Als ich aus Flagstaff herausfahre merke ich schnell, dass ich zu warm angezogen bin. Der Verkehr ist recht lebhaft und die Strecke erst mal unangenehm zu fahren. Eine vielspurige Straße mit einigen Auf- bzw. Abfahrten. Da hier Directfollow verboten ist, werde ich aber vor dem Verkehr nicht beschützt. Eigentlich seltsam, zeigt aber, dass das mit den Sicherheitsvorschriften der verschiedenen Behörden immer nur Gelaber ist um ihre eigenen Wünsche (Directfollow Pflicht/erlaubt/verboten) zu legitimieren.
Die Autofahrer fahren hier aber noch sehr defensiv und vernünftig, und was den Verkehr betrifft bin ich doch sehr abgehärtet, so dass ich mich eher auf die „Sehenswürdigkeiten“ am Straßenrand konzentriere. Da wäre zum Beispiel dieses „Indianerkunst Zentrum“, ein Anwesen, etwas heruntergekommen mit unzähligen meist recht kitschigen Schnitzereien. Das ist so auffällig, zumal es oben auf einer Böschung angesiedelt ist, dass es mir jedesmal auffällt wenn ich hier vorbeifahre.
Ich muss aber nochmal anhalten und die warme Kleidung loswerden. Wieder so ein kleiner Stopp. Von denen hatte ich schon einige, ich muss wirklich versuchen das etwas zu reduzieren, „going is faster than stopping“, alte RAAM-Weisheit. Das ist unabhängig davon ob man eine regenerative Strategie mit (relativ) viel Schlaf fährt oder die „ich fahre bis zum umfallen und schlafe dann so wenig wie möglich“-Strategie. Pausen müssen eigentlich immer zu Nahrungsaufnahme oder Schlaf führen. Aber jetzt ist mir einfach zu warm. Ein bisschen lasse ich mit mir verhandeln, aber dann muss ich die Klamotten tauschen.
Nachdem wir die alte Route 66 verlassen biegen wir wieder auf eine kleinere verkehrsarme Straße ab. Wir fahren nun eine ganze Weile durch beeindruckende Landschaft und schließlich in das Reservat der Navajo. Hier nun ist Directfollow nicht nur erlaubt, sonder sogar verpflichtend.
Und natürlich hat ausgerechnet jetzt das Followcar einen Platten. Mist. Egal, ich setze mich ins Auto, Rebecca kümmert sich nochmal um die Beine, ich esse Forticreme Puddings, und Dirk wechselt zusammen mit Katrin seelenruhig, aber flott den Reifen. Zum Glück hatte er sich gegen mein „ach, das klappt schon“ durchgesetzt und in Oceanside nochmal mit der ganzen Crew einen Reifenwechsel geübt. Das Ersatzrad ist nämlich ziemlich versteckt.Und während ich gemütlich im Auto sitze kurbelt Katrin mit vollem Einsatz am Wagenheber…
In acht Minuten ist das Problem behoben und wir können weiterfahren. Super! Die Strecke gefällt mir und ich bin gut ausgeschlafen. Ich weiß auch, dass ich 2014 hier ganz kurz wieder funktionierende Beine hatte und bis Tuba City eigentlich ganz flott gegen den Schmerz gefahren bin. (Habe dann allerdings dafür auch wieder bezahlt…)
Diesmal kommt es mir vor als ob ich langsamer wäre. Allerdings erkenne ich die ganzen verschiedenen Streckenabschnitte wieder. Und freue mich. Jetzt im dritten Tag werden wir viele interessante Stein- und Felsformationen sehen, meist rötlich gefärbt, aber oft auch in diversen Farben, so dass die Faltungen teils spektakuläre Szenerie für die RAAM-Fahrer erzeugen. Noch kann ich das auch alles wahrnehmen.
Ich fühle mich gerade so ein bisschen wie ein Tourguide, der seiner Touristengruppe die Schönheiten „seines“ Landes zeigen will. Allerdings bin ich nicht mehr sicher, ob ich das nur denke oder ob ich tatsächlich auf die schöne Landschaft hinweise…
Ich komme aber insgesamt ganz solide gut vorwärts und nach Tuba City geht es mit den Beinen ganz ordentlich. Ich hoffe natürlich jetzt auf Windverhältnisse wie 2014 beim Rennen oder gar wie beim Trainingslager, aber dieses Jahr gibt es wenig geschenkte Meilen. Auch jetzt, auf dem Weg nach Kayenta muss ich die meiste Arbeit am Pedal selbst verrichten.
