Für heute habe ich mir das Hahntennjoch vorgenommen. Nachdem es ja gestern schon recht anstrengend war, habe ich nicht vor die knapp 60 Kilometer bis Imst mit dem Fahrrad zu fahren, denn vor allem die Rückfahrt berghoch durch fast das gesamte Ötztal, nachdem ich die zwei Passauffahrten hinter mir habe, wäre wohl etwas zuviel.
So fahre ich mit dem Auto nach Imst, suche mir einen Dauerparkplatz in der Nähe des Startpunktes und setze mich dann dort erst auf’s Rad.
Es gibt keine große Möglichkeit sich einzufahren. Ich rolle auf dem einzig flachen Stück ein paar hundert Meter, fahre dann zum Kreisel der von der Hauptstraße in die Passauffahrt führt, starte die Runde auf dem Radcomputer, und los geht’s.
Das Hahntennjoch ist ein zunächst unscheinbarer, aber doch brutaler Pass. Auf der Passhöhe gibt es nichts, er hat keine spektakulären Serpentinen (zumindest auf der Imst-Seite), und die Landschaft ist auf dieser Seite eher karg. Besonders lange ist er auch nicht. Aber trotzdem wäre es bei der Tour de France ein HC Anstieg. Denn das Ding ist einfach heftig steil.
Das letzte mal bin ich das Hahntennjoch vor ca. 13 Jahren gefahren, da habe ich natürlich unter 80 Kg gewogen, war gut in Form, und bin an dem Tag neben den beiden Auffahrten zum Hahntennjoch auch noch die Ötztaler Gletscherstraße gefahren. Wahnsinn.
Meine Hoffnung ist ein bisschen, dass die Straße gar nicht so steil ist wie ich sie in Erinnerung habe… Nach 500 Metern weiß ich, sie ist genauso steil wie ich sie in Erinnerung habe. Noch im Ort klappt die Straße nach oben, und die Steigung zieht an auf 15%.
Wow, wenn man pässegeil ist ein Traum, wenn man gerade so den Berg hoch kommt wie ich gestern ein Schock. Da ich natürlich trotz des Kampfes gestern am Timmelsjoch immer noch auch pässegeil bin, verarbeite ich den Schock schnell, und versuche einfach irgendwie hochzukommen, noch bin ich ja recht frisch.
Ich bewältige den ersten supersteilen Abschnitt, und zu meiner Erleichterung kommt eine Serpentine und die Steigung nimmt moderates Ausmaß an. Es wechselt jetzt sogar zwischen steileren Abschnitten und einem weiteren recht flachen Teil.
Dann ist aber Schluss mit lustig. Die Steigung zieht auf 12% an, und bleibt dabei. Anfangs kann ich noch beim Aufstehen zum Wiegetritt einen Gang hochschalten. Aber ich agiere schon ganz schön an der Grenze. Keine Chance einen Rhythmus zu finden oder sich in die Steigung zu meditieren, wie es mir früher oft gelungen ist. Die Anstrengung ist ständig präsent und ich kann sie nicht ausblenden.
Die 34er Kassette rettet mich auch heute, aber die Trittfrequenz sinkt rasch unter 70 und dann auch recht bald unter 60. Das heißt für mich eigentlich, dass man hier die Zone des Rennradfahrens verlässt, und den Bereich von „elendem Gegurke“ erreicht.
Es ist mir auch nicht mehr möglich beim Wechsel in den Wiegetritt hochzuschalten. No way. Ich bin froh, wenn ich überhaupt vorwärts komme, und nicht stehen bleibe. Die Konstanz der 12% Steigung ist einfach unbarmherzig.
Ich versuche durchzuhalten, hoffe, dass die Beine nach gestern, und mit der superniedrigen Trittfrequenz, nicht implodieren. Ich muss an Tina denken und das Race Around Austria, wo du steile Alpenpässe nach 1500 Kilometern auf dem Fahrrad mit kaum Schlaf in Angriff nehmen musst… Ich versuch das als „Trost“ zu nehmen und mich damit am Laufen zu halten, denke darüber nach was ich ihr über das Mikro sagen würde. Da bliebe wohl nur dass, was ich immer gehört habe, und was mein Trainer Björn mir mal nachts um 3 beim Race Around Ireland per Telefon und Funk gesagt hat: „Jede Kurbelumdrehung bringt dich ein Stück vorwärts!“
Das sage ich mir hier auch. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich tatsächlich ohne stehen zu bleiben bis hoch komme. Denn der Anstieg hört nicht auf. Immer wenn ich hoffe, dass die Strecke abflacht nach der nächsten Kurve, geht der Anstieg einfach genau so weiter.
