Schon der 15. Tag heute. Für ein Trainingslager recht lange. Auf dem Trainingsplan stehen eigentlich nur sechs bis sieben Stunden G1. Aber ich möchte natürlich noch auf der RAAM Strecke bis Trinidad kommen, d.h. zwei Pässe deutlich über 3000 Meter Höhe sind zu überwinden. Allerdings werden die zu bewältigenden Höhenmeter überschaubar bleiben, denn wir befinden uns ja schon die ganze Zeit immer um 2000 Meter Höhe auf dem Colorado Hochplateau.
Die Schaltungsprobleme gestern und die daraus folgenden „dicken Gänge“ haben meinem rechten Knie nicht gut getan. Vielleicht mag es auch die Winterschuhe nicht, jedenfalls macht es sich etwas bemerkbar.
Muskulär bin ich noch ganz gut in Schuss, die Dosierung der Belastung hat bis jetzt wohl ganz gut gepasst. Motiviert bin ich auch noch, ich freue mich auf die Pässe und hoffe, dass sie etwas spektakulärer sind als der Wolf Creek gestern.
Aus Alamosa geht es schnurgerade aus heraus. Ich komme aber erst mal nicht weit, weil trotz Reparatur- und Schmierversuchen die Schaltung keinen Deut besser funktioniert als gestern. Irgendwann habe ich dann einen Gang drin, mit dem ich fahren kann.
Da es nur geradeaus geht komme ich erst mal zurecht. Allerdings habe ich etwas böigen Seitenwind bzw. Wind von schräg vorne. Da ich jeden Schaltvorgang vermeiden will, denn der könnte wieder auf dem 11er Ritzel enden, egal in welche Richtung ich schalte, versuche ich die Leistung durch Aufrichten und Trittfrequenzänderungen im gewünschten Trainingsbereich zu halten.
Zur Linken ist für Meilen der Mount Blanca zu sehen, der ist immerhin 14345 feet hoch, also über 4372 Meter. Er ragt recht einsam aus der Ebene (die allerdings auch schon 2300 Meter hoch ist).
Der wechselnde Wind, meist von vorne, zwingt mich dann doch dazu zu schalten, und immer wieder muss ich über die 34-11, rückwärts treten und wie wild auf den Tasten der STI-Hebel rumdrücken versuchen in einen vernünftigen Gang zu kommen. Manchmal funktioniert es aber auch gut.
Es geht geradeaus ohne Ende. Nach knapp einer Stunde platzt mir dann aber der Kragen, es wäre so easy hier zu fahren, ok der Wind nervt, aber beim Training ist mir das normal egal, aber die Schaltung bringt mich zur Weißglut. Ich fange an das Teil zu beschimpfen. Das macht es nicht besser, ich bekomme einen Wutanfall und schreie die blöde Schaltung an. Argh!!!
Es kommt die erste Kurve, und dann sogar noch eine. Marco hatte mich gerade überholt, da sehe ich in einiger Entfernung Blaulichter angehen und ein Auto wird angehalten. Hoffentlich nicht unseres. Aber es hat einen Camaro erwischt. Speeding kann es nicht gewesen sein, der Verkehr ist zwar zahlreich fließt aber recht entspannt dahin, da rast keiner.
Entspannt bin ich aber gar nicht. Ich weiß gar nicht warum ich das mit der Schaltung nicht besser ignorieren kann, aber wenn ich G1 oder G2 fahren will, will ich auch G1 oder G2 fahren und zwar mit der Trittfrequenz die ich gerade für richtig halte. Wenn dann irgendwas am Material nicht funktioniert und mich daran hindert werde ich echt wütend und dann frustriert und dann erst recht wütend.
Jetzt habe ich aber erst mal Rückenwind. Wenn ich weniger Last auf dem Antriebsstrang habe geht es meist etwas besser. Es dauert noch ca. eine viertel Stunde, dann habe ich mich einigermaßen beruhigt und kann wieder etwas die eigentlich sehr schöne Landschaft genießen.
Es geht zwar weiterhin sehr viel geradaus, die Steigungen aber bleiben sehr moderat. Bin gespannt auf den Pass.
Kilometer um Kilometer geht es dahin. Wo genau der La Veta Pass auf dieser Seite anfängt kann ich nicht sagen, aber jedenfalls steigt er so moderat, das man die Strecke gar nicht als Passstraße wahrnimmt.
