steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Pico Veleta 1 (Standardstrecke)

Der Ruhepuls heute morgen ist 48, nicht super aber noch im grünen Bereich. Also die Autofahrt hat zum Regenerieren offensichtlich halbwegs gereicht und ich werde fahren. Mein Gefühl sagt es geht.

Mein Gefühl sagt aber auch, dass das tropfende Geräusch, das aus dem Bad kommt irgendwie „falsch“ ist. Ich liege ja noch im Bett, wer also ist in meinem Badezimmer? Schnell klärt sich das Mysterium, denn aus der Decke tropft Wasser ohne Ende, ein veritabler Wasserschaden.

Die Reparatur wird schnell eingeleitet, nur kann ich so leider mein Bad nicht benutzen und muss auf das Duschen verzichten. Ich wollte mir heute sowieso Zeit lassen und nur eine „Erkundungsfahrt“ machen. So gehe ich relativ spät und ungeduscht zum Frühstück. Das bietet deutlich mehr sinnvolle Optionen für Radfahrer, die noch 3000 Höhenmeter am Stück vor sich haben, als die letzten Hotelfrühstücke mit denen ich bei meinen Passfahrten vorlieb nehmen musste.

Dann geht’s aber los. Irgendwie bin ich regelrecht nervös und aufgeregt, mehr als vor meinem ersten Pass damals in 2009. Komisch aber die Höhe und die Höhenmeter am Stück flößen mir schon Respekt ein, vielleicht gerade weil ich doch schon einige schwere Pässe gefahren bin.

Mein Hotel liegt praktisch direkt an der 395, die in die Sierra Nevada führt. Also sollte die Navigation ja kein Problem sein. Denkste! Im Kreisel muss ich leider feststellen, dass die Strecke für Radfahrer verboten ist.

So frage ich das erste mal nach dem Weg nach Cena de la Vega. Die Antwort fällt wortreich aus. Allerdings würde es helfen wenn ich spanisch sprechen würde, um sie auch zu verstehen. So fahre ich mal ins Blaue, so grob in die Richtung die passen könnte. Huetor Vega hatte ich irgendwie auch noch im Kopf, aber nach erneutem nachfragen finde ich zwar nicht raus wo es lang geht, aber immerhin, dass ich hier falsch bin.

So fahre ich mehr Richtung Innenstadt, als es rechts berghoch geht. Ich denke mir das passt ja schon irgendwie und kurbel mich die doch ordentlich steile Straße hoch. Beim nächsten Nachfragen erfahre ich dann, dass mein Ziel auf der anderen Seite des Flusses liegt, und das es berghoch auf jeden Fall nicht mehr über den Fluss geht. Mist die ersten Höhenmeter waren schon mal für die Katz.

Also wieder runter und weiter Richtung Stadt. Ob das wohl richtig ist? Leider gibt es überhaupt keine Beschilderung dir mir als Nichtautofahrer irgendwas nützen würde. Mittlerweile denke ich, ich bin total falsch, als endlich ein Schild „Sierra Nevada“ zu sehen ist. Und das ist auch weit genug von der für Fahrradfahrer gesperrten Straße weg, so dass ich ganz optimistisch bin, nach einer Dreiviertelstunde planlosem Rumgeradel endlich den richtigen Weg gefunden zu haben.

Das Wetter ist fantastisch, ich radel der Sonne entgegen durch Granada, im Herzen Andalusiens, wie geil. Die Nervosität ist verflogen, das einzige was mich etwas unruhig macht, ist das überhaupt keine Schilder mehr kommen, und vom Pico Veleta stand schon mal rein gar nichts. Aber eigentlich müsste ich hier schon richtig sein.

Ich hoffe irgendwie auf ein Ortschild, welches das Ende von Granada markiert, so dass ich die Stoppuhr starten kann, denn ich will ja schon wissen wie lange so ein Aufstieg ungefähr dauert. Aber hier ist es ja eh noch flach.

Vergeblich warte ich auf irgendwelche Ortsangaben oder einen Hinweis zum Pico Veleta. Auch das Skigebiet der Sierra Nevada ist hier nicht ausgeschildert. Dann kommt der Abzweig in Richtung Guejar Sierra . Da geht auf jeden Fall eine alternative Route lang. Aber bin ich dann nicht schon ein Dorf zu weit? Ich krame die Beschreibung raus, aber da steht von der Kreuzung nix drin, aber hier geht es jetzt erstmals richtig berghoch. Also setze ich das als Startpunkt, und könnte dann morgen die alternative Route ebenfalls von hier starten.