Zwischendurch kommt immer wieder stoßweise heftiger motorisierter Verkehr. Ein Vespa Club nervt besonders, weil die Dinger einfach extrem stinken und so langsam an mir vorbeifahren.
Ich befinde mich mittlerweile in dem Bereich wo man die Murenfelder sieht, eine sehr karge Landschaft. Aber müsste dann nicht bald die Passhöhe kommen? Nö, gar nicht, jetzt kann ich nämlich weit schauen, und ich sehe nur eine sich noch elend lange hinziehende Straße am Hang.
Von hier unten sieht es aber aus wie 9% oder? Flacht die Straße da etwa ab? Ich kämpfe mich weiter nach oben, mit Trittfrequenz um 55 und einer Geschwindigkeit von 7 km/h. Die Steigung bleibt auch nach der nächsten Kurve, und der nächsten Kurve, und auch der danach folgenden bei 11 bis 12%.
Die Ausblicke ins Tal sind teils sehr schön, trotz der kargen Hänge auf meiner Hangseite. Ich glaube mich an eine Stelle zu erinnern wo die Staße eine 180° Kurve macht, wurde es da nicht flacher? Die Stelle, zumindest eine ähnliche gibt es tatsächlich, ich erreiche sie auch, aber die Steigung bleibt unbarmherzig steil.
Dann scheint die Straße aber endlich etwas abzuflachen, nur um dann aber wieder anzuziehen., letztlich flacht sie dann aber tatsächlich etwas ab. Kommt da oben „schon“ die Passhöhe? Kann ich den Anstieg tatsächlich schaffen?
Ich bekomme wieder etwas Trittfrequenz, so dass ich wenigstens in Würde oben auf der Passhöhe ankommen kann. Immerhin fühlen sich für mich jetzt 9%, selbst 10% noch einigermaßen ok an.
Und dann erreiche ich tatsächlich die Passhöhe. Wahnsinn. Und ein schlauer Mensch hat doch dort tatsächlich sogar einen Kiosk hingestellt. Super.
Ich mache das obligatorische Passschildfoto und bestelle mir Wasser um eine Flasche aufzufüllen, die andere hatte ich nicht angerührt. Und einen Kaffee gibt’s auch noch, wie schön. Seltsamerweise fühle ich mich gar nicht so kaputt, es waren einfach nur die Beine an der Grenze, während der Fahrt. Jetzt fühle ich mich sofort wieder gut.
Lustigerweise kommt gerade ein anderer Rennradfahrer von der gleichen Seite oben an, er ist völlig platt, ist so fertig, dass er kaum stehen kann, und seine Freundin, die offensichtlich mit dem Auto begleitet hat, reicht Getränke… Immer wieder gut zu sehen, dass es für die anderen auch anstrengend ist.
Ich halte mich jetzt aber nicht zu lange hier oben auf, sondern ziehe meine Jacke an und stürze mich in die Abfahrt. Kann man tatsächlich so nennen, denn nach wenigen hundert Metern liegt das Gefälle schon bei 12%.
Damals bei meiner ersten Fahrt hier am Hahntennjoch, kam mir die Abfahrt sensationell schön und harmonisch vor. Mit dem neuen Fahrrad fährt es sich nicht ganz so elegant bergab, heute Abend werde ich auf jeden Fall die Reifen wechseln, das sollte doch einiges bringen.
Natürlich komme ich nun schnell voran, nach fünf Kilometern, beim Ort Boden wird es dann erst mal flach, bevor es wieder bergab geht. Landschaftlich gefällt mir diese Seite besser, das Tal ist sehr eng und steil, was einfach spektakulär aussieht. Ich mache sogar einen Fotostop.
Nochmal kommt eine flache Passage. Dann geht es wieder steil bergab. Mir kommt die Abfahrt länger vor als gedacht. D.h. ich muss auch länger wieder bergauf fahren als gedacht. Am Ende der Abfahrt fahre ich noch die lange, gerade Rampe hinunter, die vor allem beim Bergauffahren erst mal sehr respekteinflößend aussieht.
