an den folgenden sehr steilen Anstieg.

Als ich auf den Radcomputer schaue, muss ich feststellen, dass mir ja noch über 900 Höhenmeter fehlen. Ich bin etwas konsterniert. Eigentlich muss das ja bedeuten, das praktisch alle Höhenmeter auf den letzten Kilometern folgen, wie soll ich das denn schaffen? Die Steigung sollte bald anfangen, sonst wird es mega hart.

Die Straße hat jetzt auf ca. 5% Steigung angezogen, ich habe ca. 27 Kilometer seit Bludenz zurückgelegt. Das Tal verengt sich immer mehr und man fährt direkt auf den Berg zu. Dann endlich kommt das Schild „Beginn der Silvretta Hochalpenstraße“ und auch die Mautstation wo die Autofahrer zahlen müssen, die Radfahrer aber durchfahren dürfen.

Das ist auch richtig so, denn die müssen sofort in anderer Währung bezahlen. Die Straße klappt nach oben auf 10% Steigung. Das bleibt dann auch so. Es gibt zwar Serpentinen, aber die Steigung bleibt zweistellig. Und schnell sehe ich auch das erste mal 11 bzw. 12% auf dem Radcomputer.

Ich muss vom ersten Meter an an meiner Leistungsgrenze kämpfen. Die Meter fließen zäh. Der erste Kilometer geht noch, aber der zweite ist schon bitter. Ich hoffe nur, dass hier das Ende der Steigung so überraschend schnell kommt wie am Arlbergpass. Aber zunächst wird meine Hoffnung enttäuscht drei Kilometer Kampf, vier Kilometer Kampf.

Dieser Anstieg ist für mich definitiv noch zu steil. Am Arlbergpass wäre jetzt ungefähr die Straße abgeflacht, hier aber bleibt es einfach steil, 10% 11% 12% zeigt der Radcomputer. Meine kleinste Übersetzung von 34-32 reicht einfach nicht aus. Mir ist regelrecht schlecht. Allerdings kenne ich das auch noch von früheren Passauffahrten, das gibt sich dann irgendwann wenn der erste Schock für den Körper vorbei ist.

Trotz der Quälerei bis hierher habe ich noch ca. drei Viertel der Höhenmeter des steilen Schlussanstiegs zu bewältigen. Die Trittfrequenz liegt unter 70, und auch wenn tatsächlich jetzt vier Serpentinen aufeinanderfolgen die etwas flacher sind, und nach denen die Straße nicht direkt wieder auf 12% anzieht, so ist das nur ein schwacher Trost. Immerhin fühlen sich die 10% jetzt wie (leichte) Entlastung an.

Es fehlen mir doch einige dutzend Watt um diesen Anstieg vernünftig hochzufahren. Ich kämpfe trotzdem weiter, Serpentine um Serpentine. Allerdings bin ich geschockt, als ich versuche zu ergründen wo die Straße weiterführt, in dem sich immer mehr verengenden Talschluss. Denn auf der gegenüberliegenden Talseite, weit über mir sehe ich Autos fahren. Verdammt, die kommen hoffentlich von irgendwo her, nur nicht von dieser Straße hier!

Aber es ist tatsächlich so, über eine kleine Brücke, die mir ein paar Sekunden Entlastung bringt, geht es auf die andere Talseite und dann weiter steil berghoch. Nach wie vor immer zweistellig, meist eher 12 als 10%. Ich bin ziemlich am Ende, und es ist noch weit, elend weit. Im Prinzip ist das hier von der Steigung und Länge her nicht viel anders als der zweite Teil der Glockner Hochalpenstraße ab der Mautstation bis zum Fuscher Törl. Und den bin ich absichtlich nicht gefahren, da mir das zu schwer erschien. Immerhin weiß ich jetzt, das ich recht hatte…

Zu sagen ich kämpfe mich trotzdem Kilometer um Kilometer nach oben würde der Sachlage nicht gerecht. Ich kämpfe mich eher dutzende Meter um dutzende Meter nach oben. Dabei versuche ich trotz der Anstrengung die eigentlich schöne Szenerie zu genießen. Aber das will mir nicht recht gelingen. Denn jetzt melden sich die Muskeln erstmals mit zuckendem Protest. Zunächst die linke Wade, dann der rechte Oberschenkel.

