Die Nacht war nicht gut, ich wache früh auf. Jetzt ist es endgültig genug, ich gebe auf. Ich werde heute nicht die Dreistundenmarke für den Pico Veleta angreifen. Ich bin
nicht fit, und kann sie somit eh kaum erreichen. Ich wiege auch noch mehr als seit Wochen, ich habe hier zwei Kilo zugenommen, und das ist bestimmt keine Beinmuskulatur…
Laut Wettervorhersage gibt es noch einen schönen Tag. Laut mountain-forcast.com ist heute windmäßig der beste Tag. Ich kann also auch nicht auf morgen verschieben, da wird es bedeutend schlechter, mit starkem Wind und Regen, evtl. oben Schnee. Mein gestern gebuchter Verlängerungstag hier ist also eigentlich sinnlos.
Ich gebe auf, die kleinen Biester haben gewonnen, ich werde abbrechen und dann morgen nach Hause fahren.
Diesen einen schönen Tag will ich aber noch nutzen um den Calar Alto zu fahren. Zwar ist das logistisch Unsinn 150 Kilometer in Richtung Heimat und wieder zurück zu fahren,
aber ist mir egal.
Ich gehe früh zum Frühstück, esse halbwegs normal, packe mein Fahrrad ins Auto und fahre in Richtung Gergal. Allerdings stehe ich zu bester Rushhour Zeit erst mal im Stau
bis ich aus Granada rauskomme. Kurz überlege ich noch das offensichtlich sehr gute Wetter doch für einen Aufstieg auf den Veleta zu nutzen und umzukehren, aber mein Körper würde sich am liebsten ins Bett legen.
Dann ist die Autobahn allerdings so leer wie gewohnt und um ca. halb zehn habe ich mein Ziel Gergal erreicht. Von hier soll es einen Aufstieg geben und einen von Aulago auf der anderen Seite. Ich möchte gerne beide Seiten fahren. Ein Parkplatz für das Auto ist schnell gefunden.
Auf der Fahrt hierher hatte sich durch die großen Windparks schon angedeutet, was sich jetzt bestätigt, hier ist es richtig windig. Viel mehr als in Granada. Anyway, die Anstiege zum Calar Alto sahen im Höhenprofil, das ich im Web gefunden hatte, eher nicht so anspruchsvoll aus. Da sollte das kein Problem sein.
Ein Problem ist es allerdings den Beginn des Anstiegs zu finden. Ausgeschildert ist natürlich nichts. Tourismus gibt es in Gergal nicht, dementsprechend auch keine Infos.
So frage ich an der Bar im Zentrum ein paar Leute die davor stehen.
Es ist recht einfach meine Frage verständlich zu machen, trotz meines absenten Spanisch. Aber die Antwort zu verstehen, dass ist die Schwierigkeit.
Wortreich erklärt mir der nette Herr, was zu tun ist. Folgendes verstehe ich. Es geht unbedingt in diese Richtung (Richtung Granada zum Ortsausgang), es geht dann berghoch,
berghoch, berghoch, und man kann mit dem Fahrrad da nicht fahren.
Hm, vielleicht meint er, dass das zu anstrengend wäre, solche Äußerungen kenne ich ja schon. Also fahre ich in die besagte Richtung, komme dabei sogar am etwas verlassen wirkenden Calar Alto Visitor Center vorbei und dann gibt es nur eine Straße, die gleich berghoch geht. Am Kreisel geht es auf die Autobahn, die ist nun mal für Fahrräder verboten. Da ist auch Aulago ausgeschildert, die andere Seite des Anstiegs, aber eben nicht über Calar Alto, sondern offensichtlich über die A-92. Mist.
Also fahre ich zurück zu der Straße am Ortsausgang, die hoch zur Burg führt. Berghoch, berghoch, berghoch stimmt hier jedenfalls. Also wird schon. Die Strecke schraubt sich recht schnell mit ordentlicher Steigung nach oben. Der Asphalt ist gut und recht schnell wird die Landschaft sehr beeindruckend. Da auch die Beine erstaunlicherweise ganz gut funktionieren hellt sich meine Laune auf.