Endlich bergauf fahren. Zwar nicht brutal steil, aber immerhin gewinnt man Höhenmeter, und schnell bieten sich erste schöne Ausblicke. Auch die 1000 Höhenmeter Marke lässt nicht lange auf sich warten. Granada selbst liegt ja schon ca. 738 Meter hoch.

Das es hier nach Pinos Genil geht verwirrt mich etwas, ist das nicht falsch? Auf der Karte sah es jedenfalls so aus. So fahre ich weiter berghoch, wahrscheinlich wieder Höhenmeter umsonst. Ich überhole einen alten Mann, braun gebrannte Lederhaut, mit freiem Oberkörper, mindestens Ende sechzig auf einem alten mountainbikeähnlichen Gefährt. Er tritt nicht nur gefühlt, sondern real eine Trittfrequenz von vielleicht 9, gerade so, dass er nicht umfällt, und kriecht so den Berg hoch. Beeindruckend. Wir grüßen uns freundlich, und ich warte eigentlich nur auf das Ende der Stichstraße, bis ich wieder umkehren muss…

Und dann trifft die Straße doch auf die 395. Also war ich richtig. Ab jetzt fahre ich auf der neuen Straße, und hier ist auch kein Fahrradverbot mehr. Die Straße ist breit, bergauf zweispurig und es gibt einen breiten Streifen an der Seite auf den auch noch ein Fahrrad passt. So eine ausgebaute Passstraße habe ich noch nicht gesehen. Der Straßenbelag ist perfekt, und Autoverkehr findet praktsich nicht statt. Vereinzelt kommt mal ein Auto, wochentags zu fahren macht also wohl Sinn.

Jetzt wo ich endlich weiß, dass ich richtig fahre kann ich die Landschaft noch mehr genießen und auch die Beine funktionieren gut. Der letzte Abschnitt der dritten Auffahrt auf den Ventoux vorgestern hat doch viel Kraft gekostet, und so hatte ich mir etwas Sorgen gemacht, ob der eine Tag mit den fast 12 Stunden Autofahrt für die Regeneration reichen würde. Vor allem der untere Rücken und die Kontaktpunkte zum Rad hätten Probleme machen können. Aber weder Sitzfläche noch Hände und Füße melden irgendwelche Besonderheiten, im Gegenteil ich fühle mich super. Auch der Rücken macht keinen Mucks.

Das liegt nicht zuletzt auch an der moderaten Steigung. Meist liegt die so um sechs Prozent. Ich versuche meine Leistung auf ca. 230 Watt zu dosieren. Ich fahre nicht auf Zeit, sondern das einzige Ziel heißt oben anzukommen. Und da es die letzten Kilometer nochmal richtig bissig werden soll will ich auf keinen Fall hier unten meine Körner verschießen. Es kostet zwar etwas Beherrschung, aber das schöne, angenehm warme Wetter und die tolle Landschaft mit immer wieder herrlichen Ausblicken helfen das Tempo zu dosieren.

Immer wieder kommen Hinweisschilder auf das Skigebiet der Sierra Nevada, aber Schilder die auf den Pico Veleta hinweisen gibt es keine. Die Steigung bleibt angenehm und die Straße windet sich in weiten Kurven am Hang entlang nach oben. Mittlerweile kann man recht weit über die andalusische Hügellandschaft schauen.

Hier sieht es doch anders aus als in den Alpen, neue herrliche Eindrücke, ein perfekter Ort für den Saisonabschluss. Dann passiere ich die Stelle, wo die Straße von Monachil auf die 395 trifft. Eine Variante die ich in den nächsten Tagen auch noch fahren will.

Es sind so gut 25° und die Temperaturanzeige steigt noch, so dass ich die Möglichkeiten im Schatten zu fahren, die sich jetzt aus der Streckenführung ergeben reichlich nutze. Aber noch immer ist die Steigung moderat um 6%, mal mit Ausschlägen in Richtung 8%, mal auch in die andere Richtung, und an einem Hotel geht es sogar ein paar hundert Meter bergab.

