steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Timmelsjoch ab Sölden

Nach der super anstrengenden Tour gestern, steht fest, dass ich heute, an meinem letzten Radtag in Sölden, nur noch „was Kleines“ fahre. Am besten wären so locker 80 Kilometer flach, da sind sich der Trainer und der Radfahrer einig. Nur das geht hier natürlich nicht.

So schwanke ich zwischen Venter Tal und Timmelsjoch Nordseite. Wobei der Radfahrer sich eigentlich schon beim Frühstück entschieden hat. Einen Alpenpassanstieg möchte ich schon noch fahren.

Ich frühstücke nicht besonders viel, es muss ja nur für einen Anstieg reichen… Um kurz vor 10 Uhr sitze ich auf dem Rad. Nachdem ich gestern noch das Blog bis zwei Uhr nachts geschrieben hatte, starte ich heute etwas später. Das Wetter sieht fantastisch aus. Hoffe nur, dass es nicht wieder zu warm wird, aber das sollte ja morgens kein Thema sein.

Ich drücke die Runde an der gleichen Stelle ab wie beim ersten mal vor fünf Tagen und fahre recht motiviert in den ersten steilen Abschnitt, gleich am Ortsende von Sölden. Die Beine funktionieren ähnlich gut wie gestern im ersten Anstieg.

Eigentlich erstaunlich wie schnell sich der Körper, zumindest meiner, immer wieder erholt. Gestern abend lag ich noch mit einem 60er Ruhepuls und über ein Grad erhöhter Körpertemperatur abends beim Einschlafen, heute morgen war alles wieder recht normal. Leicht erhöhter Ruhepuls, aber das ist bei der Gesamtbelastung die letzten Tage ja zu erwarten.

Nachdem die erste Steigung überwunden ist, geht es erst mal flach in Richtung Zwieselstein. Hier könnte ich ins Venter Tal abbiegen, aber auch der Trainer sagt weiterfahren, wir schauen erst in Obergurgl wie es so ist. Dort könnte ich einen Kaffee trinken und umkehren, oder eben weiterfahren bis zur Passhöhe.

Direkt hinter Zweiselstein klappt die Straße nach oben. Es macht mir heute aber mental nicht so viel aus. Ich weiß ja eh, dass die Beine es hinkriegen werden, und dadurch, dass die Anstrengung gestern so groß war, genieße ich es fast die 10 bis 12% Steigung bei ca. 18° C hinaufzufahren. Ich arbeite mich mit eigentlich noch ganz brauchbarer Trittfrequenz nach oben, und kann erste Radfahrer überholen.

Als die Strecke wieder abflacht, und ich etwas Tempo aufnehmen kann, laufe ich auf ein Straßenreinigungsfahrzeug auf. Hm, dahinter bleiben, oder überholen? Ich überhole kurz vor der ersten Lawinengallerie. Hier zieht die Steigung wieder an, so dass ich mich vom, nicht schnellen, aber mit konstantem Tempo fahrenden Straßenreinigungsfahrzeug treiben lasse. Ich will ja nicht, dass der mich wieder überholt.

Die Steigung zieht weiter an, ich kann eine Gruppe Gravelbiker überholen. Mental fühlt sich die Fahrt viel besser an,als bei der ersten Auffahrt vor vier Tagen. Es folgen ein paar Serpentinen, hier kann ich tatsächlich mal einen Rennradfahrer überholen. Und so schaffe ich die Steigung bis Hochgurgl eigentlich ganz gut, und genieße dann den flacheren Abschnitt. Dann erreiche ich den Abzweig zum Timmelsjoch. Die ersten 12 Kilometer sind absolviert. Ich bin froh, dass es mir so gut geht, denn jetzt folgen vier, fünf steile Kilometer bis zur Mautstation.

Gleich unten in der nun folgenden 12% Steigung kann ich einen weiteren Rennradler überholen. Mich würde mal interessieren, was der für eine Übersetzung fährt, kann es auf die Schnelle aber nicht sehen. Jedenfalls liegt seine Trittfrequenz bei maximal 40. Da würden meine Knie kapitulieren. Ich versuche meine Trittfrequenz bei 70 zu halten, hier in dem sehr steilen Abschnitt gelingt das aber nicht dauerhaft, da müsste ich konstant 330 Watt treten. Davon bin ich weit weg.

Aber ich komme trotzdem ganz gut voran. Da ich mir die Strecke in drei, bzw. vier Abschnitte eingeteilt habe, habe ich Zwischenziele die gut machbar sind. Und so komme ich Hochgurgl und der Mautstation näher und näher. Einen Kilometer vorher kann ich nochmal eine Gruppe Rennradfahrer überholen, so fünf oder sechs Stück. Einer davon mit einem E-Rennrad. Puh, ob das an so einem langen Anstieg was hilft?

Ich genieße die abflachende Steigung, fahre zügig an Hochgurgl vorbei, durch die Mautstation (wo man als Radfahrer zum Glück nichts zahlen muss), und fahre mit Vollgas in die Zwischenabfahrt. Mit den mittlerweile richtigen Reifen fühlt sie sich viel besser an, als bei der ersten Befahrung vor vier Tagen.

Ich versuche möglichst viel Schwung mitzunehmen in den nun folgenden, sehr langen, steilen und vor allem kurvenlosen Anstieg. Das gelingt aber nicht, denn es peitscht mir heftiger Gegenwind entgegen. Mist, ich wollte auf jeden Fall schneller oben sein als vor vier Tagen, da hatte ich allerdings in diesem Teil Rückenwind, was mir sehr geholfen hat. Nun muss ich nicht nur gegen den Anstieg kämpfen, sondern auch noch gegen den Wind.