Und als dann das Castillo passiert ist, und sich tatsächlich der erste Blick auf das Teleskop am Calar Alto auftut, bin ich recht froh gestimmt. Zwar erscheint mir das Ziel
recht weit weg, aber in den Bergen führen die Straßen ja oft windungsreich durch verschiedene Täler, und manchmal scheinbar erst mal vom Ziel weg, so dass das nicht ungewöhnlich ist.
Die Straße ist wie gesagt zunächst sehr gut. In Las Aneas springt dann plötzlich ein Hund auf die Straße, bellt bösartig und verfolgt mich. Zum Glück bellt er aber nur und gibt die Verfolgung dann auf. Kurzzeitig hat mich das aber doch ordentlich beschleunigt…
Dann wird der Asphalt etwas rauer, bzw. besteht aus festgefahrenem Rollsplit. Geht aber noch. Die Streckenführung ist schön, die Ausblicke sehr idyllisch, eine Ruhe ist hier, fast wie an der Höga Kusten.
Nach ca. sieben Kilometern kommt eine Abzweigung in ein verfallenes Dorf und die Straße geht steil berghoch. Dann kommt eine ebenso steile kleine Abfahrt, und nach der
Kurve kann ich gerade noch bremsen bevor ich im Schotter stehe. Die Straße ist einfach zu Ende. Zwar kann ich das Ziel sehen, aber hier kann man höchsten noch mit dem MTB fahren. Also dass war dann offensichtlich die falsche Straße. Auch wenn es die einzige war.
Ich kehre um, schaue ob ich vielleicht doch durch dieses verfallene Dorf hätte fahren müssen, aber hier gibt’s keinen Weg. Das ist eine Sackgasse.
So fahre ich die zweifelsohne schöne, doch leider falsche Strecke wieder zurück. Ich stecke meinen Misserfolg eigentlich ganz gut weg. Genervt bin ich dann allerdings, nachdem ich, zurück in Gergal, mein Fahrrad wieder ins Auto gepackt habe, und auch mit dem Auto keinen Anstieg nach Calar Alto finde. Zu allem Überfluss ist auch noch das Benzin alle, und ich steuere die Tankstelle an. Dort frage ich nochmal, der Tankwart zeigt auf die Autobahn in Richtung Granada und ich verstehe irgendwie „nächste
Abfahrt“.
Also kein Radweg von Gergal aus. Komisch das Kaff soll doch der Startort für eine der Strecken sein. Also fahre ich mit dem Auto zurück in Richtung Granada, und an der
nächsten Ausfahrt ist es augeschildert, Calar Alto und auch Aulago.
Aha, also fahre ich nach Aulago, dem anderen Startpunkt und sehe dann wo ich auf der anderen Seite lande. Die Gegend hier ist vorsichtig gesagt eher karg. Der Wind bläst
heftig, wie ich sogar aus dem Auto heraus wahrnehme.
Gleich an der Ausfahrt beginnt die AL-4404 mit Kilometer Null. Das sieht nach einem guten Startpunkt aus, aber die Strecke beginnt ja erst in Aulago.
Es geht nach drei vier Kilometern gleich ordentlich berghoch, hm, seltsam. Dann kommt ein Schild Aulago, aber das liegt ja irgendwie schon mitten im Berg? Oder ist das nicht der Ort, und ich muss noch weiterfahren. Oder ist das schon die Strecke, das wäre ja das schlimmste überhaupt mit dem Auto den Anstieg hochgurken, und dann auch noch bevor ich ihn mit dem Fahrrad gefahren bin! Jetzt bin ich elend genervt. Keine Ahnung wo hier was anfängt, was stand da nur für eine Scheiße im Web. Und ich gurke
hier den Berg hoch, es gibt keine Gelegenheit zu drehen, ich werde total wütend, am liebsten würde ich das verdammte Auto einfach die Schlucht runterstürzen, was für ein verdammter Scheißtag, was für eine verdammte Woche, ein ganzes Jahr habe ich diesen paar Tagen entgegengefiebert, und jetzt läuft irgendwie gar nichts. Ich schreie so laut ich kann mein Auto, den Berg, die verdammte Erkältung, einfach alles an. Jetzt tut mir der Hals so richtig weh. Ich bleibe stehen, fahre verzweifelt weiter und an einem kleinen Feldweg kann ich dann endlich drehen.
