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Ultracycling und Alpenpaesse

RAAM 2016 or whatever

Es ist der 30. August 2010. Seit knapp anderthalb Stunden sitze ich auf dem Rad. Mit tausend anderen quäle ich mich die Passstraße zum Kühtai hoch. Ötztaler Radmarathon! Mein erster Radmarathon.
Mir geht es nicht gut, es ist furchtbar anstrengend. Wirklich anstrengend. Ich tue das weil ich mich mit dem „Ötzi“ motivieren wollte. Nach meiner Radreise durch Großbritannien und Irland wollte ich die körperliche Fitness, die geistige Frische, die Motivation und Freude am Leben die mir das gegeben hat unbedingt erhalten, so lange wie möglich. Also brauchte ich ein Ziel.

Dieses Ziel hieß Ötztaler Radmarathon und genau jetzt fahre ich bei eben diesem Event. Und genau jetzt spüre ich die enorme Anstrengung im Renntempo einen steilen Alpenpass hochzufahren. Und genau jetzt weiß ich, dass ich niemals in meinem Leben etwas so anstrengendes nochmal machen möchte. Und jeglicher Gedanke an so etwas verrücktes wie die 540 Kilometer von Trondheim-Oslo oder gar so etwas absurd übermenschliches wie das Race Across America führt dazu, dass mir körperlich schlecht wird. Bis heute weiß ich nicht, warum ich in diesem Moment an das Race Across America gedacht habe, aber ich kann immer noch spüren wie elend sich das angefühlt hat.

27. Juni 2011. Ich sitze in einem schönen Cafe in Oslo, die Musik ist gut, das Wetter ist etwas diesig, es nieselt. Ich schreibe einen Artikel für’s Blog. Ich fühle mich unglaublich gut. Ich bin auf dem Rückweg nach Deutschland und warte auf die Fähre. Ich bin Trondheim-Oslo als Einzelfahrer in 18 Stunden und 18 Minuten gefahren. Ohne Probleme. Keine Quälerei, aber viel Spaß. Keine Probleme mit Müdigkeit, taktisch sogar noch Fehler gemacht, zwei Stunden schneller hätte auch gehen können. Aber egal, es fühlt sich einfach gut an.

Blogeintrag Februar 2012. Ziele für die kommende Saison. 20H Radmarathon Fell, Schweizer Radmarathon 720km Strecke, 24h Kelheim. Keine Ahnung was mich auf die Idee gebracht hat, aber seit Trondheim-Oslo weiß ich, dass man auf dem Rad nicht müde wird und eine Nacht ohne Probleme durchfahren kann. Warum man das aber machen sollte kann ich auch nicht sagen. Irgendwie will ich wohl unbewusst rausfinden ob ich mich für’s RAAM qualifizieren könnte. Trotzdem melde ich mich für den Schweizer Radmarathon aber als normaler Marathonfahrer an und bestreite die 720 Kilometer ohne Team und Navigation.

29. Juni 2012. Ich habe ungefähr die Streckenlänge des Ötztaler Radmarathons zurückgelegt, aber gerade mal ein Drittel der Strecke geschafft. Ich fahre gerade bei 30° C am Bodensee entlang, ich fühle mich schwach. Ich will einfach nur in einem Cafe sitzen und einen Milchcafe genießen. Die Beine fahren, aber der Kopf will einfach nur irgendwo sitzen, sitzen mit der Tasse in der Hand und auf den See schauen.
Gut zwanzig Stunden später fahre ich die letzten Meter ins Ziel. Mehr als drei Stunden über der RAAM-Qualizeit. Aber ich bin nicht abgestiegen und habe mich ins Cafe gesetzt, ich bin weitergefahren. Ich habe das mentale Tief überwunden und durchgezogen.
Trotzdem ist mir klar, ich werde niemals so verrückt sein und das Race Across America fahren. Mir ist auch unklar, warum ich überhaupt darüber nachdenke.

Frühjahr 2013. Im Winter war ich am Mount Everest Base Camp. Ich wollte wissen ob der höchste Punkt der Erde soviel Anziehungskraft auf mich ausübt, dass ich das Risiko und die Kosten auf mich nehme und versuche auf den Gipfel zu kommen. Tut er nicht. Es ist fantastisch so nah dran zu sein und das zu sehen, aber der Berg ruft mich nicht. D.h. ich könnte ein Projekt wie das RAAM angehen. Aber wirklich ernst meine ich das hoffentlich nicht. Ich werde aber versuchen mich dafür zu qualifizieren.

29. Juni 2013 – Blogeintrag Überschrift: qualified for RAAM.

August 2013. Ich kann schon seit Tagen nicht schlafen. Ich habe das Gefühl auf einem 10 Meter Turm zu stehen und zu überlegen ob ich springen soll. Dabei weiß ich nicht mal ob Wasser im Becken ist…

Bis jetzt waren die RAAM Fahrer die, die mir gezeigt haben, dass es für jeden Menschen problemlos möglich ist einen langen und schweren Radmarathon zu fahren, dass es problemlos möglich ist 540 Kilometer Rad am Stück zu fahren, denn andere fahren 5000 Kilometer am Stück.

Aber nun, muss ich entscheiden, ob ich selbst an die Grenze gehe. Ob ich selbst derjenige sein will, der 5000 Kilometer am Stück fährt.

