Nun kommt der Abschnitt mit dem ich am besten vertraut bin. 2014 war ich im Trainingslager zur Vorbesichtigung hier langgefahren, dann in der Akklimatisationsphase und schließlich im Rennen. Und auch 2017 habe ich zur Akklimatisation in Brawley gewohnt und bin auch Strecken um Borrego herum zum Training gefahren.
Es ist jetzt endlich flach, allerdings ist die Strecke mit einigen Rollern gespickt. Ich bin ziemlich happy, dass mein Plan trotz erster Schwächephase aufgegangen ist und ich rechtzeitig zum Radwechsel an der geplanten Stelle war. Mal schauen wie das Roubaix SL4 mit den Zipp 404 Laufrädern jetzt rollt. Vor allem aber spannend ob ich mit dem Sattel zurechtkommen werde. Eine Maßanfertigung die meinem Schiefsitzen, dass ich mir beim RAAM 2014 eingehandelt habe etwas entgegenwirken soll. Die Hoffnung ist, dass ich dadurch die Probleme im linken Oberschenkel und Knie vermeiden kann.
Ich bin ziemlich mit mir selbst beschäftigt, es rollt nicht so locker wie 2014 und ich hoffe, dass sich das jetzt mit herannahender Dunkelheit ändert. Damals habe ich mich von Blinklicht zu Blinklicht gehangelt und war an TS3 auf Rang 3, hätte sogar Rang 2 sein können aber aus logistischen Gründen hatten wir da an TS3 eine kleine Pause gemacht und Mark Pattinson ziehen lassen. Auf dessen Niveau habe ich mich damals gesehen, nur dass er mit 9T 22ST 50min den zweiten Platz machte und ich mit 11T 9ST 58min „nur“ gefinished habe. Jetzt will ich das geraderücken und merke, dass die Aufgabe größer ist als gedacht.
Platzierungen sind jetzt noch vollkommen egal, aber trotzdem ist es gut, dass Guelwicz mich noch nicht überholt hat und ich will jetzt schon sehen, dass ich den einen oder anderen überhole. Allerdings interessiere ich mich noch nicht für den Gesamtstand. Es gilt einfach nur den nächsten Fahrer anzuvisieren.
Es läuft jetzt ganz brauchbar, auch wenn die Streckenabschnitte immer länger sind als gedacht. Ich versuche mich mit Kleinigkeiten zu motivieren, z.B. freue ich mich auf den Moment an dem ich am Best Western in Brawley vorbeifahre, wo ich während der Wochen vor dem Start gewohnt habe. Bis dahin zieht es sich allerdings noch ein bisschen.
Zunächst taucht erst mal Christian wie ein „Kulikind“ in Marokko ganz unvermittelt am Straßenrand auf um mir irgendwas zuzurufen. Denn der Funk funktioniert irgendwie nicht. Die Terrano Teile sind zwar im Prinzip gut, aber manchmal etwas zickig wenn die Verbindung mal abgebrochen ist, oder nach dem Tausch beim Stopp.
Ich rätsele eine ganze Weile wie Christian denn da an den Straßenrad mitten in der Wüste gekommen ist. Ich kann es aber nicht herausfinden, denn das Followcar ist hinter mir und das WoMo steht wahrscheinlich in Borrego Springs am Kreisel, denn überholt hat es mich noch nicht.
Anyway, ich versuche einen vernünftigen Rhythmus zu finden und meine Position zu verbessern oder die RAW Fahrer „abzuschütteln“. Vor allem den Fahrer mit der Followcarcrew die mich in der Abfahrt so behindert hat. Auf diese Jungs bin ich echt ein bisschen sauer. So bin ich gedanklich beschäftigt und es wird nun dunkel.
Die 78 und die 86 haben sich nach einem Abzweig vereint und ich muss an meine Trainingsfahrten hier vor drei Wochen denken. Ich muss auch an 2014 denken, ich glaube, der Wind steht diesmal nicht so günstig und ich fahre etwas langsamer als damals, obwohl es mir wieder ganz gut geht.