Ich fahre zurück, wahrscheinlich ist das der Anstieg, und wenn nicht, dann ist es eben ein anderer. Mit dem Auto fahre ich keinen Meter mehr berghoch, der blöde Calar Alto kann mich mal. Frust pur. Blanke Nerven. Was tun?
Ich fahre zurück, bis zum Kilometer Null, stelle mein Auto an den Straßenrand und lade mein Fahrrad aus. Ruhig bleiben, der Berg wehrt sich manchmal, aber bis jetzt habe ich
noch jeden gefunden, und bin auch jeden hochgekommen. Ruhig bleiben, ruhig bleiben, ruhig bleiben. Berghoch fahren, berghoch fahren, berghoch fahren.
Jetzt auf dem Fahrrad bläst mir erst mal der Wind so richtig entgegen. Obwohl es kaum bergauf geht muss ich mich schon richtig anstrengen.
Es geht durch die karge steinige Landschaft, die offensichtlich trotzdem ausgiebig landwirtschaftlich genutzt wird. Auch die berüchtigten riesiegen mit Plastikplanen überdachten „Gewächshäuser“ gibt es hier.
Dann geht es bergauf. Die Strecke vorher schon mit dem Auto gefahren zu sein ist widerlich, ich versuche das Gefühl zu verdrängen, was auch ganz gut gelingt, die Steigung und der Wind fordern meine ganze Energie.
Dann beruhige ich mich aber langsam, der Wind hilft erst mal und schiebt mich ganz gut bergauf, die Landschaft ist zwar rauh, aber doch beeindruckend. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, eigentlich kann ich mich nicht beschweren.
Schon nach Kilometer 5 bietet sich der erste schöne Blick zurück, und dann komme ich auch schon an Aulago vorbei, offensichtlich tatsächlich dieses kleine, weiße Dorf, das da ans Ende des Tals geschmiegt ist.
Anyway, ich fahre weiter. Dann kommt ein Schild Calar Alto Abierto, ich nehme mal an, dass heißt geöffnet. So falsch kann ich hier nun wirklich nicht sein.
Die Steigung zieht zwischendurch immer mal ordentlich an, lässt dann aber auch ein paar Meter zum verschnaufen. Die 200 extra Höhenmeter von vorhin waren also ein gutes Aufwärmtraining, die Beine funktionieren. Der Puls ist so niedrig wie gestern. Sieht etwas strange aus auf der Anzeige, aber ich fühle mich wohl.
Auch der Kopf kommt mehr und mehr zur Ruhe, noch ist nicht aller Frust, der sich über die letzten Tage angestaut hat gänzlich abgebaut, aber mit jedem Höhenmeter wird es
besser.
Neben schönen Blicken zurück nach unten kann man auch meist sehr weit nach oben schauen. Und da die Straße doch recht kurvenarm am Berg verläuft hat das so einen Timmelsjocheffekt, die langen Geraden zwischen den oberen Kehren zehren dort ganz schön an der mentalen Stärke des Kletterers, auf jeden Fall im Rahmen des Ötztaler Radmarathons.
Allerdings fühle ich mich noch gut, und die Steigung bleibt meist im Rahmen, will heißen so um 8%. Manchmal wird’s auch zweistellig, dann aber meist mit Rückenwind. Sehr gut.
Die Strecke ist mal was völlig anderes, so was gibt es in den Alpen nicht. Dieses Neue tut mir richtig gut. Immer wieder den Pico Veleta hochzufahren wird zwar nicht langweilig, bringt aber keine neuen Eindrücke wenn man die Strecke schon kennt.
Vom Anspruch braucht sich die Strecke nicht hinter einem richtigen Alpenpass zu verstecken. Zwischendurch stand mal was von 13% auf dem Garmin, also ordentlich zweistellig werden die Steigungsprozente zwischendurch schon.
Dann kommt aber auch wieder ein flacheres Stück, oder gar eine Zwischenabfahrt.
Das Ziel Calar Alto ist übrigens auch nach 16 Kilometern nicht zu sehen.