Dann passiere ich die Stelle wo die Strecke von Guejar Sierra auf die 395 trifft, auch diese Variante will ich in den nächsten Tagen noch fahren. Ab hier ist der Aufstieg also für alle drei Varianten gleich.

Bis jetzt ist es noch ganz easy, die Steigung recht konstant, sehr moderat, der Straßenbelag perfekt, kaum Autoverkehr und nach jeder Kurve eine neue herrliche Aussicht. Aber trotzdem halte ich mich zurück und bleibe bei meinen 230 Watt und wenn es mal 200 werden schalte ich gemütlich hoch, versuche also nicht wirklich die 230 Watt absolut konstant zu halten, denn das Ziel heißt finishen und ich habe ja keine Ahnung was da noch kommt, und wie ich auf über 3000 Metern höhe nachher drauf bin.

Was dieses Schild bedeutet ist kar…

…was aber soll das bitteschön bedeuten??

Die Straße windet sich durch die Berge, mit jedem Höhenmeter werden die Ausblicke immer noch etwas spektakulärer. Und dann sehe ich doch tatsächlich einen Radfahrer vor mir. Leider ist der recht langsam und als ich vorbei fahre und mit „hola“ grüße, kommt nur ein Schnaufen zurück. Ich hoffe mal die rote Farbe des Kopfes ist Sonnenbrand…

Jedenfalls kommt kein Gespräch zu Stande und ich fotografiere gerade den nächsten herrlichen Ausblick, als ich merke, dass er sich tatsächlich an mein Hinterrad gehängt hat. Vielleicht doch die Möglichkeit ein Stück gemeinsam zu fahren? Aber nach ein paar Metern bleibt er schon wieder zurück. Seltsame Aktion in so einem langen Anstieg. Na so muss ich halt alleine weiterkurbeln.

Ich mache immer wieder Fotos, und weiß doch, dass die nicht mal andeuten können wie sich die Landschaft hier „anfühlt“. Muss man selbst erfahren, sorry.

Die 2000 Höhenmeter Grenze ist jetzt passiert und ich habe den Ort Prado Llano jetzt vor mir im Blick. Nach ein paar Kilometern zweigt die Straße in den Ort ab. Hier steht auch erstmals ein Schild mit einem Hinweis auf den Pico Veleta mit einer Höhenangabe von 3395 Metern. Ich muss hier also die 395 verlassen?

Hm, seltsam aber das Schild ist eindeutig. Und da es das erste überhaupt ist, habe ich keinen Grund dem zu misstrauen. Im Ort muss ich mich gleich nochmal entscheiden, diesmal steht aber kein Schild und ich fahre nach Gefühl links.

Als ich das erste mal so eine Wintersport Bettenburg in den französischen Alpen gesehen habe war ich sehr irritiert. Jetzt finde ich das hier gar nicht so schlimm. Statt durch Felsschluchten fahre ich hier eben durch Häuserschluchten. Nur bin ich unsicher ob das tatsächlich der richtige Weg ist. Ich frage eine Straßenfegerin, die gerade hier arbeitet „Pico Veleta??“ „Si, si!“. Na mein spanisch ist doch mittlerweile perfekt und ein freundliches Lächeln der komplett in leuchtend Orange gekleideten Dame gibt’s als Aufmunterung auch noch dazu.

Auch hier ist die Steigung ok, zieht mal leicht auf 8% an, aber mehr wirds nicht. Und meist bleibt es bei den gut 6%. Nach dem ich mich durch den Ort gekurbelt habe trifft die Straße wieder auf die 395. Also hätte ich wohl auch einfach auf der Straße bleiben können. Das einzige Schild, dass bis jetzt auf den Pico Veleta hingewiesen hat war also ziemlich sinnlos. Oder ich hätte im Ort doch rechts fahren sollen? Verdammt ist das verwirrend hier. Ich verlasse mich auf die orange Dame…

Dann aber geht es nach ein paar weiteren Kurven, die 2500 Metermarke ist jetzt passiert, vorbei an mehreren Kiosken und an einem hübschen Gebäude, dass militärisch genutzt wird. Und plötzlich ist die berühmte Schranke erreicht, und schlagartig hört der schöne Straßenbelag auf (Ich war so überrascht, weil ich mich kurz mit den hier oben seltsam verloren wirkenden Schafen unterhalten hatte, und kann gerade noch über die Schulter ein Foto zur Dokumention schießen).