Dumm nur, dass ich nicht so gut essen kann wie in Irland, die Mühe die isokalorische Hipp Trinknahrung in Glasflaschen aus Deutschland mitzubringen hat sich bis jetzt noch nicht gelohnt. Ich trinke aber recht viel Wasser, das ich mir in 0,5 Literflaschen anreichen lasse, zusätzlich zum Sponser Competition.
Irgendwann müsste jetzt eigentlich mal dieser kleine Ort kommen in dem die Straße dann einen Rechtsknick macht, das dauert aber scheinbar ewig. Als er erreicht ist, ist es dann aber nicht mehr weit bis Brawley. Wir fahren von Osten in die Stadt, im Training bin ich immer die Umfahrung gefahren und dann von Westen zum Hotel gefahren.
So müssen wir durch den ganze Ort, mit den vielen Ampeln geht es fifty-fifty aus. Einige Male muss ich stehenbleiben. Dann fahren wir am Best Western vorbei, ich habe die Rezeptionistin vor meinem Auge, die mich nach drei Jahren wiedererkannt hat, weil ich 2014 der Verrückte war, der darum gebeten hatte die Klimaanlage im Fitnessraum abzuschalten…
Nun fahren wir auf meiner Haupttrainingsstrecke während der Akklimatisation. Wir biegen nach einigen Meilen ab um auf der 78 zu bleiben und fahren ziemlich schnurgerade nach Osten. Ich erzähle der Follwcarcrew was ich über diesen Streckenabschnitt weiß, und dass wir gleich durch die Imperial Sanddunes fahren. Nur ist es leider dunkel, so dass man wenig davon sieht. Ich spüre nur draußen, dass es gleich nochmal ein paar Grad wärmer wird.
Aber nun läuft es ganz gut. Vor mir sind aber auf jeden Fall neben dem losgesprinteten Marko Baloh und Christoph Strasser auch Patric Grüner, Svata, Brian Toone, Mark Pattinson und auch Sarah Cooper. Eine sehr stark einzuschätzende Frau, die gleich mal ihren Vorschusslorbeeren gerecht wird. Aber ich hatte auch nicht vor zu Anfang loszulegen wie die Feuerwehr. Ich würde gerne Mark Pattinson zu TS4 einholen, das ist meine Orientierung von 2014, mit ihm sehe ich mich auf jeden Fall auf einem Level. Andererseits wird er auf jeden Fall ums Podium kämpfen, d.h. ich würde es dann zwangsläufig auch…
Grau ist aber alle Theorie. Nachdem wir die Imperial Sanddunes durchquert haben und eine Weile an und um die Chocolate Mountains gefahren sind geht es auf flacher Strecke in Richtung Blythe, der dritten Timestation. Ich komme ganz gut ins Rollen als wir an die Bordercontrol Station kommen.
Da wir uns hier keine zwanzig Meilen von der Grenze zu Mexico entfernt bewegen, gibt es an den Highways immer mal solche Kontrollstationen. Ich hatte vor dem Rennen nochmal in der Besprechung darauf hingewiesen, dass wir hier unsere Pässe bereithalten müssen. Auch wenn wir 2014 einfach durchgewunken wurden.
So rechne ich eigentlich auch diesmal damit, dass wir als RAAM-Teilnehmer einfach durchgewunken werden. Aber der Beamte hält uns an. Und nein, nicht jeder im Followcar hat seinen Pass dabei und mein Pass ist auch nicht im Followcar. Verdammt!
Der Beamte ist nicht nur streng, sondern schlicht ein A… äh, nein sollte ich so nicht formulieren, aber seine Art der Belehrung und die Art wie er uns behandelt und seine Macht genießt ist schon etwas daneben. Aber was soll‘s, wir dürfen nicht weiterfahren.
Im ersten Moment bin ich sauer, da ich es vorher nochmal explizit erwähnt hatte und auch gesagt hatte, dass die Borderpatrol zwischen Brawley und Blythe liegt. Aber wir müssen das beste daraus machen und ich muss die Pause zum ausruhen nutzen. Aber mein schöner Rhythmus ist gekillt und vor allem sind die anderen jetzt noch frisch und können richtig viel Meilen gewinnen. Argh!!!!!