Aber es geht ordentlich berghoch, die Beine funktionieren gut, auch wenn es anstrengend ist. Die Ausblicke sind mittlerweile fantastisch. Es war die richtige Entscheidung diesen einen, noch schönen Tag zu nutzen um hier hochzufahren. Weder Pico Veleta noch Regenerationstag wären eine befriedigende Alternative gewesen.
So langsam bekomme ich recht gute Laune. Und dann nach knapp zwanzig Kilometern kommt erstmals das Ziel in Sicht. Ist aber noch ganz schön weit weg. Ich glaube laut climbbybike.com noch ca. zehn Kilometer! Aber ich weiß ja nicht mal genau welchen Anstieg ich eigentlich gerade fahre. Aulago oder Gergal? Oder einen ganz anderen?
Anyway, jetzt erreiche ich die Waldgrenze, aber von unten. Das hatte ich auch noch nicht, unten kahle Landschaft, nur Gräser und dann oben fahre ich plötzlich durch den Wald. Und außerdem fahre ich erst mal richtungsmäßig vom Ziel wieder weg.
Es gibt jetzt einige etwas flachere Passagen, dann zieht die Steigung aber wieder an. Auf der gesamten Strecke ist mir bis jetzt ein einziges Auto begegnet. Und genau das kommt jetzt auch wieder von unten hoch und überholt mich. Sonst war ich komplett alleine. Kein Auto, kein Radfahrer, nichts. Fühlt sich recht einsam an.
Ich fahre an einem Schild vorbei, da steht was von Calar Alto drauf, und jetzt geht es auch in die richtige Richtung. Allerdings zieht sich die Strecke noch ganz schön. Jedesmal wenn ich denke, jetzt müssten aber bald die Teleskope kommen, kommt nur ein langes Asphaltband. Wird wohl doch die Aulago Strecke mit ihren 29 Kilometern sein.
Die Leistung ist immer noch gut, ich hole nicht das letzte aus mir heraus, aber den erhofften Schongang kann ich auch nicht einlegen, dafür ist die Strecke zu anspruchsvoll und zu windig.
24 Kilometer, noch immer kein Teleskop zu sehen, 25 Kilometer, nur Wald, kein Teleskop. Jetzt könnte das Ding aber langsam kommen. Ich lege nochmal eine Schippe drauf, denn die Uhr läuft stark auf die Zweistundenmarke zu, die will ich dann doch nicht überbieten.
Dann ist die Speicherkarte schon wieder voll. Habe ich gestern vergessen zu löschen. Wie gut, dass das nicht vorhin passiert ist, da hätte ich den Fotoapparat bestimmt in den Wald geflammt. Also das Handy rausgekramt. Geht auch.
Dann endlich eine der Kuppeln in Sicht. Aber so leicht lässt sich der Berg noch nicht erobern. Es gibt nochmal eine Zwischenabfahrt und dann geht es wieder in die Steigung.
Aber das ist dann wirklich die letzte und ich erreiche den höchsten Punkt. Geschafft.
Schild steht hier keines, ist mir aber egal. Ich fahre noch ein paar Meter höher zu einem der Teleskope und mache das Foto an einem kleinen Denkmal.
War ganz schön anstrengend. Und kalt ist es hier oben, der Wind bläst gut über die Kuppe. Im Anstieg bin ich, trotz der eigentlich moderaten Temperaturen und dem teils kühlenden Wind, doch gut ins Schwitzen gekommen.
So fahre ich kurz zurück für ein Foto zu einem Schild auf dem die Anlage erläutert ist, ziehe meine Abfahrtsjacke und die Unterhelmmütze an und mache mich in die Abfahrt auf der anderen Seite. Bin mal gespannt wo ich da rauskomme. Gergal? Und wenn
ja, wo sollte ich denn da ankommen, denn da gab es ja kein Schild, das auf eine Auffahrt hierher hingedeutet hätte, und der Einheimische kannte auch nur die Strecke, welche ich gerade hochgekommen bin.
In der Abfahrt will ich eigentlich auf das Fotografieren verzichten, aber zunächst muss ich doch zwei, dreimal anhalten. Die Ausblicke sind einfach zu gut.
Nach knapp drei Kilometern komme ich an eine Kreuzung. Und da steht tatsächlich mal ein Schild. Und zwar eines nach Gergal. Aber auch eines nach Seron. Und wie ich dann
feststelle, ist diese Kreuzung eigentlich eine Art Passhöhe des Venta Luisa, laut Schild auf 1970 Metern Höhe.