Blick zurück ins Tal

Mir bleibt aber nichts anderes, als weiter zu kämpfen. Und auch wenn es ewig zu dauern scheint, sehe ich dann endlich eine Staumauer. Bin ich gleich oben? Nein, die sieht anders aus als gestern, das ist erst die erste Staustufe. Steil geht es weiter, bis dann endlich, endlich ein Flachstück erreicht ist. Mittlerweile schreien alle Muskeln mit zuckenden Blitzen nach oben zum Gehirn das es reicht.

Hoffentlich bekomme ich jetzt keine Krämpfe auf dem Flachstück. Ich versuche nicht zu wenig Leistung zu treten, damit die Beine gar nicht auf die Idee kommen zu krampfen. Der Plan geht zur zum Teil auf, aber ich kann das überfahren.

Der Radcomputer zeigt mir, dass immer noch 250 Höhenmeter fehlen. 250! Am liebsten würde ich aufgeben und das Rad irgendwo in den Graben werfen. Aber im Aufgeben war ich schon immer schlecht, immerhin das hat sich nicht geändert.

Und dann zieht die Steigung wieder an, bumm 12%, meine Beine reagieren echt sauer. Es zuckt und blitzt, egal ich kämpfe weiter.

Eigentlich sieht es hier wunderbar idyllisch aus, mit traumhafter alpiner Szenerie, und das Ziel scheint nah, aber es geht einfach nur brutal bergauf. Wenn jetzt nur die Beine durchhalten….

Dann macht aber die linke Wade zu, heftiger Krampf, und gleich folgt der rechte Oberschenkel, ich kann keinen Millimeter mehr treten, schaffe es gerade noch auszuklicken. Mist Mist Mist. Kurz dehnen und gleich wieder auf’s Rad. Ich schaffe weitere 500 Meter, dann das Gleiche wieder. Diesmal kann ich kaum ausklicken, weil rechts Wade und Oberschenkel gleichzeitig zu machen, der Drehbefehl scheint kaum am Fuß anzukommen.

Blick zurück beim Dehnen der geschundenen Beinmuskeln

Wieder kurz dehnen und gleich wieder auf’s Rad. Jetzt beschließe ich einfach weiterzutreten, egal was die Beine sagen. Das klappt gerade so. Eigentlich wollte ich genau das verhindern durch kluge Wahl der Strecke. Immerhin 250 Höhenmeter haben mir gefehlt und es wäre aufgegangen.

Die Straße führt jetzt nur leicht kurvig, ohne Serpentinen steil nach oben. Das könnte einen entmutigen, aber ich bin eh schon am Ende, deshalb nehme ich es einfach hin, und versuche nur auf dem Rad zu bleiben.

Noch einmal verwirrt mich eine Straße, die ich hoch oben über mir sehe, aber das ist zum Glück ein Abzweig. Ist auch so schwer genug, aber ich kämpfe mich tatsächlich weiter nach oben, bis ich eine lange Gerade erreiche. Auf flacher Strecke fahre ich nun auf die zweite Staustufe zu. Die Bieler Höhe ist vor meinen Augen. Ich versuche die Beinmuskulatur irgendwie im Zaum zu halten, die jederzeit Krampfen könnte. Immer wieder blitzt und zuckt es. Und dann kommt der Schlussanstieg. Der fühlt sich für mich gerade an wie ein sinnloser Schuss Quälerei für die Rennradfahrer.

Aber auch den schaffen die Beine noch, und dann fahre ich am Passschild vorbei, endlich! Das Schild steht allerdings nicht am höchsten Punkt, so fahre ich weiter bis dorthin wo ich auch gestern schon die Runde abgedrückt habe.