Ich kann mich an meine erste Auffahrt hier vor Jahren erinnern, da hatte ich diesem Anstieg auch heftigen Gegenwind und hatte an der langen steilen Geraden ganz schön zu knabbern. Ich hätte zwar jetzt auch lieber Rückenwind, arrangiere mich aber schnell mit der Situation und versuche das beste draus zu machen. Nach meinen Berechnung ist der Schlussanstieg „nur“ vier Kilometer lang, das klingt doch machbar. Ich überhole weitere Radler, einen Trekkingbikefahrer. Wahnsinn, hätte ich mich nicht getraut…

Bis jetzt hat mich noch keiner überholt, das heißt zwar nichts, vielleicht sind die Schnellen schon oben, oder fahren erst heute nachmittag, oder es ist gar keine „Bergziege“ unterwegs, aber trotzdem treibt es mich an zu versuchen, dass es so bleibt.

Neben den recht vielen Radfahrern die unterwegs sind, ist auch recht lebhafter Auto und Motorradverkehr. Hm, kann ich ganz gut ignorieren. Die Gerade zieht sich aber ohne Ende. Auch wenn ich mental gut drauf bin, das Ding hört einfach nicht auf. Ich setze mir die Schlussserpentinen zum Ziel, die kann man zwar schon sehen, aber die sind auch noch ganz schön weit weg. Was mich zieht ist ein weiterer Rennradfahrer, der gerade die erste Serpentine erreicht.

Ich versuche den Abstand zu verkürzen und hole recht schnell auf, vor allem kann ich so die etwas unbarmherzige kurvenlose Steigung verdrängen. Als ich die Serpentinen erreiche, kann ich schon in der zweiten aufschließen und überholen. Jetzt geht es allerdings erst mal wieder länger geradeaus bis zur nächsten Serpentine.

Ich glaube der Schlussanstieg ist einen Kilometer länger als ich gedacht habe, jedenfalls denke ich mehrmals jetzt kommt bald die Schlussserpentine, aber jedesmal geht es weiter. Ich muss mich nochmal mental zusammenreißen. Die Beine funktionieren noch immer gut, der Kopf meldet aber „es reicht für heute“. So gesehen hat der Anstieg also genau gepasst. Denn jetzt nähere ich mich tatsächlich der letzten Serpentine. Nochmal zieht die Steigung an, ich überhole noch einen Mountainbiker, und dann bin ich tatsächlich oben. Sehr schön! Ich drücke einer Rennradlerin, die von der anderen Seite hochgefahren ist, das Handy in die Hand für’s Passschildfoto, dann stelle ich mein Fahrrad ab und gönne mir eine Speckknödelsuppe.

Die Dosierung hat genau gepasst. Trainer und Radfahrer sind sich einig. Und keiner von beiden kommt auf die Idee die andere Seite auch noch zu fahren… Zum Glück habe ich das schon vor vier Tagen gemacht.

Nach einer kleinen Pause ziehe ich die Jacke an und fahre wieder hinunter in Richtung Sölden. Oben in den Serpentinen nervt ein Wohnmobil etwas. Es mag mich nicht vorbeilassen, ich versuche mich innen durchzuquetschen, aber es lässt mich nicht durch, in der vierten Serpentine kann ich dann aber doch überholen.

So kann ich die restlichen Serpentinen noch genießen und dann die lange Gerade hinunterbrausen. Allerdings nicht mit Maximaltempo, es gibt doch teils böigen Seitenwind, so verfehle ich die 80 km/h um einen halben Kilometer. Was für ein Unterschied die Bereifung doch ausmacht. Vor vier Tagen bin ich mit den anderen Reifen hier ganz schön runtergegurkt, weil ich mich einfach nicht sicher gefühlt habe auf dem Rad, mit den Conti GP 5000 ist das deutlich besser.

Mein guter mentaler Zustand äußert sich auch darin, dass ich den Gegenanstieg gut hochkomme, und die immer wieder überraschende Länge gut wegstecke. Ab der Mautstation fahre ich eine Weile hinter einem Mountainbiker her, der beschleunigt immer recht flott, erst an der nächsten Kurve oder Serpentine komme ich wieder ran.

Ab Hochgurgl fahre ich dann wieder alleine und genieße die letzten Radkilometer in Sölden enorm. Was für eine schöne Woche. Laut Wetterbericht hätte es auch jeden Tag regnen können, tatsächlich hatte ich immer bestes Wetter (ok, gestern das war dann zuviel des Guten).

Das ich alle Anstiege geschafft habe, ok, Kühtai ab Kematen muss ich bei Gelegenheit nochmal „richtig“ fahren, finde ich bei der Form und dem Gewicht sensationell. Außerdem habe ich wirklich wieder das schöne Gefühl bekommen, dass es nur mit großer Anstrengung und richtigen Alpenpässen gibt. Das kann man nicht kaufen, für kein Geld der Welt.

Mit diesen guten Gedanken rolle ich nach Sölden und zum Hotel. Bevor ich dusche, putze ich erst mal das Fahrrad und verfrachte es ins Auto. Morgen fahre ich weiter nach Bruck an der Großglocknerstraße. Ich weiß noch nicht hundertprozentig ob ich hochfahre oder nur eine Runde um den Zeller See rolle. Mal schauen wie ich mich fühle. Morgen ist jedenfalls erst mal „Transportetappe“…

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2024 steilberghoch

Thema von Anders Norén