Das heißt natürlich, es muss noch eine dritte Auffahrt geben. Von der habe ich zwar nichts im Web gefunden, aber offensichtlich kann man hier von zwei Seiten auf die
Passhöhe zum Venta Luisa fahren und dann zum Calar Alto abbiegen. Einmal von Gergal und einmal von Seron.
Ich fahre jedenfalls erst mal nach Gergal. Die Abfahrt ist jetzt wirklich super, der Asphalt ist klasse, die Kurven meist sanft, der Verkehr praktisch nicht vorhanden.
Einen Fotostopp mache ich doch, an einer besonders schönen Stelle, und noch einen weiteren an einer Kreuzung zur Dokumentation. Sonst genieße ich einfach die Abfahrt. Mir kommt es so vor, als ob die Strecke steiler wäre als die andere Seite. Wäre logisch, denn sie ist auch etwas kürzer.
Mittlerweile ist es so kurz nach zwei Uhr. Hoffentlich bekomme ich in Gergal was zu essen, das könnte knapp werden. Ich hatte im Aufstieg nichts gegessen. Nur am Start
einen Tankstellenriegel. Das war ok, aber jetzt habe ich Hunger und Durst. Es ist auch ordentlich warm, bzw. heiß geworden, so um die 30° C.
Ich komme übrigens genau am anderen Ende des Dorfes, also in Richtung Almeria, an einem Kreisel heraus. Von Calar Alto steht da nix, einzig Seron ist ausgeschildert, kein Wunder, dass ich das ohne Info nicht gefunden habe.
An der Taberna, an der ich heute morgen gefragt habe mache ich halt, stelle mein Fahrrad ab und gehe erst mal in den kühlen Schatten. Ich bestelle vier Tapas, Aqua naturale und natürlich einen Cafe con leche. Ungefragt bekomme ich eine 1,5 Liter Flasche vom Aqua naturale, offensichtlich sieht man mir an, dass ich durstig bin.
Die Tapas sind sehr lecker, und nach einem weiteren Cafe und einem Muffin (habe das spanische Wort dafür nicht verstanden) ruhe ich noch etwas. Die Taberna scheint das einzige Lokal im Dorf zu sein, und, direkt am Dorfplatz, sowas wie der Mittelpunkt. Gegenüber sitzen ein paar Männer im Schatten, im Lokal wird an der Theke heftig und laut diskutiert, und ab und zu kommt einer vorbei, schaut mal kurz rein und geht dann wieder.
Ich befürchte zunächst durch das Tanken heute morgen zu wenig Geld dabei zu haben, aber alles zusammen kostet 8 Euro (in Worten acht). Das hätte ich zuhause fast alleine für die zwei Cafes bezahlt.
Dann geht es bei glühender Sonne zurück in den Aufstieg. Ich schaue mir noch etwas das Dorf an, wirkt recht idyllisch, kein Wunder, dass es hier kein über das Internet buchbares Hotel gibt.
Über eine malerisch Brücke an einer Gruppe moderner Reihenhäuser vorbei geht es dann in den Kreisel am Ortsausgang in den Beginn des Anstiegs. Ich folge dem Schild nach Seron.
Der Anstieg ist ca. 22,5 Kilometer lang. Die Sonne brennt jetzt ordentlich, aber das Essen und Pausieren hat gut getan. Die Beine funktionieren gleich ganz ordentlich. Der
Puls ist immer noch recht niedrig, aber im Verhältnis zur getretenen Leistung höher als beim ersten Anstieg.
Aus dem Ort raus zieht die Steigung gleich auf 9 bis 10% an. Die Landschaft ist in Nuancen anders als beim Anstieg von der Aulago Seite, kein Idyll und doch auch
idyllisch. Auch hier ist es windig, natürlich bläst mir der Wind entgegen…
Trotz der ordentlichen Steigung komme ich ganz gut voran, komme recht schnell in diesen Zustand des Kletterns, der sich so vom Fahren unterscheidet. Die Gedanken sind am Arbeiten, aber nicht so negativ wie zunächst heute morgen und auch einige male in den letzten Tagen. Im Gegenteil. Ich muss mich auch nicht „frei fahren“. So hatte ich mir das eigentlich für die ganze Woche in Granada vorgestellt.
