Die Anfahrt nach Sölden ist eigentlich recht gut gelaufen, trotz Ferien überall bin ich mit ca. einer Stunde Verzögerung durch Stau und zähfließenden Verkehr durchgekommen, und kann schon um 17 Uhr im Hotel einchecken.
Kurz frisch machen, Radklamotten an, und schon sitze ich auf dem Rad, umgeben von Bergen, so richtig in den Alpen. Super!
Ich beschließe eine kleine Installationsrunde nach Zwieselstein zu fahren. Flach kann man hier eh nicht fahren, und so nehme ich den recht steilen Anstieg am Ortsausgang Sölden bis zur Mülldeponie in Kauf, dann könnte ich ein Stück flach fahren umdrehen und locker wieder in den Ort zurückrollen.
Die ersten Meter mit dem neuen Fahrrad fühlen sich etwas seltsam an. Es fährt sich erstaunlich träge, ist etwas schwerer als erhofft, könnte etwas smoother schalten. Egal, die ersten Meter machen trotzdem Spaß, auch wenn mein Kopf noch nicht im Urlaubsmodus angekommen ist.
Dann klappt die Straße aber direkt nach oben und die Steigung erreicht 10%. Jetzt kommt leider die unbestechliche Physik zum Tragen. Mit meinem momentanen Systemgewicht von fast 100 kg muss ich 300 Watt + treten um eine 70er Trittfrequenz halten zu können. Ganz ehrlich, einen kompletten Alpenpass kann ich so wohl kaum schaffen.
Aber momentan genieße ich erst mal das Gefühl steilberghoch zu fahren. Und auch wenn ich etwas kämpfen muss, erreiche ich den Ortsausgang, und es flacht ab. So kann ich dann die Beine etwas entspannen, und locker in Richtung Zwieselstein radeln.
Vor dem Ortseingang ist der Abzweig ins Venter Tal. Wie ferngesteuert biege ich ab. Hier im Venter Tal ist um die Uhrzeit praktisch kein Verkehr, eine Stichstraße die 13 Kilometer mit über 700 Höhenmetern ins Tal führt bis nach Vent.
Das wäre für eine Installationsfahrt wohl etwas zu heftig. Anyway, ich fahre mal bis zum nächsten Ort und drehe dann um. Die Straße wechselt zwischen flacheren Passagen und Anstiegen mit 9% und mehr.
Ich muss in den steileren Abschnitten an jedes Stück Käsekuchen denken, das ich zuviel gegessen habe und jeden Radkilometer auf den ich keine Lust hatte. Zum Glück habe ich mit 34-34 tatsächlich eine eins zu eins Übersetzung zur Verfügung, so kann ich die ersten heftigen Steigungen noch ganz brauchbar meistern.
Im ersten Ort (Bodenegg) kehre ich noch nicht um, ich fahre erstmal weiter. Das Tal verengt sich etwas und sieht schon sehr idyllisch aus. Es ist viel kühler als ich gedacht habe. Aber die Landschaft ist schon spektakulär schön. Noch habe ich nicht dieses unfassbar euphorische Gefühl, dass mich überkommt wenn ich in den Alpen mit dem Rennrad unterwegs bin. Vielleicht werde ich das auch nicht mehr bekommen, wer weiß, aber es ist trotzdem schön.
Irgendwie denke ich immer ich fahre bis zur nächsten Ortschaft und drehe um, nur um dann doch weiterzufahren. So lasse ich auch Heiligkreuz hinter mir und arbeite mich die Anstiege hoch. Hoffentlich ärgere ich meine Beine nicht schon zu sehr bevor es richtig losgeht… Anyway, zur Not fange ich morgen mit einem Ruhetag an.
Letztlich bewältige ich die Tunnel und die steileren Stücke und komme tatsächlich am Ende des Anstiegs in Vent an. Cool.
Ich halte aber nicht an, sondern drehe gleich um und fahre zurück. Ich bekomme die ersten Regentropfen ab und es ist richtig kalt geworden. Ich wollte ja nur eine viertel Stunde fahren, hatte deshalb keine Jacke mitgenommen. Irgendwie habe ich total vergessen wie es ist in den Bergen zu fahren, und klar ist es in 1900 m Höhe kälter als zu Hause, und man nimmt immer eine Jacke mit.
Bergrunter bremse ich erst die Bremsscheiben ein bisschen ein und fahre dann mit Druck bergab, ich will nicht in den Regen kommen, und habe auch kein Frontlicht, so dass es bei Dämmerung in den Lawinengallerien und Tunneln am Ende recht düster sein könnte.
Das Fahrrad bestätigt den trägen Eindruck auch bergab, ich bekomme überhaupt kein Gefühlt für’s Rad in der Abfahrt. Vielleicht liegt es daran, dass ich jahrelang kein Rennrad mehr gefahren bin, vielleicht an der Geometrie, vielleicht aber auch an den Laufrädern und Reifen.
Die Erstausrüsterreifen werde ich heute noch oder evtl. Morgen gegen was Vernünftiges tauschen, das war direkt klar, dass diese Traktorreifen nix für wendige Abfahrten sind. Werde meine von früher gewohnten GP5000 draufziehen, und auch „nur“ 25mm breit. Mal schauen ob das was bringt, vielleicht fährt das Fahrrad auch einfach lieber geradeaus, aber das werde ich dann sehen…
Die Abfahrt ist dann recht flott zu Ende und ich rolle wieder in Sölden ein. Kurz Duschen und dann Blogschreiben beim Abendessen, das habe ich schon sehr vermisst…
Ich lande in der Schlagerhölle der „Alm“, aber das Essen ist gut und ich kann die hirnlose Musik beim Schreiben irgendwie ausblenden.
Ich bin noch etwas unsicher welchen Pass ich mir für morgen vornehme. Entweder fahre ich bis Imst und dann das Hahntenjoch oder ich biege in Oetz schon ab und fahre das/den Kühtai. Oder die Beine rebellieren und ich fange tatsächlich mit einem Ruhetag an…