Die Steigung wird immer mal durch leichtes Gefälle oder flache Strecke abgelöst. Dann kommt ein Schild mit dem Hinweis, La Veta Pass Summit 5 Miles. Ich zähle mal ab hier. Die Steigung bleibt aber immer sehr moderat. Oft um 4%, darüber hinaus praktisch gar nicht.
Der Wind kam mir bis jetzt die meiste Zeit eher von vorne entgegen, nun habe ich sogar ein paar Streckenabschnitte Rückenwind. Mit der Schaltung komme ich irgendwie hin.
Ich habe heute nochmal die GoPro am Fahrrad montiert und filme die Abfahrt. Die höchste Stelle des Passes bemerke ich erst als ich schon wieder bergab in die Abfahrt fahre. Also vor dem La Veta muss man sich nun wirklich nicht fürchten. Das klingt immer so beeindruckend, „drei Pässe über 3000 Meter Höhe“, die es beim RAAM zu überwinden gilt, aber es ist bestimmt anstrengender in Californien oder Arizona diese Wellen zu fahren, die ja teils bis 10% Steigung haben (aber selten normal nur bis ca. 6%), als den La Veta.
Anyway, im Juni werde ich vielleicht anders darüber denken. Jetzt genieße ich erst mal die Abfahrt. Ich habe heute gleich alles angezogen was ich habe, lange Hose, Winterschuhe, Jacke und lange Handschuhe. Trotzdem ist es in der Abfahrt recht frisch. Aber es geht noch, die Sonne scheint, und die Temperatur lag bis jetzt zwischen 4° und 11° C.
Der Straßenbelag ist eigentlich ok, jetzt in der Abfahrt gibt es allerdings recht große Querfugen, so dass es alle 1,5 bis 2 Radlängen einen heftigen Schlag in Rad und Körper gibt.
Nach einem etwas steileren Abschnitt mit oftmals 6% Gefälle flacht die Abfahrt ab. Obwohl es bergrunter ging musste ich ziemlich reintreten, denn teils gibt es sehr heftigen kalten Gegenwind. Im flachen Teil legt der sich aber etwas.
Nun geht es wieder recht geradeaus, die Landschaft ist aber irgendwie ziemlich interessant. Auch auf dieser Seite gibt es 4000er die aus der Umgebung herausragen.
Nach einigen Meilen biegen wir von der 160 ab. Jetzt führt die Strecke über eine Country Road, die CR 450. Der Belag ist gut, und wir fahren jetzt „von hinten“ nach La Veta herein. Dabei fährt man direkt auf die 4000er im Hintergrund zu, sehr coole Aussicht.
Dann fahren wir durch ein Gehöft. Ein Bulle steht auf der falschen Seite des Zauns direkt am Straßenrand. Um meine friedliche Absicht zu zeigen fahre ich zur Straßenmitte, er schaut mir etwas vewundert nach.
Kurz darauf haben wir die Timestation in La Veta (dem Ort) erreicht. Es ist die 19. der RAAM Route für 2014.
Nach einem kurzen Halt fahre ich gleich weiter, Marco startet etwas später. Die GPX Route und das Routebook zeigen hier eine leicht unterschiedliche Streckenführung, so komme ich sogar noch über die ganz hübsche Mainstreet des Ortes. Die Sonne wärmt jetzt wieder etwas, der Wind ist weg, ich höre sogar Vögel zwitschern, fühlt sich an wie Frühling. Allerdings bei Temperaturen nur knapp über 10° C.
Dann lande ich wieder korrekt auf der Oak Street, die dann zur SR 12 wird. Diese Straße führt über den Cuchara Pass. Mit dem Auto würde man über die 160 und dann die 87 bis Trinidad fahren. Die RAAM Routenplaner haben aber diese verkehrsärmere und schönere Strecke ausgewählt. Dumm nur, dass das Navi im Auto nichts davon weiß und Marco erst mal auf die falsche Strecke leitet.
Ich genieße derweil die wirklich traumhaft schöne Strecke in Richtung Cuchara. Noch ist der Himmel blau und die Sonne scheint. Aber in der Ferne kann man über den Berggipfeln sehen, dass sich unangenehmes Wetter zusammenbraut. Für heute war ja schon Schnee auf dem La Veta vorrausgesagt, zum Glück hat sich das aber auf heute abend verschoben. Aber vielleicht wird es auch nachmittag und es erwischt mich auf dem Cuchara Pass. Aber nicht so dramatisch Marco ist ja mit dem Begleitfahrzeug dabei, so dass ich dorthinein flüchten könnte. Wo ist eigentlich Marco?
Ich fummele das Handy aus dem Trikot unter der Jacke. Marco ist auf der 160. Er wird also nachkommen.