Vor 13 Jahren habe ich unten angehalten, einen Riegel gegessen und bin dann in einer guten Stunde das Ding wieder hochgestürmt (ok, hat sich damals nicht so angefühlt, aber kommt mir heute so vor). Heute fahre ich erst mal den Kilometer weiter bis Elmen und werde da eine kleine Pause einlegen. Eine Bäckerei finde ich keine, es ist ja auch eh Sonntag, aber gleich am Ortseingang gibt es ein Restaurant, wo ich mir eine Apfelschorle, einen Cappuccino und ein Stück Kuchen gönne. Dabei habe ich freien Blick auf die Rampe am Beginn der Ausfahrt. Ich hoffe ich komme hoch, bin mir eigentlich ziemlich sicher, obwohl auch diese Seite lange sehr steil ist. Zur Not muss ich halt mal stehen bleiben…
Nach 20 Minuten Pause setzte ich mich wieder auf’s Rad und fahre los. Keine Ahnung wie das werden soll, aber wird schon. Ich starte den Radcomputer am Abzweig von der Bundesstraße und schon geht es rein die berühmte Rampe. Die Steigung zieht sofort in den zweistelligen Bereich an. Der Garmin Radcomputer flippt aus und zeigt mir bis zu 17% an, ist aber wahrscheinlich eher ein Fehler. Aber 13% sind’s und das auch über eine ganz schön lange Strecke. Auch als die Rampe aufhört und die ersten Kurven kommen bleibt es steil.
Von der Rampe, die parallel zur Bundesstraße verläuft biegt man praktisch nach links ins Bschlaber Tal ab. Das ist super steil und super eng, wenn ich rechts runter schaue geht es direkt fast senkrecht hunderte Meter bergab. Sehr spektakulär.
Spektakulär ist auch die Steigung, die Beine machen noch mit, haben die Pause zur Erholung genutzt. Vom Kopf her geht es auch. Ich weiß, dass noch ein paar flache Stücke kommen, Angst habe ich nur vor den letzten fünf Kilometern, die ziemlich konstant mit 10 bis 12% ansteigen.
Jetzt fahre ich erst mal durch eine Lawinengallerie und dann einen 600 Meter langen Tunnel. Die Autos und Motorräder dröhnen im Tunnel, aber mittlerweile bin ich abgehärtet. Es folgt noch ein weiterer Tunnel mit 300 Metern, und dann erreiche ich auch bald das erste Flachstück. Hier kann ich sogar auf das große Kettenblatt schalten und trotzdem mit normaler Trittfrequenz fahren.
Ich freue mich, dass ich gut voran komme, aber ein bisschen mulmig ist mir, weil damit ja auch der heftige Schlussanstieg näher rückt. Zunächst muss ich aber auch in diesem Abschnitt wieder steilberghoch fahren. Die Beine funktionieren, aber es ist schon sehr sehr anstrengend.
In einer Kurve liegt dann aber ein Motorradfahrer umringt von einer Gruppe von weiteren Motorradfahrern, offensichtlich hat er die Kurve nicht geschafft. Oje, hoffentlich keine schlimmen Verletzungen. Ich passiere gerade die Unfallstelle, da kommt auch schon von hinten der Rettungswagen.
So schön die Passstraße auch ist, auf der einen Seite der Straße geht es hunderte Meter steil bergab und auf der anderen ist Felswand, hier gibt es wenig Möglichkeiten Fahrfehler auszugleichen oder ein Materialproblem abzufangen. Deshalb hat es mich auch in der Abfahrt genervt, dass die Hinterradbremse angefangen hat zu quietschen und dann zu kreischen und zu vibrieren. Irgendwie wenig vertrauenerweckend. Mal schauen wie die Abfahrt auf der anderen Seite wird.
Jetzt muss ich mich aber erst mal weiter berghoch kämpfen. Vom Kopf her ist alles gut, die Beine sind an der Grenze aber nicht darüber. Und dann flacht die Straße vor Boden tatsächlich nochmal richtig ab. Das bietet mir eine Chance auf etwas Erholung.
Nun folgt aber der Abzweig in den fünf Kilometer langen und sehr steilen Schlussanstieg. Man fährt direkt auf die erste Serpentine zu, und die Steigung zieht auf 12% an. Puh!
Keine Ahnung ob ich es wirklich bis oben hin schaffe. Die Beine sind jetzt nicht nur an der Grenze, sondern leicht darüber. Die Trittfrequenz fällt wieder teils unter 60. Die Serpentinen kommen mir aber entgegen. Einerseits hat man immer überschaubare Teilziele und kann sich von Serpentine zu Serpentine schleppen, andererseits bieten sie eine Sekunde Verschnaufpause.