Man war das brutal. Aber jetzt hier oben zu sein, ist auch brutal – brutal schön! Ich habe es tatsächlich geschafft. Gestern der Tag, oder nur der Arlbergpass von heute, wären noch Alpenpässe light gewesen, aber das hier zählt nun wirklich. Die lange Anfahrt ab Bludenz, mit ca. 40 Kilometern, der heftige Schlussanstieg über 13 Kilometer mit durchgehend zweistelligen Steigungsprozenten, mehr kann man von einem ordentlichen Pass nicht verlangen. Und ich bin trotzdem hochgekommen, wenn auch mit Kampf auf der allerletzten Rille.

„Passhöhe“ Bieler Höhe

Jetzt erst mal einen heißen Kakao, einen heißen Cappuccino und eine Apfelschorle trinken. Reihenfolge egal. Zum Glück hat heute alles geöffnet, denn ich bin diesmal früh genug. Ich hoffe Marco ergeht es besser als mir, der hatte zwar heute im Flachen ungewöhnliche Probleme, aber er sollte eigentlich im Verhältnis deutlich fitter sein als ich.

Mir ist auch noch nicht ganz klar, wie ich die 50 Kilometer nach Landeck zurück ins Hotel bewältigen soll. Die Muskeln sind wirklich am Ende, ich muss laufen damit sie nicht krampfen. Ich versuche leicht zu dehnen, was nicht ganz einfach ist, da der Antagonist immer gleich krampfen möchte.

Ich schaue mal ob Busse nach Landeck fahren, und das tun sie tatsächlich alle halbe Stunde, also zur Not wäre auch das eine Möglichkeit. Ich trinke noch eine Runde Kakao, Cappuccino, Apfelschorle und versuche den Ausblick und den Moment etwas zu genießen. Allerdings ist es hier oben schon recht windig und kühl, immerhin sind wir auf über 2000 Meter Höhe. Ich friere und Marco hat meine Jacke im Rucksack. So kaufe ich mir ein Silvretta Hoodie, das auch wirklich kuschlig warm ist.

Ich laufe immer mal wieder zum Ende vom Parkplatz und schaue hinab auf die Passstraße, aber Marco ist nirgends zu sehen. Es kommen auch immer mal wieder Rennradfahrer oben an, aber er ist nicht dabei. Mir ist mittlerweile trotz Hoodie kalt, und ich fahre ein paar Meter mit dem Rad auf dem Parkplatz rund. Aber das ist auch nicht die beste Idee, meine Beine haben gerade keinen Bock auf Radfahren.

Mittlerweile mache ich mir echt sorgen um Marco, denn das ist wirklich ungewöhnlich, ein paar Minuten ok, vielleicht auch mal eine halbe Stunde, aber anderthalb Stunden, da ist was nicht in Ordnung. Ich kann ihn auf dem Handy nicht erreichen.

Mittlerweile ist es 17 Uhr und die Gastronomie auf der Passhöhe schließt. Das ist schlecht, denn ich friere ja schon drin, draußen ist mir wirklich zu kalt. Ich frage ein paar Schweizer Radler, die vor kurzem oben angekommen sind, ob sie Marco vielleicht gesehen haben. Aus meinen Beschreibungen können Sie ihn nicht erkennen, aber als ich ein Bild von heute morgen zeige erkennen sie ihn. Offenbar sind sie ziemlich zur gleichen Zeit in den Schlussanstieg ab der Mautstation gestartet. Da sie nach eigenen Angaben zwei Stunden für den Anstieg gebraucht haben, also noch deutlich länger als ich, weiß ich, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Da die Gruppe gerade wieder auf dem Rückweg nach Bludenz ist, tausche ich mit Christian, einem der Radler Handynummern aus, und bitte die Gruppe, falls sie Marco sehen, mir kurz Bescheid zu geben.