Die Strecke ist traumhaft schön, die noch moderate Steigung wird immer wieder durch flache Stücke abgelöst, allerdings setzt jetzt plötzlich ein kalter, heftiger Gegenwind ein. Erstmals verschwindet die Sonne hinter einer Wolke, sofort wird es deutlich kälter. Ich fahre direkt auf das schlechte Wetter zu. Hoffentlich biege ich noch vor den Wolken links ab, ich habe keine Ahnung wie die Streckenführung des Passes verläuft. Marco ist noch nicht da, ich überlege mir schon was ich bei Schneefall alleine mache, in den Bergen habe ich doch schon einige krasse Erlebnisse mit Schnee sogar mitten im Sommer gehabt.
Die Strecke ist einfach super, mittlerweile steigt sie recht konstant mit 4% oder mehr. Das ist doch eher mal eine Passstraße. Die Schaltung macht noch immer Probleme, aber ich kann einigermaßen oft erfolgreich schalten, manchmal bin ich einen Gang zu hoch oder zu tief, aber noch kann ich das ausgleichen. Ich fluche sie nur noch selten an.
Handyempfang gibt es jetzt keinen mehr, aber Marco hat mich auch schon wieder eingeholt. Und er versorgt mich dann auch gleich mit frischem Ensure. Eine Flasche hatte ich nämlich verloren als genau beim Trinken die Straße etwas anzog und ich intuitiv geschaltet habe, worauf die Schaltung mal wieder beschlossen hat, dass ich doch bitte 34-11 fahren soll…
Meistens finde ich aber gute Gänge und kurbele die Straße hoch, die jetzt in Kurven und Serpentinen durch Nadelwald mit ca. 8% Steigung nach oben führt.
Es dauert schon eine Weile bis man oben ist. Das wird beim RAAM ein hartes Stück Arbeit. Jetzt ist das ok. Die Strecke gefällt mir gut, sie ist nicht spektakulär, aber eine schöne „Scenic Mountain Road“.
Oben angekommen gibt es sogar ein Passschild, aber dafür müsste ich durch den Schnee waten. Lasse ich lieber, nasse Füße wäre blöd, es ist noch ein Stück zufahren, und mittlerweile recht kühl. Aber ich bin noch vor dem Schneefall oben angekommen. Perfekt!
Nun endlich in die Abfahrt hinunter nach Trinidad. Ich schalte die GoPro an und gebe Gas. Schon kurz darauf kommt unerwartet ein ganz ordentlicher Gegenanstieg. Peng 34-11. Mit etwas Gewalt kriege ich einen Gang rein und drücke über den Hügel drüber.
Jetzt aber Feuer, Abfahrt, Speed, Beine locker kreiseln lassen. Da kommt auch schon der nächste Gegenanstieg. Belohnt werde ich aber mit sehr interessanter Landschaft.
Die Wolken hängen jetzt tief über der Szenerie, es ist recht kühl, und immer wieder unterbrechen Steigungen die Abfahrt. Diese Steigungen sind sogar recht lang und steiler als der La Veta Pass. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. An einem weiteren Gegenanstieg gelangt man zu einem künstlichen See. Marco steht da und will gerade Fotos schießen, ich muss schalten und lande wieder bei der 34-11. Diesmal kriege ich das im Anstieg aber nicht mehr geregelt. Mit 25er Trittfrequenz ochse ich die letzten Meter hoch. Drei Meter, bis ich an Marco vorbei bin, beherrsche ich mich, dann muss ich meinem Ärger nochmal Luft machen.
Die Streckenführung um den See herum ist sehr schön, nach einer Kurve gibt es sogar Rückenwind. Dann geht es wieder berghoch und man fährt an einem zweiten, diesmal wohl natürlichen See vorbei.
Dann gibt es endlich wieder etwas mehr Abfahrt die kurzen Stücke bisher hatten recht unterschiedliche Gefälle, zwischen 2% und 11% (zweistellig wurde es nur an einer Stelle). Jetzt liegt das Gefälle so um 3%, es gibt aber ganz brauchbaren Rückenwind dazu. Eine gute Gelegenheit sich etwas zu erholen. Selbst als es flacher wird läuft es sehr gut.
Marco sagt was von 40 Kilometern die noch zu fahren sind. Ich hatte gehofft es wären deutlich weniger, habe aber heute gar keinen Überblick über die Gesamtkilometerzahl usw. Na ist halt so, dann wird es mit der Trainingszeit auch ganz gut passen.