So vergehen die ersten gut viereinhalb Kilometer bis zum Abzweig in Richtung Seron und damit hinauf zum Calar Alto, recht schnell. Vor allem gibt es nach der doch soliden Steigung eine kleine Zwischenabfahrt zum Erholen.
Die Steigung wechselt jetzt zunächst mal öfters zwischen zweistelligen Steigungsprozenten bis 13% und eher moderaten 7 bis 8% ab. Dabei habe ich je nach Richtung entweder Seiten- oder Gegenwind. Die Sonne knallt ganz ordentlich, aber die Beine funktionieren.
Die A-1148 auf der ich fahre hat einen wirklich guten Straßenbelag. Der sticht recht deutlich ab von dem steinigen Boden rechts und links. Trotzdem scheint jeder Quadratmeter kultiviert und land- oder forstwirtschaftlich genutzt zu sein.
Die Steigung lässt zwar anfangs immer mal etwas nach, aber die ca. 11% Stücke sind doch ganz schön lang. Diese Seite des Anstiegs ist nochmal anspruchsvoller als die andere von Aulago. Natürlich habe ich schon ein paar Höhenmeter heute in den Beinen, und auch in den letzten acht Tagen insgesamt sind einige tausend Höhenmeter zusammengekommen.
Aber dafür funktionieren die Beine immer noch erstaunlich gut. Anstrengend ist es trotzdem, und zwar richtig.
Die Landschaft verändert sich immer etwas, aber die Streckenabschnitte mit zweistelligen Steigungsprozenten scheinen unabhängig davon immer länger zu werden.
Noch genieße ich die Landschaft trotz der Anstrengung, aber ich freue mich schon über Gegenwind bei entsprechender Richtung der Straße, da der doch einen kühlenden Effekt hat.
Der Anstieg kommt mir sehr lange vor. Noch bin ich weit vom Ziel entfernt, aber dann kann man es kurz in der Ferne aufblitzen sehen.
Die Straße hat mittlerweile Glocknerstraßenniveau. Über mehrere Kilometer am Stück bleibt sie über 10%. Das hat auf dem Streckenprofil, dass ich im Web gefunden hatte aber ganz anders ausgesehen. Ich glaube nicht, dass das diese Straße hier war!
Hier verlasse ich die Baumgrenze „richtig herum“, Schatten haben die Bäume eh nicht gespendet, trotzdem wirkt es als würde die Sonne jetzt noch unbarmherziger knallen. Dafür bieten sich nun immer wieder herrliche Ausblicke weit über das Land.
Auch jetzt gibt es nur wenige Stellen zum Verschaufen, ich ackere mich Kurve um Kurve nach oben. Da der Wind gerne mal von vorne kommt, muss ich auch an den 8% Stellen im kleinsten Gang 300 Watt für eine 80er Trittfrequenz treten.
Und obwohl es wirklich sehr anstrengend ist, und ich inständig hoffe, dass ich bald oben bin macht es richtig Spaß. Das ist wohl mein letzter Anstieg für diese Saisonabschlusswoche, aber darüber denke ich nicht so sehr nach. Ich mache ab und zu ein Foto und genieße einfach den Anstieg und die Aussicht.
Wieder mal kommt das Ziel in Form der weißen, weit sichtbaren Teleskop Halbkugel kurz in Sicht. Immer noch ganz schön weit weg.
So knapp 16 Kilometer bin ich jetzt unterwegs, über eine Stunde habe ich bis jetzt gebraucht, und die Steigung steht schön bei 12%. Also dieser Anstieg ist ein richtig großer, der braucht sich hinter keinem Alpenpass zu verstecken. Kein Wunder, dass ihn Friebe in sein Buch mit den 50 bedeutendsten Anstiegen aufgenommen hat. Die unvergleichliche Landschaft und das Höhen- bzw. Steigungsprofil sind gute Argumente dafür.
Die Strecke will nicht aufhören, die Steigung nicht nachlassen. Jetzt muss ich ganz schön kämpfen. Ich kurbele tapfer nach oben, trinke oft und viel, und hoffe, dass es bald mal eine Stelle zum Entspannen gibt.
