Am liebsten würde ich noch eine Weile hier in Heiligenblut in der Sonne sitzen. Aber es ist schon ganz schön warm geworden, und da ich nicht völlig in die Mittagshitze fahren möchte, damit ich im unteren eher warmen Teil des Anstiegs nicht so leiden muss, raffe ich mich auf und steige auf’s Rad.
Während meiner kurzen Pause am Kilometer 48 der Hochalpenstraße, konnte ich die ganze Zeit auf die Steile Rampe am Einstieg der Strecke blicken. Jetzt, auf dem Rad, kann ich sie in vollen Zügen „genießen“.
Es geht zunächst tatsächlich ganz gut. Die Beine machen noch immer mit. Allerdings weiß der Kopf, dass jetzt erst mal ohne Ende und ohne Pause steile Kilometer folgen. Daher setze ich mir als Teilziel den flachen Abschnitt hinter der Mautstation. Bis dahin will ich auf jeden Fall kommen.
Trotz der 12% Steigung kann ich die immer wieder schöne Aussicht ins Tal genießen, und es gelingt mir sogar das ein oder andere Foto.
Den englischen Reiseradler, mit dem ich mich vorhin, während der kurzen Pause, etwas unterhalten habe, hole ich recht schnell ein. Wahrscheinlich ist der fitter als ich, aber er muss natürlich sein ganzes Gepäck den Berg hochschleppen. Mit kleiner Untersetztung an seinem Randonneur kurbelt er den Berg hoch, wir grüßen uns nochmal, dann fahre ich zügig vorbei.
Die Rampe endet, aber die Steigung nicht. Auch im nun folgenden kurvigen Abschnitt bleibt sie bei 12%. Ich weiß nicht warum das außer mir anscheinend keiner so empfindet, aber diese Seite der Hochalpenstraße ist schwerer zu fahren als die Seite von Bruck aus. Auch wenn sie kürzer ist und weniger Höhenmeter hat. Alle meine Anstiege von dieser Seite waren Quälerei. Selbst beim Glocknerman 2016 ist mir der zweite Glocknerstraßenanstieg von Fusch aus leichter gefallen, trotz Hitze und einigen hundert Kilometern Anfahrt.
Nach drei Kilometern steilberghoch habe ich mich etwas an die Steigung gewöhnt. Ich kann einen Rennradler überholen. Und einen Kilometer weiter lässt die Steigung tatsächlich mal etwas nach. Hier quert eine Seilbahn die Straße. Doch kurz darauf zieht die Steigung wieder an auf 12%.
Nach meinen Berechnungen müsste der erste Teil der Steigung ca. 6 Kilometer lang sein, dann die kurze Zwischenabfahrt folgen, bevor es schließlich in den brutalen Schlussanstieg geht. Also noch zwei Kilometerchen bis es flach wird. Aber es sind zwei extrem lange Kilometer. Hundert Meter um hundert Meter zähle ich runter, mittlerweile ist es heiß geworden, der Radcomputer zeigt in der Sonne hier auf dem Rad schon wieder deutlich über 30° C an. Gibt’s doch nicht, ich hoffe oben ist es dann auch wirklich wieder kühler.
Ich arbeite mich weitere hundert Meter voran, es gelingt mir noch nicht in den meditativen Zustand zu gelangen. Die Mautstation passiere ich, auch auf dieser Seite gibt es so ein dämliches Gatter für Radfahrer, ich ignoriere es und fahre dran vorbei.
Schließlich habe ich fast die 6 Kilometer Marke erreicht, kann aber immer noch nicht sehen, dass die Steigung bald nachlässt. Dann kommt aber endlich die Käserei in Sicht. Noch ärgert mich die Straße mit 12%, praktisch bis zum zunächst höchsten Punkt, aber dann wird es endlich flach, bzw. geht sogar direkt etwas bergab.
Endlich, durchatmen, es folgen zwei Kilometer auf dem großen Kettenblatt, ich versuche etwas die Erschöpfung abzubauen, die Temperatur ist wieder gesunken auf gut 25° C, zum Glück. Eigentlich wollte ich hier ein Stück Riegel essen um nochmal KH nachzuladen für den brutalen Schlussanstieg, vergesse es aber.