Der Straßenbelag ist jetzt wirklich schlecht. „Höchster auf asphaltierter Straße erreichbarer Punkt“, so so, heißt wohl nicht „höchster auf ordentlich asphaltierter Straße erreichbarer Punkt“.

Die Landschaft wird jetzt karger und verändert ihren Charakter deutlich. Nach ein paar Kurven auf dem ruppeligen Asphalt kommt eine alte, offensichtlich nicht mehr genutzte Sternwarte in Sicht. Die Temperatur hat mittlerweile stark  nachgelassen und liegt so bei 13°. Und dann kommt so ein kleiner kantiger Zipfel ins Blickfeld. Ob das wohl der Pico Veleta ist? Allerdings sind es ja noch 800 Höhenmeter zu fahren. Ob dahinter noch was kommt? Schild stand auch hier nirgendwo eines. Und ich bin jetzt komplett alleine hier. Es ist sehr still. Ich fühle mich plötzlich regelrecht einsam. Sowas hatte ich noch nie in den Bergen, aber hier ist wirklich gar nichts außer Stille.

Ich hatte mir das so vorgestellt, dass irgenwo der Gipfel ist, und darunter eine Passhöhe wo die Straße lang führt. Aber so wird das hier nicht. Oder bin ich vielleicht doch falsch? Egal weiterkurbeln, heute ist ja nur Erkundungsfahrt angesagt.

Wenn ich dachte die Straße wäre seit der Schranke schlecht, dann lerne ich jetzt was wirklich schlechte Straße heißt. Immer wieder ist die Straße komplett aufgebrochen. Von wegen höchster mir dem Rennrad erreichbarer Punkt Europas. Das hier ist eine Mountainbike Strecke. Eindeutig. Wahrscheinlich bin ich doch falsch. Mist!

Die Straße wird dann wieder etwas besser, bzw. wenigstens nur schlecht. Die Ausblicke zurück, sind allerdings spektakulär. Die Beine funktionieren noch gut, die Steigung ist immer noch moderat, vielleicht mehr mit Tendenz in Richtung 8% aber gut zu dosieren, und ich bleibe grob bei meinen 230 Watt, eher etwas darüber. Ich rechne nach jeder Kurve mit dem angekündigten bissigen Schlussabschnitt.

Rechter Hand kann ich ein Radioteleskop sehen, da ist wohl das Observatorium an dem man sich links halten soll. Also geht es doch nochmal in eine andere Richtung. Dann kommt eine Kreuzung. Keinerlei Schild, kein Hinweis auf den Pico Veleta, gar nichts. Ich fahre Richtung Observatorium, verliere dabei aber Höhenmeter, mit anderen Worten es geht leicht bergab. Der Belag ist elend schlecht, heftige Schläge fahren in Rad und Körper. Immerhin sehe ich ein paar Wanderer.

Aber irgendwie habe ich das Gefühl ich bin falsch. Das hatte ich eigentlich die meiste Zeit des Aufstiegs bis jetzt, aber momentan ist es besonders stark. Prompt lande ich in einer Skistation. Sackgasse. Also drehe ich um. In über 2500 Metern Höhe, in einem 50 Kilometer Anstieg sich zu verfahren ist vorsichtig formuliert suboptimal. Dabei hat es mit dem Kräfte schonen für den bissigen Schlussabschnitt bis jetzt doch so gut geklappt.

Der Weg zurück zur Kreuzung bietet immerhin noch mal eine andere Perspektive hinunter auf die Landschaft und die schon gefahrenen Abschnitte. An der Kreuzung nehme ich dann den anderen Weg, aber ob der richtig ist weiß ich auch noch nicht. Die Bilder, die ich in meinem Kopf hatte und die Realität weichen schon sehr voneinander ab.

Auch wenn es hieh und da noch etwas Vegetation gibt, so fühlt es sich doch an, als ob man durch eine Mondlandschaft fährt. Die 2750 Meter Marke ist jetzt passiert und die Steigung noch immer moderat. Noch immer sind es also wohl über 500 Höhenmeter. Nur wo sollen die herkommen? Wo ist denn der Berggipfel, unterhalb dessen noch die Passhöhe sein soll?