Das Wohnmobil ist etwa sechs Meilen hinter uns, dort sind die fehlenden Pässe drin. Es dauert schon eine Weile bis die angekommen, der Beamte genießt seine Schikane und untersucht auch noch das Wohnmobil genau, wir bleiben scheißfreundlich und können dann endlich weiterfahren.
Wir verlieren eine gute halbe Stunde. Ich könnte kotzen, lasse es mir nicht so anmerken. Umgerechnet auf eine Unterbrechung am Ende ist das mehr als eine Stunde, und die hätte ich spät im Rennen sogar noch zum schlafen nutzen können. Aber es ist passiert und ich kann es nicht mehr ändern. Zumindest gedanklich bin ich beschäftigt bis zur TS3.
Durch die Zwangspause bin ich etwas zurückgefallen. Nun sind auch Mark Gibson, ein ernsthafter Konkurrent in der Altersklasse und Tom McKenna vor mir, und Chris Hopkinson ist dicht dran. So richtig viel Bedeutung hat das nicht, aber am Ende zählt jede Minute egal wo im Rennen man sie verloren hat.
Ich bin ganz zufrieden was den Umgang mit der Hitze betrifft, mit dem Fahrrad selbst ist es nicht so optimal, der Maßsattel bestätigt das ungute Gefühl aus dem Training, er taugt nix. Auch beim Cannondale lasse ich den Sattel wechseln, außerdem die Armpads wieder nach außen versetzen. Ich fühle mich mit der engeren Position, die wir beim Aerotest gefunden haben zwar sehr wohl, spüre aber, dass dadurch die Belastung für den Nacken größer ist. Es macht keinen Sinn aerodynamischer zu sein und dann mit Shermers Neck auszuscheiden, ich verlasse mich hier auf mein Gefühl.
In Blythe nutze ich auch das Wohnmobil für eine erste Toilettenpause. Die Jungs kümmern sich um das Rad, während ich noch zwei Forticreme Puddings verdrücke und endlich das nutzlose X-Bionic Trikot los werde.
Die Strecke nach Parker ist im Dunkeln nicht so spannend, das Höhenprofil ist moderat, die Abschnitte sind lang und gerade. Den Tom kann ich überholen, sonst bleiben alle vor mir, Chris kann ich hinter mir halten. Aber ich denke noch immer nicht wirklich über das Klassement nach. Ich merke nur, dass ich ein ganzes Stück langsamer bin als 2014. Liegt zum Teil am Wind, zum Teil an mir und zum Teil an der blöden Zwangspause.
Als wir in Parker ankommen ist es hell und wir haben die TS4 erreicht. Ich werde etwas nervös, denn an TS6 ging letztes mal die Katastrophe los und das Rennen war vorbei. Ich habe deshalb vereinbart, dass wir an TS5 ggf. den Crewwechsel für‘s Followcar machen, damit ich an dieser verdammten TS6 einfach vorbeifahren kann.
Aber die TS6 ist natürlich eine der besten auf der ganzen Strecke, mit Pool, Duschgelegenheiten und frischem Obst. Anyway, ich fahre erst mal. Die Strecke ist gespickt mit langen, sehr langen Geraden mit meist schlechtem Seitenstreifen. Ich kann mich ganz gut wieder an die Strecke erinnern. Der Wind steht nicht optimal aber ich habe auch keinen Gegenwind.
So erreiche ich dann TS5 Salome. Hier verlieren wir nochmal ein paar Minuten, weil das Followcar zu früh, an der falschen Tankstelle, stehen bleibt und es scheint als wäre das Wohnmobil nicht da. Aber das klärt sich schnell und wir treffen die anderen. Ich tausche wieder auf das Cannondale Rad, das erstens schneller ist, da es recht „scharf“ eingestellt ist, und gleichzeitig mein Bergrad ist, da es leichter ist und die Bergübersetzung von 34-32 hat. Den Sattel haben wir getauscht auf den Ergon Sattel. Mist, ich fahre das härteste Radrennen der Welt und habe eigentlich keinen Sattel der auch nur zu 90 Prozent funktioniert. Das könnte noch ein Riesenproblem werden. Aber cool bleiben und schauen wie es sich entwickelt muss die Devise lauten.