Ich ware weiter, und überlege schon, mit dem Bus nach Landeck zu fahren um das Auto zu holen. Ich kann Marco nicht mit dem Rad entgegen fahren, ein zweites Mal schaffe ich den Anstieg nicht! Meine Beine sind am Ende. Der Bus braucht allerdings 90 Minuten, dann wird es knapp noch rechtzeitig wieder zurück an der Mautstation zu sein, bevor diese schließt.

In dem Moment klingelt das Telefon mit der eben ausgetauschten Schweizer Nummer. Marco ist dran, er hatte einen Platten und der Ersatzschlauch hält die Luft nicht, so dass er alle 100 Meter pumpen muss. Er ist immer noch 4 Kilometer von der Passhöhe entfernt. Wir beschließen, dass ich das Auto hole und ihn abhole.

Ich schwinge mich nun also auf’s Rad und stürze mich mit Vollgas in die Abfahrt in Richtung Landeck. Gestern haben wir bei lockerer Fahrt ca. 1:20 h gebraucht, das wäre jetzt etwas zu viel, denn ich muss ja rechtzeitig mit dem Auto wieder die Mautstation erreichen. Also gebe ich auch auf den vielen langen, nur flach abfallenden Teilstücken richtig Gas. Die Beine funktionieren wieder erwarten recht gut. Da es ja praktisch immer bergab geht, kann ich die Leistung über Trittfrequenz machen und dosiere immer so um 220 Watt, das scheint der Wohlfühlbereich für Wade und Co. zu sein.

50 Kilometer sanfte Abfahrt ziehen sich, und nach 30 Kilometern wünsche ich mir echt das Ziel herbei. Dabei hält mich der Hoodie erstaunlich warm, ich vermisse die Jacke nicht. Kurz vor Pians dann der Gegenanstieg, der tut nochmal weh, aber ich liege ziemlich gut in der Zeit, ich dürfte mehr als 10 Minuten schneller sein als gestern. Ich mache mir nur sorgen wie ich gleich Auto fahren soll, Krämpfe beim Autofahren sind echt unangenehm.

Anyway, nach 1:04 h habe ich das Parkhaus erreicht, schmeiße Helm und Fahrrad in den Kofferraum und mache mich zurück auf den Weg in Richtung Bieler Höhe. Es fühlt sich gerade etwas seltsam an, die Strecke mit dem Auto zu fahren, außerdem ist mir Kalt. Aber, das ist der Vorteil vom Auto, ich mache einfach die Heizung an…

Mit den Beinen klappt es zunächst erstaunlich gut, aber dann kommt der erste Krampf beim Gasgeben, interessanter weise im rechten Schienbein. Zum Glück hat das Auto ein Automatikgetriebe, so kann ich kurz mit dem linken Bein arbeiten, dann geht es auch schon wieder. Allerdings, als ich meine Schuhe etwas öffnen will verkrampft die Hand, und ich kann den Daumen nicht mehr Abspreizen, weil die ganze Hand verkrampft ist. So fahre ich mit einer Hand und hoffe, dass jetzt nicht auch noch die Beine wieder krampfen.

Anyway, so erreiche ich zwar etwas angeschlagen, aber rechtzeitig die Mautstation. Ich erkläre die Situation, muss aber trotzdem den vollen Mautbetrag bezahlen, schade. Ich halte mich nicht ganz an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, denn ich denke mal Marco wird mittlerweile ordentlich frieren. Wie gesagt, die Gastronomie auf der Bieler Höhe hat längst geschlossen.

Als ich mich gerade mental auf die Serpentinen mit dem alten Renault Megane mit quietschenden Stoßdämpfern vorbereite, sehe ich Marco am Straßenrand. Endlich, ich freue mich sehr ihn wohlbehalten wiederzusehen. Und er freut sich offensichtlich auch, endlich hat auch für ihn die Tortur ein Ende, ihm waren die Getränke recht früh ausgegangen, dann der Plattfuß mitten im fiesen Anstieg. Anyway, jetzt haben wir es geschafft, und wir rollen im wohlig warmen Auto zurück ins Hotel.

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