Die Temperatur liegt mittlerweile um 10° mit Tendenz nach unten. Der Blick zurück ist spektakulär, die Straße schlecht aber immerhin fahrbar, außer mir ist hier niemand. Es fühlt sich an, als wäre ich der einzige Mensch auf der Erde. Allerdings gibt es immer wieder offensichtlich von Menschenhand gebaute Zäune und Hinweisschilder für die Skipisten. Schilder mit Hinweis auf den Pico Veleta gibt es allerdings nicht.

So fahre ich Kurve um Kurve, die große Antenne, wo ich das Observatorium vermute, liegt mittlerweile auf einem anderen Bergrücken, so dass ich, falls ich hier falsch gefahren bin wohl 1000 Höhenmeter umsonst gefahren wäre. Aber es scheint mir hier auch zum höchsten Punkt zu gehen den man in der Umgebung sehen kann. Erkundungsfahrt…

Die Steigung ist immer noch recht gleichmäßig und immer noch moderat, noch immer fahre ich zwischen 230 und 250 Watt. Wie werde ich wohl den bissigen Schlussabschnitt meistern?

Plötzlich sind meine Oberschenkel weg. Ich hatte das mal in Berichten vom RAAM gelesen, dass die Fahrer nach tausenden von Kilometern und Schlafentzug berichten, dass sie ihre Beine nur noch sehen, aber nicht mehr spüren. Und jetzt mache ich eine ähnliche Erfahrung (ohne tausende Kilometer und ohne Schlafentzug). Es ist als ob zwischen Hüfte und Knie einfach nichts wäre, ein völlig seltsames Gefühl. Dabei sind die Beine nicht taub. Wenn ich in den Wiegetritt gehe und die Beine am Oberrohr entlang streifen spüre ich sie, wenn ich sie anfasse spüre ich das, nur wenn ich einfach trete ist es als ob die Oberschenkel nicht vorhanden wären. Dabei kann ich beschleunigen und ganz normal meine Leistung treten.

Die lange gleichmäßige Steigung hat wohl im Gehirn die Datenleitung auf Standby geschaltet. Es dauert ein paar Minuten, dann ist es wieder normal. Die Strecke ändert sich jetzt auch etwas und führt durch dunkles Geröll.

Manchmal scheint die Straße, die talwärts immer etwas weggebrochen ist übergangslos in den Hang überzugehen. Immer wieder liegt etwas Geröll auf der Straße, und die Steigung zieht etwas an. Aber auch hier nur auf ca. 8%

Die Straße scheint manchmal in den Kurven direkt in den Himmel zu führen. Das ist schon richtig geil hier oben. Egal ob das die richtige Straße ist, und ob ich zum Pico Veleta komme oder nicht, es hat sich auf jeden Fall gelohnt hier zu fahren.

Die Höhe macht mir keine Probleme, es fühlt sich nicht anders an wie auf dem nur knapp 2000 Meter hohen Ventoux. Allerdings gab es bis jetzt abgesehen vom ruppigen Straßenbelag noch keine Herausforderung. Wenn der bissige Schlussabschnitt kommt, kann das noch ganz anders aussehen.

Meine Sorge, dass es mit den zwei Trinkflaschen knapp würde, war zwar nicht ganz unberechtigt, aber da es hier oben doch recht kalt ist, mittlerweile sind es so gut 6°, könnte ich doch gerade so hinkommen.

Und dann bricht die Straße wieder vollends auf, vor allem in den Kehren. Ein Rennrad ist hier wirklich auf falschem Terrain. Die Belastung für Mensch und Material ist heftig. Ich hoffe nur, dass ich mir keinen Plattfuß fahre.

Jetzt fahre ich endgültig in Mondlandschaft, die Vegetation hat aufgegeben. Immer wieder folgt Kurve auf Kurve und kleine Kehren wechseln die Richgung der Straße. Wo kommt denn die Höhe dafür her? Die moderate Steigung ist wohl die Ursache dafür. Mir ist das nur recht, lieber lang als steil. Nur wo soll denn dann der bissige Schlussabschnitt noch kommen?