Die Landschaft ist sehr schön und ich kann mit Rückenwind gut Meter (bzw. Meilen) machen, trotzdem fühlt es sich nicht so richtig gut an. Ich finde es schon etwas anstrengend. Fotos kann ich dann auch keine mehr machen, da die Speicherkarte voll ist. Das iPhone aus dem Trikot fummeln lohnt nicht, das kann ich mit Handschuhen eh nicht bedienen.
Nächste Ansage von Marco noch 28 Kilometer. Es kommt mir elend lange vor. Der Rückenwind hat sich jetzt erledigt, die Sonne ist wieder weg, mir ist kalt, der Wind bläst nervig von vorne oder schräg vorne, und aus der flachen, leicht abschüssigen Strecke wird wieder so ein Wellenprofil. Aber mit großen Wellen.
Immer wieder muss ich etwas klettern, vorher pokern ob ich es riskiere zu schalten. Meist klappt es jetzt, nur ab und zu muss ich mich irgendwie von der 34-11 befreien, die Schaltung leidet genauso wie ich, aber ist mir wurscht, bin Materialfahrer, meine emotionale Bindung zum Fahrrad ist gering.
Die Meilen fließen zäh dahin, die Kilometer noch viel mehr. Noch 22 Kilometer, es sieht bedrohlich nach Niederschlag aus, was wohl Schnee bedeuten würde.
Ein bisschen kann ich auch die Landschaft genießen, aber eigentlich will ich nur noch, dass es vorbei ist. Was für eine Quälerei. Immer wieder geht es mit 6% berghoch, dann wieder bergab, wieder 4% berghoch, oder doch 7,5% zur Abwechslung. Das ist der härteste Abschnitt bis jetzt. Das RAAM wird eine echte Qual. Da bin ich ja auf jeden Fall mindestens genauso platt wie jetzt, eher deutlich mehr. Außerdem hatte ich auf der Strecke bis jetzt unglaublich viel Gegenwind. Die Strecke wird prügelhart zu fahren. (Eigentlich müsste ich jetzt hier ein „ich freu mich drauf“ hinschreiben, aber im Moment kann ich das nicht mal denken…)
Noch 18 Kilometer. Man das hört echt nicht auf. Mein Füße sind kalt, die Wolken sehen so bedrohlich aus, dass es schon wieder cool ist, aber ich kann es leider nicht fotografisch festhalten, Speicherkarte voll.
Ich würde am liebsten absteigen, wie weit ist es denn noch bis zu dem blöden Trinidad? Aber egas wie elend es sich gerade anfühlt, ich werde natürlich bis zu dieser verdammen Timestation fahren. Und im Juni werde ich das genauso machen!
Marco macht mir zwar keine Ansage mehr, aber es kommt mir auch so lange vor, vor allem ist die Stadt immer noch nicht zu sehen, noch nicht mal ein Hinweisschild, nach einer weiteren nervigen Steigung fahre ich aber am „Lake Trinidad“ vorbei, so weit kann es also nicht mehr sein.
Über dem Lake Trinidad thront ein Berg mit einem sehr interessanten „Gipfel“. Er hat nämlich gar keinen, sondern drei große lange Stufen. Sieht in diesem Licht recht spektakulär aus.
Und dann tatsächlich erreiche ich die Stadtgrenze von Trinidad. Man, das wurde aber auch Zeit. Noch zwei Meilen, etwas gekurve durch die Stadt, die irgendwie wenig einladend aussieht, dann ist sie erreicht, die TS 20!
Marco nimmt mich mit dem Auto auf und wir suchen ein Motel, heute hätte ich gerne ein richtig geiles Zimmer. Egal was es kostet. Aber wir finden nur recht abgerissene Motels. Die ganze Stadt sieht ziemlich heruntergekommen aus. Viele leerstehende Geschäfte. Krass! Wir nehmen das kleinste Übel von Motel, es kostet auch nur $57.
Irgendwie ein harter Tag. Marco ist genauso platt wie ich. 15 Tage am Stück durch die USA ist anstrengend, ob mit dem Auto oder mit dem Fahrrad. Zum Glück dauert es im Juni ja maximal 12 Tage 😉
Trotz aller Widrigkeiten konnte ich aber doch noch ein ganz brauchbares Training hinlegen. Morgen stehen nochmal fünf Stunden G1 ausrollen auf dem Programm. Aber das Wetter wird es kaum zulassen. Außerdem habe ich keine Idee wie ich auf diesem Gelände und mit dieser Schaltung „G1 rollen“ soll. Mal schauen.