Ich könnte mir für 50.000 Euro ein Auto kaufen, oder viele schöne Reisen machen, oder 24 Monate Radreisen auf sehr komfortablem Niveau finanzieren, oder eine Eigentumswohnung finanzieren oder was auch immer. Ich könnte bequem zu Hause bleiben und im Cafe sitzen und lesen und schreiben.
Ich könnte aber auch die „Komfortzone verlassen“ meine organisatorischen Fähigkeiten fordern, über meinen Schatten springen und ein Team von Menschen zusammenstellen denen ich mich dann einfach anvertrauen muss. Ich könnte mich dem Risiko des Scheiterns mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% aussetzen, ohne zu Wissen wie ich mit einer solchen Niederlage umgehen kann.

Die Entscheidung ist hart. Ich weiß auch, dass mein Alter mir nicht mehr allzuviel Zeit zum überlegen lässt. Ich spüre, dass ich Talent für die sehr sehr langen Strecken habe. Aber es ist natürlich zu spät um dieses Talent noch so umzusetzen, dass ich davon Einkommen generieren könnte. Ich werde dafür bezahlen es einzusetzen. Logisch ist das nicht.

Ich mache es trotzdem.

11. Juni 2014. Die erste Nacht beim härtesten Radrennen der Welt ist vorbei. Mir ist klar, bei der diesjährigen Besetzung ist für mich richtig was drin. Ich kann hier ums Podium kämpfen. Alles Training, die ganze Vorbereitung, alles ist aufgegangen. Ich habe es tatsächlich an den Start geschafft, ich habe ein Team dem ich vertrauen kann. Ich komme mit der Hitze zurecht, ich freue mich auf die Berge. Strasser ist uneinholbar, Gulewicz mein Ziel.

TS 6 Das war’s. Alle Träume vom Kampf ums Podium sind geplatzt. Ich glaube nicht, dass ich eine Chance habe überhaupt durchzukommen. Ich habe mit vielen Dingen gerechnet, aber das mein linkes Bein orthopädisch versagt, so früh, das überrascht mich dann doch. Offensichtlich bin ich doch zu spät, die Knochen machen nicht mehr mit, ich hätte zehn Jahre früher drauf kommen müssen…

21./22. Juni 2014. Es ist mitten in der Nacht in Annapolis. Ich rolle durch das Ziel des Race Across America. Ich habe tatsächlich gefinished. Es war einen Tag geil, und zehn Tage Quälerei, aber ich habe es trotzdem geschafft. Die Gefühle die ich habe reichen von Erleichterung über Zufriedenheit bis Frust und Enttäuschung. Ich habe gefinished, aber ich habe auch gespürt, was eigentlich in mir drin ist. Und ich habe auch gelernt, wie unfassbar lange das RAAM ist. Unbeschreiblich lange.

Mir ist klar, dass ich das nicht nochmal machen werde, mir ist auch klar, die Enttäuschung, dass ich nicht meine wahre Leistung zeigen konnte wird in mir drin bleiben. Dazu stelle ich zu große Ansprüche an mich selbst. Mein Ziel ist es immer dem Optimum möglichst nahe zu kommen. Das habe ich hier nicht erreicht.

August 2015. Seit Juni, seit dem Race Across America 2015 arbeitet die Frage in mir, ob ich es nochmal tun soll. Ob ich nochmal die Organisationsarbeit, das Training und die Quälerei im Rennen auf mich nehmen soll, und vor allem die Kosten und Sponsorenbettelei. Eigentlich ist das alles nicht mein Ding. Aber ich weiß, dass ich das Rennen schneller fahren kann als Hubert Schwarz. Aber ich weiß auch, dass dann alles passen muss. Egal zum wievielten mal man antritt, die Chance zu scheitern liegt praktisch immer bei ca 50%.

Eigentlich möchte ich nur mein Rad ins Auto schmeißen, in die Berge fahren und Spaß an alpinen Anstiegen haben. Aber meine Muskulatur ist für’s RAAM gemacht, die mentale Stärke zum Finishen habe ich auch, und die Resonanz auf das 2014er Rennen hat mir gezeigt, dass ich auch wieder ein Team zusammenbekommen würde.

Aber ich habe auch gemerkt, dass es nur funktioniert, wenn ich ganz tief in mir drin die Motivation habe das Rennen zu beenden. Nur dann, habe ich überhaupt die Chance zu finishen. Die Entscheidung ist genauso schwer wie für die erste Teilnahme und ich habe keine Ahnung wie es ausgeht…

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2 Kommentare

  1. Tom 18. August 2015

    Super schöner Artikel! Das macht einfach Spaß zu lesen. Kenne ich selbst ein bisschen, auch wenn es bisher „nur“ zu drei 24h Rennen gereicht hat. Aber diese Veranstaltungen haben eine ungemeine Anziehungskraft.
    Freue mich schon auf nächstes Jahr, wenn man dich via Facebook und Co. beim Raam verfolgen kann!!!

  2. Benjamin 21. August 2015

    Sehr schöner und persönlicher Beitrag. Die Frage ist halt, wirst du es in 30 Jahren bereuen, es nicht noch einmal versucht zu haben oder nicht ?

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