Am Kreisel angekommen biege ich ab in Richtung Hochtor. Nun klappt die Straße nach oben, die Steigung zieht brutal an auf 15%. Ich weiß, angeblich hat die Straße auch auf dieser Seite nur maximal 12%, das stimmt aber mit Sicherheit nicht. Ich bin hier schon oft gefahren mit unterschiedlichen Radcomputern und damit Höhenmessern, und ich habe es wirklich einigermaßen im Gefühl ob etws 9%, 12% oder 15% steil ist. Und das hier sind 12% mit Abschnitten die 14 oder auch15% erreichen.
Ich denke genau darüber beim Fahren nach, komme eigentlich auch ganz ordentlich vorwärts und freue mich auf die folgende Kehre. Auch hier steigt die Straße mit 12% Steigung, bietet aber schöne Ausblicke ins Tal und zurück auf die fiese Gerade. Fotos kann ich jetzt aber keine mehr machen. Ich habe ca. 8 Kilometer zurückgelegt und weiß, dass jetzt 7 beinharte weitere Kilometer folgen in denen es keinerlei Entlastung gibt, die Steigung praktisch immer über 10% liegt, meist bei 12%.
Ich kämpfe mich nach oben, immer wieder mal sind andere Radfahrer anzutreffen, ich bin tatsächlich etwas schneller. Oder besser gesagt, einen Hauch weniger langsam. Denn ich muss hart arbeiten für jede hundert Meter. Dabei haben sich über den heutigen Tag ja auch schon über 2000 Höhenmeter in den Beinen angesammelt, und über die Woche mehr als 10000. Dafür läuft es noch ok. Allerdings operiere ich an der Grenze. Beim Wechsel in den Wiegetritt kann ich nicht mehr hochschalten, ich kann nur etwas Trittfrequenz aufnehmen, die teils nur noch um die 60 pendelt.
Während die ersten zwei Kilometer des Schlussanstiegs noch halbwegs normal schnell vorbeigehen, zieht sich Kilometer drei und vor allem Kilometer vier gefühlt elend lange. An der Strecke gibt es neben immer wieder kleine Haltebuchten, die die Radfahrer zum Absteigen und Pausieren verführen möchten, aber nicht mit mir. Dieses Miststück von Berg wird mich nicht kleinkriegen.
Manchmal denke ich an solchen Stellen daran mein Blog von steilberghoch.com in flach-ist-super.com umzubenennen. Diesmal aber nicht. Mein Potential zu denken nimmt ab. Es gibt nur noch die steile Strecke und mich. Nicht nachgeben!
Bevor es in den serpentinenreichen Endabschnitt geht laufe ich nochmal auf eine Gruppe Rennradler auf. Erst komme ich näher, dann wieder nicht, die Aussicht auf einen Überholvorgang zieht mich berghoch. Dann lassen die sich aber von einer der Haltebuchten einsaugen und bleiben stehen.
Ich kurbel weiter, und arbeite mich jetzt Serpentine für Serpentine nach oben. Die Beine geben nicht nach, der Kopf hat aber genug, und ich brülle den blöden Berg an, erkläre ihm was für ein Miststück er ist. Hinterhältig ist er, es sieht gar nicht so böse steil aus, und ist es doch, unbarmherzig ohne Entlastung.
In den Kehren gibt es tatsächlich eine Millisekunde Entlastung. Noch gut ein Kilometer. Noch 1000 frickin Meter! Ich weiß jetzt, dass ich es schaffe. Ich weiß aber auch, dass die Steigung nicht nachlässt bis ganz oben hin. Egal, das nahende Ziel setzt nochmal Kräfte frei, nicht sonderlich elegant, sondern eher am Limit kämpfend komme ich oben an. Aber ich komme oben an. Fantastisch, ich habe es geschafft. Es hat anderthalb Stunden gedauert (1:33 h), aber dann ist der Anstieg bewältigt, der Berg besiegt.
Natürlich gibt es ein Passschildfoto am Hochtor. Ich halte mich aber nicht lange auf, sondern fahre weiter, durch den Tunnel und dann zunächst bergab bis zur Fuscher Lacke. Die Abfahrt ist eigentlich ganz schön, die Hinterradbremse immer noch etwas laut, aber es tut gut den Berg runterzurollen. So kann ich etwas Kräfte sammeln für den Gegenanstieg hinauf zum Fuscher Törl.
Als ich in den Anstieg hineinfahre, habe ich kurz das Gefühlt, dass die Oberschenkel zumachen könnten, aber nach ein paar hundert Metern bergauf gibt sich das. Ich kann nochmal einen ganz guten Tritt finden, und meditiere mich den Rest der Steigung hinauf. Am Fuscher Törl angekommen halte ich an, steige vom Rad und genieße etwas die Aussicht.