Deutlich über fünf Stunden habe ich bis Tuba City gebraucht und bis Kayenta fahre ich über vier Stunden. Ich überlege was ich machen soll, ich bin schon müde, aber könnte auch noch etwas weiterfahren. Allerdings fahre ich mittlerweile recht langsam, es wäre wohl sinnvoll die erste Schlafpause einzulegen. Es würde bei zwei Stunden netto Schlafpause auch gerade noch aufgehen und wir würden das Monument Valley bei Sonnenuntergang durchqueren. Das könnte Saron gefallen…
Ich beschließe in Kayenta die Schlafpause zu machen. So kann ich nach 50 Stunden erstmals „richtig“ schlafen. Ich bekomme Forticreme Puddings, Rührei, Tee. Dann lege ich mich auf das Doppelbett und noch während Meike die Temperatur misst und Olli und Rebecca die Beine behandeln schlafe ich ein.
Nach 1:53 St. werde ich von selbst wach. Ich bin auch sofort da und fühle mich halbwegs brauchbar.
Klar, es dauert noch einen Moment bis ich auf dem Rad sitze und die ersten Tritte sind schwer, aber ich freue mich auf das Monument Valley. Auch wenn ich erst mal berghoch fahren muss und es dann noch einige Meilen zu fahren sind bis ich wirklich die markanten Felsformationen erreicht habe. Ich gebe etwas Gas, schließlich wollen wir schöne Fotos bekommen. Es passt perfekt, zum beginnenden Sonnenuntergang bin ich da.
Es entstehen wirklich viele schöne Bilder, allerdings das eine megatypische Bild mit der Anfahrt des Radfahrers in den ersten großen Roller nach dem Valley und den berühmten Felsen im Hintergrund entsteht wieder nicht. Das wollte ich unbedingt haben, aber ich bin etwas zu schnell, so dass Saron nicht rechtzeitig vorfahren kann. Wahrscheinlich hat er es auch nicht mehr auf dem Schirm, denn ich hatte vorher nicht mehr darauf hingewiesen.
Ich habe aber das Gefühl, dass einige richtig gute Bilder im Monument Valley entstanden sind, so dass ich gar nicht sonderlich enttäuscht bin (eigentlich bin ich gar nicht enttäuscht!). Habe auch gerade die geilen Bilder von Volker von 2014 vor Augen.
Anyway, wir entern nun den nächsten Bundesstaat und es gibt zwei Abfahrten mit Gefälle bis 10%. Vom Wind her geht es, so dass ich ohne großes Risiko so schnell fahre wie es eben geht. Es ist nun aber schon dunkel und die Steigung hoch nach Mexican Hat fahre ich „so vor mich hin“. Hier ist nix, ein verlorenes Kaff und die nächste TS wird noch extremer. Also einfach weiterfahren. Die Abschnitte sind auch jeweils nur 40 Meilen lang und ich bin nach der Schlafpause recht frisch.
Die Strecke bis Montezuma Creek ist eigentlich ganz interessant (ganz im Gegensatz zum Ort selbst). Es gibt schon ein paar Anstiege und auch Abfahrten die den Namen verdienen. Dort muss man auf die Cattle Guards (Kuhgitter) achten, aber die sind eigentlich problemlos zu fahren. Das Followcar weist mich auch immer darauf hin. Aber hier sind auch schon Fahrer schwer gestürzt (Philip Amhof hatte es 2016 da böse erwischt).
Bei Bluff gibt es einen Abschnitt der 2014 frischt geteert war, mit einem sensationellen Belag. Nun nach drei Jahren ist er zwar noch auffällig besser als das Gros der Strecke mit seinem rauhen, körnigen Asphalt, allerdings hat die Straße wohl in den Wintern doch gelitten und einige Querfugen ärgern mich.
Wir erreichen irgendwann mitten in der Nacht die TS und fahren natürlich weiter mit Ziel Cortez. Als wir später in den Sonnenaufgang fahren spüre ich auf einmal wie die Lunge „aufgeht“. Die fantastische Luft hier oben hat, erstmals in diesem Jahr, meine asthmatischen Beschwerden komplett eliminiert. Ein unglaublich geiles Gefühl!
Der Schlussteil der Strecke nach Cortez ist mir auch wohlbekannt. Die Ismay Trading Post Road war schon bei der ersten Befahrung im Trainingslager 2014 spannend. Mal schlechter mal besser, eigentlich schöne Landschaft, manchmal unangenehmer Belag, teils hügelig und vor allem länger als gedacht.
2014 im Rennen habe ich hier versucht zwei Fahrer und vor allem die schnellste Frau abzuschütteln. Irgendwie ist mir der Vergleich mit den Frauen wichtig. Im Ausdauerbereich ist der körperliche Vorteil der Männer nicht so hoch wie in Schnellkraftsportarten, aber er ist definitiv vorhanden und deshalb sind für mich die schnellsten Frauen, zumindest bei Radmarathons, oft gute Gradmesser. Diesmal ist eine der stärksten Frauen seit langem auf der Strecke unterwegs, Sarah Cooper und die liegt immer noch vor mir. Allerdings ist mir das Klassement momentan noch komplett schnuppe. (Wir hatten Mark Pattinson schon vor einiger Zeit überholt, ohne das es mich groß interessiert hätte) Mein einziges Ziel ist es ohne Knieprobleme bis Trinidad zu kommen, also über die Rocky Mountains drüber.