Dann geht es geradewegs auf den kleinen Zacken zu, den ich vorhin schon als höchsten Punkt hier gesehen hatte. Wahrscheinlich geht es dann in einer Kurve drumherum und danach kann man vielleicht den Pico Veleta sehen. Dann kommt wohl auch der heftige Schlussabschnitt wegen dem ich mich bis jetzt so geschont habe. Mittlerweile trete ich allerdings eher um 250 Watt, ich fühle mich noch immer wohl und will mich auch schon mal mental auf eine höhere Leistung einstellen.

Ich fahre jetzt auf über 3000 Meter Höhe, eine tief hängende Wolke dunkelt das Szenario deutlich ab, das dunkle Gestein wirkt dadurch umso unwirtlicher, so langsam geht es von der Mondlandschaft in die Marslandschaft über.

Die Strecke scheint sich immer zu wiederholen, wieder eine Kurve, eine längere Gerade, wieder eine Kurve, ein Ende ist nicht in Sicht. Dann, nach einer weiteren Kurve fährt man wieder gerade auf die oben erwähnte Felsspitze zu, diesmal aus einer anderen Richtung. Ist das etwa doch der Pico Veleta? Oder bin ich vielleicht komplett am falschen Berg?

Anyway, weiterkurbeln. Eine Kehre, miese Straße, noch eine Kehre und da stehen vier Wanderer. Die Straße ist komplett aufgebrochen, zehn Zentimeter tiefe Schlaglöcher, und die lassen mich zwar vorbei, stehen aber auf dem einzig fahrbaren Bereich der Kurve. Ich bleibe fast stecken in einem Schlagloch, komme mit viel Kraft aber raus und kann das Fahrrad halten, mit lautem Gefluche fahre ich weiter und drangsaliere mein Fahrrad durch die elend schlechte Strecke. Dann ist plötzlich gar kein Asphalt mehr da, dafür gibt es keine tiefen Löcher.

Passhöhe habe ich noch keine gesehen, das hier ist definitiv eine Mountainbike Strecke, mein Rennrad winselt um Gnade, es wird etwas steiler, was bei losem Belag ja nicht so klasse ist. Egal, da wird schon wieder Asphalt kommen, nur wo soll denn die Straße da lang führen? Wo soll denn hier noch der Pico Veleta sein?

Weiterkurbeln. Dann kommt eine Kehre und da liegen ein paar große Wacker im weg. Was heißt das jetzt? Für Autos verboten? Oder war hier einfach Steinschlag? Ich habe keine Ahnung, ich fahre jetzt einfach so lange nach oben bis „irgendwas“ kommt.

Aber jetzt wird’s krass. Dachte ich Anfangs die Straße nach der Schranke sei schlecht, und war ich dann von der Piste die folgte irritiert, und wurde das dann nochmal gesteigert, durch das Geröll wo ich mich gerade durchgekämpft habe, dann ist das was jetzt kommt einfach nochmal zehn Nummern härter. Hier kann man doch definitiv nicht mit dem Rennrad fahren?

Zwei Kehren zwinge ich mein Rad noch über diesen „Weg“, dann wird es plötzlich so steil, dass die Räder in dem Geröll nur noch durchdrehen, keine Chance. Hier ist Ende. Wo immer ich auch bin, hier geht es definitiv nicht weiter.

Der Pico Veleta ist wohl irgendwo anders, durch die aufgekommenen Wolken kann ich die umliegenden Bergspitzen kaum sehen. Mist. Mein Fahrrad und die Laufräder habe ich schwer misshandelt. Runterfahren geht nicht, zurück muss ich auf jeden Fall tragen. Dann kann ich auch erst mal berghoch tragen und mir anschauen wo ich bin.

Ich schaue auf die Höhenanzeige vom Garmin, der zeigt 3250 an, hat allerdings die ganze Auffahrt schon immer so 100 Höhenmeter zu wenig angezeigt. Hm, ist das vielleicht doch der Pico Veleta?

Ich schaue auf den PC7, den hatte ich bei jeder Höhenangabe nachkalibriert, und der zeigte auf zwei Meter genau die richtige Höhe. Und der steht jetzt bei 3368. Das mus der Pico Veleta sein! Ich bin am Ziel, schon da, nix bissiger Schlussabschnitt, das wars schon!