Ich überlege kurz ob ich heute die Edelweißspitze auch noch mitnehmen soll. Aber ich glaube die Beine haben eigentlich genug. So fahre ich nach der kurzen Pause direkt in die Abfahrt und erspare mir die paar Kilometer auf Kopfsteinpflaster steilberghoch zum höchsten Punkt der Großglockner Hochalpenstraße. Das mache ich dann morgen.
In der Abfahrt bleibe ich in den Kehren oben hinter einem holländischen SUV hängen, auf Grund des hohen Verkehrsaufkommens scheitern meine Überholversuche. Mit meinem Cannondale SuperSix Evo von 2012 hätte ich locker überholen können, aber mit dem Cube habe ich einfach kein Vertrauen, es ist nur ein Gefühl, aber die Bremsen sind selbst mit den teuren, sehr guten Bremsscheiben nicht auf dem Niveau wie die Tiagra Scheibenbremsen an meinem Alu Gravelbike.
Ich fürchte es liegt nicht an der Schaltung oder den Bremsscheiben, sondern irgendwie am Rahmen (eher unwahrscheinlich) oder an den Laufrädern. Anyway, ich rolle eher entspannt bergab, überhole nicht, muss aber natürlich an den steilen Abschnitten immer wieder kräftig bremsen um dann die Kurve oder Kehre zu nehmen.
Die Hinterradbremse bleibt sehr laut. Am Ende einer Geraden gibt es dann beim Bremsvorgang aus 60 km/h zu dem Gejaule der Bremsen noch ein Pling oder Peng Geräusch. Ich erschrecke mich etwas, das Fahrrad fährt aber erst mal normal weiter. Die Bremsen hinten sind jetzt erst mal deutlich leiser. Was war das denn?
Keine Ahnung. Das Fahrrad fährt normal, es bremst, wohl alles ok. Ich wünsche mir gerade mein SuperSix Evo herbei, mit dem könnte ich die Abfahrt in vollen Zügen genießen, auf meinem Cube Agree C:62 habe ich kein Vertrauen mehr. Die Reifen haben zwar eine Menge gebracht, aber insgesamt ist das Fahrrad eine Gurke. Vielleicht hätte ich gleich noch vernünftige Laufräder dazu kaufen sollen…
Aber sollten bei einem Rennrad für 2900,- Euro nicht alle Komponenten tauglich sein, und nicht erst ausgetauscht werde müssen, damit man ordentlich berghoch und bergrunter fahren kann?!
Ich erreiche schließlich das Kraftwerk Bärenwerk, ab hier muss ich ordentlich mittreten um das Tempo zu halten. Es ist angenehm warm, die Beine funktionieren noch gut. Die Strecke zieht sich dann gefühlt doch etwas lange bis Bruck, auch wenn es Spaß macht. Zum Schluss geht mir aber mental die Energie etwas aus, ich freue mich auf das Hotel.
In Bruck steige ich erschöpft, aber glücklich über den gelungenen Tag, vom Rad. Beide Anstiege der Großglockner Hochalpenstraße bewältigt, das macht mich sehr zufrieden.
Bein Absteigen vom Rad stelle ich allerdings fest, dass das Geräusch von vorhin eine gerissene Speiche am Hinterrad war. Unfassbar was für eine erbärmliche Qualität Cube hier auf ein 3000 Euro Rad schraubt. Die Reifen einfach nur ganz billige unangemessene Drahtreifen, die würde ich nicht mal auf mein Stadtrad schrauben, die Bremsscheiben auf Claris Niveau, unfassbar, und die Laufräder haben genau eine Woche Benutzung ausgehalten. Really!
Sorry Cube, aber dieses Agree C:62 hätte ein zwar schweres und eher träges aber brauchbares Rennrad sein können. Aber nur Billigteile daran zu schrauben und den Kunden so über den Tisch zu ziehen, ich bin wirklich auf hundertachtzig. Schließlich geht es bei Bremsscheiben und Laufrädern und natürlich auch bei den Reifen um sicherheitsrelevante Bauteile.
Ich muss sofort aufhören zu schreiben, sonst komme ich wieder in Rage… Durchatmen, froh sein, dass das Materialversagen nicht zum Sturz geführt hat. Wenn ich zu Hause bin reklamieren. Ich bin sehr gespannt was Cube dazu zu sagen hat…