Die Aussicht ist mittlerweile fantastisch, aber die Strecke mag nicht aufhören, immer wieder lange gerade Anstiege nach der nächsten Kurve. Müsste nicht bald der Abzweig hoch zum Observatorium kommen?
Und dann nochmal eine lange gerade durch den Wald, hier lässt die Steigung etwas nach, aber das große Kettenblatt verlasse ich schnell wieder, das war etwas übermütig.
Dann endlich der Abzweig, aber dafür geht es erst mal lang und gerade steil berghoch. Und nach der Kuppe geht es wieder lang und weiterhin steil berghoch. Ich muss wirklich kämpfen, und tue das auch.
Dieser Calar Alto ist wirklich ein zähes Biest, den muss man niederringen, aber noch machen die Beine was sie sollen, kurbeln, kurbeln, kurbeln.
Man, immer noch zwei Kilometer, das Ding zieht sich echt. Der Wind bläst, die Sonne knallt, und dann sieht man das Ziel. Endlich nah, aber immer noch weiter weg als gedacht.
Die Aussicht hier oben ist spektakulär, auch wenn es etwas diesig geworden ist.
Weiter geht es steil berghoch, dann endlich flacht die Strecke etwas ab. Aber man kann schon den nächsten Anstieg erkennen. Aber soo viel kann da eigentlich nicht mehr kommen.
Noch gut 600 Meter, und auch hier will die Steigung nicht so recht nachgeben, aber egal, ich kämpfe mich nach oben und dann endlich, der höchste Punkt der Steigung ist erreicht. Ja!
Nach diesem ganzen Mist heute morgen, und so vielen negativen Gefühlen immer wieder zwischendurch in dieser Woche, stehe ich jetzt hier oben und bin glücklich und zufrieden. Die Siegespose muss einfach sein.
Ein geiler Abschluss für diese Woche! Und es war genau die richtige Entscheidung heute hier zu fahren. Diese Strecke bei schönem Wetter in Angriff zu nehmen, unabhängig von den scheinbar sinnlosen extra Kilometern. Die waren überhaupt nicht sinnlos, besser hätte ich es gar nicht machen können. Einfach nur geil!
Leider gibt es hier oben nichts wo man sich aufhalten könnte. Nicht mal ein Platz wo man sich setzen kann. So ziehe ich die Abfahrtsjacke an, nehme noch einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche die eh fast leer ist und fahre dann in die Abfahrt hinunter in Richtung Auto.
Es gibt noch ein paar Gegenanstiege, und das ein oder andere mal muss ich einfach stehen bleiben um noch ein Foto zu machen.
Sonst lasse ich es einfach rollen. Der Straßenbelag ist zwar nicht so gut wie auf der anderen Seite, aber die Kurven sanft, und die Landschaft auf ihre karge weise atemberaubend schön. Und ich fühle mich nur gut, und kann es in vollen Zügen genießen.
Der Wind bläst manchmal heftig, aber auf den letzten vier eher flachen Kilometern schiebt er mächtig von hinten. Herzlichen Dank!
Dann erreiche ich Kilometer Null der AL-4404. Und damit mein Auto. Hier muss ich mich erst mal hinsetzen. Erschöpft, aber glücklich und zufrieden wie schon lange nicht mehr. Plötzlich wird die ganze Woche, trotz der nervigen Erkältung zu dem, was ich verstandesmäßig schon die ganze Zeit wusste, eine traumhafte Erfahrung mit unglaublich vielen herrlichen Radkilometern und -höhenmetern.
Ich gönne mir eine Banane und einen Liter Wasser als Belohnung, schmeiße das Rad ins Auto und fahre in die untergehende Sonne. Oder so ähnlich.
Anyway, den Tempomat auf 130, der Mp3 Player spielt elegische Stücke von Joe Satriani, so schwebe ich Granada entgegen.
Die tiefstehende Sonne verwandelt die bizarr schöne Felslandschaft dabei in ein unwirkliches Traumland. Kann man eigentlich im Glück ersaufen?
Wenn’s einer probieren will, einfach ein Rennrad kaufen und immer nur steil berghoch fahren, dann wird’s schon…