Ich nehme mein Fahrrad und klettere mit meinen Radschuhen weiter nach oben. Ein paar Meter kann ich das Rad noch schieben, dann muss ich tragen. Da sehe ich einen Radfahrer oben stehen. Er steigt gerade ab und kommt mir entgegen. Ich frage ihn ob das der Pico Veleta ist. Er meint ja. Rudi, ein Österreicher auf Radtour. Mit seinem reisefähigen Mountainbike ist er unterwegs. Ein netter Typ, wir reden kurz, dann steige ich weiter hinauf und er hinab. Der war ganz schön eingepackt und hatte sogar Plastiktüten über den Handschuhen. Hier oben sind es jetzt 3°, ich bin natürlich komplett in Sommerklamotten hier.

Aber mir ist es nicht kalt. Die letzten paar Meter gestalten sich schwierig mit den Radschuhen, aber dann bin ich auf dem kleinen Podest am Gipfel. Dort stehen gerade zwei Wanderer, so kann sogar jemand das, nein nicht Passschildfoto, aber Gipfelfoto machen. Die Kamera ist zwar voll mit Schweiß und ich habe nichts trockenes um das Objektiv sauber zu wischen, aber man kann immerhin was erkennen.

Das ist er also der höchste mit dem Rennrad zu befahrende Punkt. Naja, der liegt schon deutlich weiter unten, ich war nur einfach zu blöd und habe nicht gecheckt wo ich bin, so dass ich bis fast zum Gipfel gefahren bin. Mein armes Fahrrad.

Ich steige noch auf die Plattform, auf der anderen Seite geht es steil hinunter. Leider hüllt eine Wolke den Gipfel jetzt komplett ein, so dass ich die spektakuläre Aussicht, die sich von hier in alle Richtungen bietet nicht sehen kann. Außerdem wird mir jetzt doch sehr kalt. Und ich muss ja noch mit meinem Fahrrad wieder hier herunterkraxeln.

Auf dem Weg nach unten treffe ich noch einen Mountainbiker, ein Holländer der von Capileira hochgefahren ist. Das ist allerdings keine Rennradstrecke, sondern viel Schotterweg, so dass diese Variante nicht auf meinem Plan steht. Für die ca. 34 Kilometer hat er vier Stunden gebraucht, also offensichtlich eine anspruchsvolle Strecke.

Er schleppt sein Rad weiter nach oben, ich steige weiter ab. Ich verliere kurz die Geduld und fahre ein Stück abwärts, gebe aber schnell dem Wimmern meines Fahrrades nach. Ich mache noch weitere Fotos von der steinigen Landschaft hier oben und denke dabei, hier sieht es aus wie auf dem Mars. Auch wenn da angeblich alles eher rötlich ist, und hier eher schwarz oder dunkelgrau, so muss es auf dem Mars aussehen. Ich stelle mir vor wie jemand nach anderthalb Jahren Flug auf dem Mars ankommt und dann sowas sieht, wie frustrierend müsste das wohl sein. Lebensfeindliche fiese dunkle Steine sonst nix.

Ich kraxle weiter nach unten, bis ich die großen Steine auf dem Weg wieder erreiche, hier setze ich mich aufs Rad und rolle die 150 Meter bis zum Beginn des asphaltierten Teils.

Beeindruckend hier oben ist die Stille. Habe ich so noch nicht erlebt. Es ist nicht einfach nur die Absenz von Geräuschen, sondern eine ganz besonders „intensive“ Stille. Schwer zu beschreiben, vielleicht hängt es mit der Luft zusammen, die hier ja dünner ist als im Tal. Aber auch in den Alpen habe ich so eine Art von Stille noch nicht erlebt. Dort teilt man sich die Straße allerdings auch mit Auto- und Motorradfahrern…

Die Abfahrt ist eine echte Tortur. Mensch und Material werden regelrecht mit kleinen Schlägen verprügelt. Außerdem muss man immer wieder aufpassen wegen der aufgebrochenen Straße. Trotzdem fahre ich bis 30 km/h. Die ca. fünf Kilometer bis zum Beginn des guten Belags an der Schranke ziehen sich sehr. Ich mache immer wieder ein paar Fotos um die spektakulären Eindrücke für mich festzuhalten.