Die folgende Strecke zieht sich dann doch sehr. Es ist jetzt ordentlich warm, bzw. heiß und der Belag meist nicht so toll. Es gibt zwar nicht so viele Höhenmeter zu bezwingen, aber die langen Geraden sind psychologisch durchaus herausfordernd. Auch wenn sich die Landschaft dann ein bisschen ändert. Ich habe vor allem einen riesigen Respekt vor den letzten Kilometern bis Congress, da ich die Strecke dort als brutale Rüttelstrecke in Erinnerung habe.
Wir sind schon über drei Stunden unterwegs, da biegen wir nach links ab und die Straße wird schlecht. Neben dem rauhen Asphalt malträtieren mich heftige Querfugen in kurzen Abständen. Die Landschaft bietet nun Steppe mit Kakteen, eigentlich sehr schön, aber da kommt ja noch gleich der brutale Schlussabschnitt, als ob diese Straße hier nicht schon reichen würde.
Wir fahren eine ganze Weile und ich habe wirklich keine Lust mehr auf diese Tortur. Geht gerade noch, aber gleich wird es ja richtig heftig. Ich spreche mit dem Followcar darüber, die fahren dann aber vor, es gibt wohl einen Crewwechsel an der TS6.
Ich lege die letzten Kilometer alleine zurück und warte immer auf den Abzweig zur brutalen Rüttelstrecke. Da erscheint die TS6 vor mir. Ich bin tatsächlich schon seit dem letzten Abzweig auf der „brutalen Rüttelstrecke“. Es ist zwar unangenehm zu fahren, aber offensichtlich hat sich meine Wahrnehmung seit dem Race Around Ireland mit seinen ultrabrutalen „Straßenbelägen“ drastisch verändert.
So erreiche ich TS 6 ohne meine Horrorstrecke überhaupt richtig wahrgenommen zu haben. Ich muss grinsen…
Jetzt ist die große Frage, was macht das Bein? Ich habe einiges in der Vorbereitung getan um ein Wiederholung der Beschwerden zu vermeiden, ich habe drei Physios und eine Ärztin dabei, und doch bin ich auf alles gefasst. Jetzt nur nicht stehenbleiben. Ich muss aber doch ganz kurz auf Toilette. Eigentlich fühle ich mich sicher. Aber das ich ganz gegen meine Gewohnheiten so oft die Toilette brauche und gerade auch an dieser Stelle gefällt mir nicht.
Anyway, die Wüste kann ich nun hinter mir lassen, über den Yarnell Grade geht es raus aus der Wüste hinauf nach Prescott, jetzt sollte es kühler werden, auch wenn es früher Nachmittag ist. Ich bin wirklich froh, die Hitze überstanden zu haben, ein zweites Mal nach 2014. Ich bin sogar irgendwie stolz darauf, denn das ist meine größte Schwäche.
Antje 9. Juli 2017
Wie kannst du dich nur an so viele Details erinnern?
Bin schon gespannt auf deinen nächsten Bericht.
LG
Antje
Karin Bernert 9. Juli 2017
Hallo Guido,
es ist toll, Deine Berichte zu lesen, vielen Dank.
Gerade die Details machen es so besonders.
Freue mich auf die kommenden…
Viele Grüße
Karin
Annett Förster 9. Juli 2017
Ich freue mich auch schon auf den nächsten Abschnitt ….
Geli&Chris 10. Juli 2017
Hi Guido
Sehr beeindruckend ,Deine emotionalen Beschreibungen reißen den Leser mit! Sind schon gespannt auf die nächsten Berichte,weiterhin gute Erholung