Nach gut vier Stunden habe ich dann Cortez erreicht. Ich kann mich gut an die Stadt erinnern und das Motel in dem ich mit Marco gewohnt habe. Ich wüsste ein nettes Diner zum Frühstücken hier, direkt an der Hauptstraße, aber ich gönne mir keinen langen Aufenthalt.
Die Stadt ist erstaunlich lange, so dass ich einige Meilen fahren muss, bis ich sie durchquert habe. Es ist früh morgens, wir fahren nun in den vierten Tag und meine Knie und Oberschenkel lassen mich ziemlich in Ruhe. So langsam gewinne ich etwas Zuversicht, finde ins Rennen hinein.
Auf Facebook, im Blog und per Email haben mich schon erstaunlich viele Nachrichten erreicht. Das ist wirklich cool. Noch bin ich nicht so süchtig danach wie 2014, aber das wird mit jeder Nacht zunehmen und vor allem sind einige doch sehr lange und persönliche Nachrichten dabei, die mich sehr beeindrucken.
Jetzt muss ich aber erst mal Durango erreichen. Der erste Timecut ist dort, das Race Across the West endet dort und es ist ziemlich verkehrsreich wenn ich mich recht entsinne. Der Timecut sollte kein Problem sein.
Der Weg dorthin führt durch sehr schöne Landschaft, es geht jetzt richtig hinein in die Rocky Mountains. Wir befinden uns ja schon seit einiger Zeit auf dem Colorado Hochplateau, die Vegetation ist aber trotz der Höhe von ca. 2000 Metern recht üppig und grün.
Irgendwie hatte ich doch verdrängt, dass die Strecke nach Durango einige Anstiege beinhaltet. Die kann ich ganz ordentlich fahren, muss allerdings eine Toilettenpause einlegen, ohne WoMo. Als RAAM Fahrer muss man einfach jegliche Scham gegenüber der Crew und im Allgemeinen ablegen. Gelingt mir vielleicht nicht ganz…
Anyway, Mark Pattinson hatte mich schon wieder überholt, vorne fahren immer noch Strasser, Grüner und Baloh (Sarah Cooper ist zurückgefallen). Ich fühle mich zwar eigentlich ganz brauchbar, bin im Moment aber nicht sehr schnell. Die Toilettenpause bleibt dann leider auch nicht die einzige.
Ich nehme etwas zu wenig Ensure und auch Competition zu mir, zuwenig KH-Aufnahme = langsam. Aber ich kann es momentan nicht ändern, zumindest behauptet das mein Kopf. Dafür trinke ich insgesamt recht viel Mineralwasser zusätzlich. (Was Meike nicht so gut gefällt, so dass ich in den WoMopausen Salzwasser trinken muss.)
Wieder spüre ich, dass ich nicht so stark bin wie 2014. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ich unter 10 Tagen fahren kann, ich will eigentlich nur in Annapolis ankommen. Andererseits hoffe ich auf meine Qualitäten gegen Ende des Rennens. Auch den Kampf um den Sieg in der Altersklasse kann ich wohl kaum gewinnen, Marko Baloh ist schnell. Wie erwartet nochmal stärker als letztes Jahr, noch dazu einer der erfahrensten im Feld.
Ich merke, dass ich müde werde, sehr müde. Ich brauche einen Powernap. Wir finden einen Punkt zum halten und ich lege mich ins Followcar, Rebecca behandelt die Beine, ich schlafe 20 Minuten
Dann geht es wieder auf‘s Rad. Erst ist es etwas zäh, dann geht‘s aber wieder. Ich hoffe ich erreiche bald den Wolf Creek Pass, den hätte ich gerne hinter mir…
In Durango angekommen fahren wir durch, denn wir können sowieso nicht an der TS halten, dort ist eine Baustelle. Die Straße ist nun vielspurig und der Verkehr lebhaft. Und das bleibt auch eine ganze Weile so. Selbst als die Straße schmäler wird nervt mich der Verkehr etwas. Es ist auch recht warm. Richtig happy bin ich gerade nicht. ich bin insgesamt doch recht schlapp, so richtig schön Druck machen kann ich nicht… Trotzdem fiebere ich dem Wolf Creek Pass entgegen.
Mike Teichmann 18. Juli 2017
Ich könnte jetzt schon was schreiben, aber das hebe ich mir mal noch bis zum letzten Bericht auf :-))
LG und weiter so …..