Vor der alten Sternwarte halte ich kurz an und mache ein Foto von diesem seltsamen Denkmal und der Warte. Eigentlich könnte man ständig anhalten um die Umgebung zu genießen, die Sonne, die manchmal durch die Wolken schaut generiert interessante Farbspiele auf der Landschaft. Aber ich will jetzt auch endlich ins Warme. Die Hände sind schon sehr kalt.

Und dann habe endlich wieder rennradtauglichen Belag unter den Rädern. Aber jetzt steuere ich erst mal den Parkplatz mit den Buden an, der nach ein paar hundert Metern folgt. Milchcafe und Baguette mit Tortilla habe ich mir jetzt wirklich verdient. Auch wenn ich das Herumirren heute morgen abziehe, so bin ich schließlich ca. 52 Kilometer am Stück bergauf gefahren. Es war zwar nie wirklich steil, aber es hat doch so ca. 3:50 Stunden gedauert.

Auch wenn es hier jetzt wieder deutlich wärmer ist, so kommt doch Wind auf und ich muss bald weiterfahren um nicht auszukühlen. Ab jetzt ist die Abfahrt eine wahre Wonne. Am Abzweig nach Prado Llano fahre ich weiter die 395, der Umweg oder die Abkürzung durch den Ort spare ich mir.

Durch die breite Straße mit dem fantastischen Belag und die gemäßigten Kurvenradien ist die Abfahrt ein unglaublicher Genuss. Ich wundere mich zwar etwas, dass ich nur so 55 km/h fahre, schreibe das aber dem moderaten Gefälle zu und meiner entspannten Herangehensweise.

Zu allem kommen ja noch die ständigen, in der Abfahrt viel mehr präsenten Ausblicke auf die fantastische Landschaft hinzu. Bei einem Fotostopp mit Blick auf Guejar Sierra und den Stausee des Genil stelle ich fest, dass die Bremse hinten schleift. Ich zentriere das Mistding neu, muss aber nochmal halten um das zu wiederholen. Die Bremse hinten lässt kaum noch gescheit dosieren, sondern blockiert dann gleich. Das geht natürlich auf die Reifen, also lasse ich die Hinterradbremse ganz weg.

Dann geht es auch besser mit der Geschwindigkeit. Die Abfahrt macht Spaß ohne Ende. Ich fahre die 395 weiter und biege nicht auf die alte Straße über die ich gekommen bin ab. Von Fahrradverbot steht hier nix. So komme ich ganz schön weit bis Granada, als dann doch ein Fahrradverbot kommt. Den Grund kann ich von hier auch sehen, es geht nämlich durch einen 800 Meter langen Tunnel. Na Tunnel bin ich ja nun wirklich gewohnt, außerdem habe ich ein gutes Rücklicht, so breche ich das Gesetz und fahre durch den Tunnel, dort gebe ich allerdings mit 400 Watt über die 800 Meter richtig Gas, so dass es auch schnell vorbei ist. Ein bisschen irre ich dann noch durch die Gegend bis ich das Hotel wieder gefunden habe, aber mein Gefühl hat mich schon ganz gut in die Nähe gelotst, so dass es diesmal nicht so lange dauert wie heute morgen bis ich mein Ziel erreicht habe.

Das war also der Aufstieg zum Pico Veleta, dem höchsten mit dem Rennrad auf asphaltierter Straße erreichbare Punkt Europas. Eine interessante Erfahrung auf jeden Fall. Die sportliche Herausforderung liegt allerdings nicht wie erwartet in heftigen zweistelligen Steigungsprozenten und der großen Höhe, sondern in der Länge des Anstiegs, der Navigation dorthin und dem in Radschuhen etwas komplizierten Kletterabschnitt zum Gipfel.

Die Cleats an meinen Radschuhen werden diese Radsportwoche jedenfalls nicht überleben.

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1 Kommentar

  1. Thomas 30. September 2011

    Hi Guido,

    gut gemacht. Mit meinem 20 Jahre alten Bulli und Skiern wars dann doch leichter. Das da oben kein super Asphalt mehr ist, kann man in Spanien verstehen, wenn dort das halbe Jahr Schnee liegt und keiner Winterreifen hat.
    Na ja wenn du noch mal wagst wünsche ich dir einen super Ausblick aufs Meer.
    Und natürlich danach eine gute Regeneration in der Altstadt von Granada.

    Grüß mir Spanien

    Thomas

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