So lege ich den ersten Kilometer des Schlussanstiegs gefühlt noch ganz „flott“ zurück. Die Anstrengung ist allerdings groß. Ich kann nichts trinken, habe immer das Gefühl mir wird schlecht. Der Anstieg ist einfach brutal. Ich denke mal öfter als alle 13 Jahre muss ich das Hahntennjoch wirklich nicht fahren…
Das Wetter ist nach wie vor gut, sehr warm im Moment. Die Kilometer ziehen sich, noch 3,5 Kilometer bis zur Passhöhe. Und es dauert bis ich die 3 Kilometer erreicht habe. Beim Laufen würde man jetzt von 3000 Metern sprechen, aber klingt das besser? Obwohl es so warm ist kann ich vor Anstrengung kaum was trinken. Neben der Straße rauscht ein Bergbach ins Tal, am liebsten würde ich mich Barfuß da reinstellen und das klare Bergwasser trinken…
Ich bin am Kämpfen, die Beine halten noch durch, aber fragt sich wie lange noch. Komm gestern war die Steigung viel länger… Ich versuche mich anzufeuern. Noch 2,5 Kilometer. Ich beschließe ab 2 Kilometern in Metern zu rechnen.
Egal ob im Sitzen oder im Wiegetritt etwas anderes als der kleinste Gang mit 34-34, eine eins zu eins Übersetzung, ist natürlich nicht drin. Manchmal habe ich das Gefühl ich bleibe gleich stehen, aber dann stehe ich auf und versuche im Wiegetritt wieder etwas Tempo aufzunehmen. Gelingt mehr schlecht als recht.
Noch 2 Kilometer, also noch 2000 Meter. Jetzt glaube ich, dass ich es schaffe. Ich zähle nun die hunderter herunter, der Schweiß rinnt mir durch das Gesicht, aber ich weiß, das ich es schaffe, noch 1600 Meter, noch 1500 Meter, und so arbeite ich mich nach oben. Ab und zu überholt mich ein Auto oder Motorradfahrer, aber bis jetzt noch kein Rennradler.
Und dann endlich endlich flacht die Straße ab. Sogar etwas früher als gedacht. Ich kann wieder etwas Trittfrequenz aufbauen und es gibt einen Hauch Erholung. Wie gut. Nochmal kommt aber dann ein steiles Stück von etwa 200 Metern Länge.
Auch das schaffe ich noch, das nahe Ziel setzt nochmal zusätzliche Kräfte frei. Die letzten hundert Meter sind dann flach, und ich erreiche tatsächlich zum zweiten Mal heute die Passhöhe. Wahnsinn!
Wieder gibt es ein Passschildfoto. Lächeln schaffe ich noch nicht, ich bin zu platt. Einen Moment bleibe ich noch auf der Passhöhe, gönne mir noch einen Kaffee, kann aber nur nippen, außer Wasser kann ich nichts trinken, wenn überhaupt.
Ich ziehe mir wieder die Jacke an und fahre dann direkt weiter in die Abfahrt hinunter nach Imst. Und schnell komme ich in den steilen Abschnitt. Die Bremse hinten quietscht und kreischt erbärmlich, muss ich heftiger Bremsen fängt sie heftig an zu vibrieren. Vorne die Bremse fängt auch an zu quietschen.
Ich halte sogar an und prüfe ob alles zumindest optisch ok ist. Das ist der Fall. Trotzdem fühlt es sich nicht gut an, wenn ich auf die Kurve zusteuere, die Bremse ziehe und es hört sich an, als ob das Teil gleich implodieren würde…
So fahre ich auch heute wieder langsamer bergab als ich es mir wünschen würde. Anyway, die Bremsen halten, wenn auch laut jammernd, durch, und ich komme heil unten in Imst wieder an.
Ein kurzer aber intensiver Radtag. Ich komme gefühlsmäßig dem Pässefahren, so wie es mich zum Schreiben des steilberghoch.com Blogs geführt hat immer näher. Ein schönes Gefühl.
Da ich auch trotz der langen Anfahrt nicht so spät gestartet bin, habe ich den Spätnachmittag noch „frei“. Zurück in Sölden lasse ich das mit dem Blogschreiben aber zunächst, der Kopf ist etwas leer, war doch sehr anstrengend. Ich ziehe allerdings endlich mal richtige Reifen auf (Conti GP5000), die Erstausrüsterreifen auf dem neuen 2900,- Euro Fahrrad sind einfach Schrott.
Zu meinem Ärger muss ich feststellen, dass der Hersteller auch bei den Bremsscheiben maximal gespart hat, und die Shimano 105 DI2 tatsächlich mit Bremsscheiben auf „Claris“ Niveau gepaart hat. Sowas macht mich wirklich sauer. Morgen werde ich mir hier noch ordentliche Bremsscheiben besorgen und hoffen, dass es dann besser wird. Vielleicht kann ich mit guten Reifen und ordentlichen Bremsscheiben ja dann bergab etwas entspannter fahren.
Für heute freue ich mich erst mal über die bisher gelungenen drei Tage auf dem Fahrrad in den Alpen. Und natürlich auf den Ruhetag morgen. Obwohl ich schon heiß bin auf den Kühtai Sattel…